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Freitag, 2. März 2018

Ganz natürlicher Dachschaden

Zunkuftstechnologien haben in Deutschland einen schweren Stand. Der volkswirtschaftliche Schaden, der von den Technikfeinden verursacht wird, zählt viele Milliarden Euro. Und er geht immer wieder mit menschlichem Leid einher. Ein unrühmliches Beispiel hierfür lieferte auch der ehemalige hessische Umweltminister Joschka Fischer. So waren Zuckerkranke lange Zeit auf Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Schlachttieren angewiesen, welches zu schweren Abwehrreaktionen und Folgeschäden wie Erblindung führen kann.
Doch der grüne Minister Fischer erlaubte die gentechnische Produktion von besser verträglichem Insulin bei Hoechst in Frankfurt nicht. Die Zulassung der Produktionsanlage nahm insgesamt 14 Jahre in Anspruch. Das war das Fanal zum Rückzug. Danach sind viele deutsche Großunternehmen mit ihrer Forschung in die USA gegangen – eine Art Mini-Kapitulation. Der Einsatz von gentechnisch erzeugtem Insulin ist heute Alltag. Diabetiker würden keinen so hohen Standard in der Versorgung haben, wenn es keine „Gentechnik“ gäbe.
Der Chemie- und Pharmariese Hoechst ging mit einem französischen Unternehmen zusammen und verlegte seinen Sitz nach Straßburg. Heute gibt es die Firma praktisch nicht mehr, zum Niedergang trugen die alarmistischen und oft unberechtigten Angriffe übermotivierter Umweltschützer und die Obstruktionspolitik der Grünen zu einem nicht geringen Anteil bei. Anfang der 1990er Jahre erreichte der Konzern mit 180.000 Beschäftigten noch einen Jahresumsatz von 47 Milliarden DM und einem Gewinn von über vier Milliarden Deutsche Mark.
Sind die Technikverächter aus dem Schaden klug geworden? Nein, es muss in dieser Szene ein Resistenz-Gen gegen Lehren aus der jüngeren Vergangenheit geben. Einzelschicksale zählen für den Technikfeind ohnehin nicht, wenn es um das Grundsätzliche geht. Aktuell sind die deutschen Energieriesen wie RWE oder E.on nur noch ein Schatten ihrer selbst, weil die politisch verordnete Energiewende ihnen das Geschäftsmodell entzog. Auch hier bleiben viele tausend Arbeitsplätze auf der Strecke, und der Treck ins Ausland hat begonnen. Die Geschichte von Hoechst wiederholt sich, leider nicht als Farce.
In Kalkar am Niederrhein hat sich die deutsche Technikfeindlichkeit ein bizarres Denkmal gesetzt: Der für siebeneinhalb Milliarden Mark errichtete schnelle Brüter ging nach jahrelangen Großdemonstrationen nie ans Netz. Er wurde für ein halbes Promille der Bausumme an einen holländischen Freizeitparkbetreiber veräußert. Im „Kernwasser-Wunderland“ drehen sich jetzt Karussells und Kletterer hangeln sich am Kühlturm empor. Die ehemaligen Konferenzräume werden von Skatrunden und Karnevalisten angemietet. Mit diesem grünen Alternativentwurf des zukunftsfähigen Deutschland lässt sich ja leben, es beunruhigt nur eine Frage: Wo kommt der Strom für das Karussell her?
Besucher aus Asien, Osteuropa oder Afrika können die Geschichte von Kalkar kaum glauben. In den Kohlegruben der Welt kommen jedes Jahr hunderte von Bergleuten bei Unglücken ums Leben, die Zahl der durch die staubige Arbeit unter Tage schwer Lungenkranken geht in die Millionen. Die Kernenergie in Westeuropa ist demgegenüber eine mustergültig sichere Angelegenheit. Doch die Hohepriester des Ausstiegs haben solche Vergleiche erfolgreich mit Tabu belegt.
Von Atom- bis Pharma-Forschung, über das in USA überragend erfolgreiche Fracking bis zur grünen Gentechnik, die Reihe erfolgreicher Fortschrittsblockaden lässt sich beinahe endlos fortsetzen. Und es geht hierbei nicht um Kavaliersdelikte. Eine ablehnende Haltung gegenüber Naturwissenschaft und Technik hat heute schon fatale und vielfach tödliche Folgen.
Mit eiferndem Elan wird unsere Fähigkeit untergraben, gegenwärtige und künftige Menschheitsprobleme zu lösen. Dabei lehrt uns die Geschichte, dass sich die Gesellschaften in der Vergangenheit häufig gerade gegen jene Innovationen wehrten, die später zu einer Grundlage einer besseren Zukunft wurden. Ob in Wissenschaft, Technik, Ethik, Ökonomie oder Politik – bevor unsere Vorfahren ihre Erfinder und Innovatoren feierten,  hatten sie sich den Neuerungen oft widersetzt. Als 1874 eine Pockenimpfung für Kinder vorgeschrieben wurde, etablierte sich beispielsweise  sogleich der „Deutsche Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung“. Die befürchteten Nebenwirkungen blieben weitgehend aus, stattdessen wurden Millionen von Menschenleben gerettet. Die Pocken wurden zur ersten praktisch völlig besiegten Infektionskrankheit.
Anstatt daraus zu lernen, haben die Impf-Gegner heute wieder munteren Zulauf. Viele Eltern unterlassen es beispielsweise, ihre Kinder gegen Krankheiten wie Masern impfen zu lassen. Eine natürliche Infektion, so geht das Gerücht, trainiere den Organismus des Kindes besser und schütze so wirksamer vor Krankheit. Doch gibt es für die Hypothese, Kinderkrankheiten würden die Immunabwehr stärken, keinen einzigen wissenschaftlichen Beleg. Während die Krankheit in einigen anderen Industrieländern praktisch ausgerottet ist, erkranken in Deutschland wieder mehr Kinder an Masern.
Virologen sprechen hinter vorgehaltener Hand vom W-Problem, dem Waldorfschulenproblem, wo Masernausbrüche geballt auftreten, weil Eltern hier gerne bewusst auf Impfungen verzichten. In allen Punkten schneiden Kinder aus sozial höher gestellten Familien gesundheitlich besser ab als weniger begüterte Altersgenossen – bis auf eine Ausnahme: Sie sind überdurchschnittlich häufig nicht gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, obwohl es ihre Eltern besser wissen müssten. Eine bezeichnende Metapher für das fehlgeleitete grüne Denken der gehobenen Bildungsstände.
Die Natur ist gut, der Mensch ist schlecht. Das Natürliche: rein, unverdorben, heilig. Das Künstliche: sündhaft, schmutzig, verderbt. Erlösung verspricht einzig der „ökologische Kreislauf“, der die individuelle Vergänglichkeit in den ewigen Zirkel der Natur transzendiert. „Der Ökologismus ist heute eine der einflussreichsten Religionen der westlichen Welt,“ schrieb einmal der verstorbene Schriftsteller Michael Crichton. „Es scheint die bevorzugte Religion urbaner Atheisten geworden zu sein.“
Allerdings haben wir es hier jedoch mit einem religiösen Bekenntnis zu tun, das sich selbst für durch und durch rational, ja wissenschaftlich fundiert hält. Ganz wie die anderen großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, halten Ökologisten ihre Weltsicht für eine Bestandsaufnahme unleugbarer, naturgesetzlicher Tatsachen. Der Ökologismus tritt im Gewand der Wissenschaft auf, imitiert ihre Ausdrucksweise und maßt sich ihre Autorität an.
Das macht den Umgang mit seinen Anhängern so schwierig. Diskussionen um ökologische Streitfragen geraten oft deshalb so unversöhnlich, weil die gegensätzlichen Parteien nur scheinbar über das gleiche verhandeln. Die einen reden über den Schutz der Umwelt oder der Natur und den besten Weg dorthin. Den anderen geht es unausgesprochen darum, den Menschen mit Hilfe eines einfachen und geschlossenen Weltbildes Halt zu geben. Mythen und Legenden überwuchern das Umweltthema.
Erkenntnisse, die durch unabhängiges Denken und Forschen gewonnen werden, stehen oftmals im Gegensatz zu den Glaubenssätzen des Ökologismus, der sich von der Ökologie (der Wissenschaft vom Ineinanderwirken der Organismen) immer weiter entfernt hat. Verwirrenderweise wird in den Medien und in der Umgangssprache meist von „Ökologie“ geredet, wenn „Ökologismus“ gemeint ist.
Kein Forscher wird heute mehr ernsthaft behaupten, es gäbe in der Natur ein Gleichgewicht. Stand des Wissens ist, dass die Evolution durch extreme Ungleichgewichte voranschreitet. Dennoch gehört das Motiv des „natürlichen Gleichgewichts“, der „Balance“, nach wie vor zu jeder Sonntagsrede. Auch die ökologistische Vorliebe für das Ländliche, Bäuerliche – im Gegensatz zur verdorbenen Industriekultur – ist mit ökologischen Fakten nicht zu vereinbaren. Nüchtern betrachtet, nimmt die Primärwirtschaft auch heute noch wesentlich mächtiger Einfluss auf Landschaften, Pflanzen und Tiere als jedes Atomkraftwerk und jede Autofabrik. Archaische Praktiken wie Brandrodung, Jagd, Fischerei oder die Umwandlung von Wäldern in Ackerland verändern die Natur des Planeten erheblich stärker als die moderne Technologie, die den Ökologisten so suspekt ist.
Wer ökologische Forschung betreibt, orientiert sich ergebnisoffen an messbaren Tatsachen. Der Münchner Ökologe Josef H. Reichholf sagt über den Ökologismus, er habe sich der Ökologie bemächtigt und „zu einem religionsartigen Lebensmodell entwickelt, das uns in immer stärkerem Maße vorschreibt, was zu tun und zu lassen ist.“
Das ist das Terrain der Öko-Funktionäre in Politik und Nicht-Regierungsorganisationen (NGO). Sie dulden keinen Zweifel am Heil durch „Nachhaltigkeit“ oder an der Gewissheit, dass die „Klimakatastrophe“ kommt. Al Gore schreibt in „Wege zum Gleichgewicht“ (1992): „Leugnung ist die Strategie derer, die zu glauben wünschen, dass sie ihr suchtabhängiges Leben ohne schlimme Auswirkungen auf sich selbst und andere fortsetzen können.“ Der politische Gegner kann nur noch als pathologischer Fall wahrgenommen werden.
Der langjährige Greenpeace-Vorsitzende und heutige Greenpeace-Dissident Patrick Moore erinnert sich in einem Interview:
„Greenpeace startete damals bei uns in Kanada eine Kampagne gegen Pragmatismus und Kompromisse. Das war die Stunde der Ideologen, jeder der von nun an geringfügig von der Linie abwich, wurde zum Verräter gestempelt. Und plötzlich war auch ich einer. Ein paar meiner alten Kumpels haben mich 'Öko-Judas‘ genannt und be­hauptet, ich hätte mich kaufen lassen. Es ist eine schlimme Entwicklung, dass Greenpeace sich von der Logik und der Wissenschaft verabschiedet hat. Mehr und mehr werden die Kampagnen mit Gefühlsappellen, Angstmacherei, Falschinformationen und schmutzigen Tricks ge­führt.“
Die Immunisierung gegen Kritik – vor allem, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt – ist eines der totalitären Muster, die in der grünen Bewegung um sich gegriffen haben. Das Gruppendenken kreist um Kategorien wie „Treue“ und „Verrat“. Zweifel dienen dem Feind. Moralisch aufgeladene Kampfbegriffe dulden keinen Widerspruch.
Der holländische Umwelt-Historiker Wygbert-Versteegen charakterisiert dieses Weltbild als „Green Thinking“. Es beruht auf subjektiven und vom herrschenden Zeitgeist gebauten Pfeilern: Man betrachtet den Menschen immer nur als Verbraucher und Verursacher, nie als Problemlöser und Erschaffer. Der Mensch wird häufig sogar als „Krebsgeschwür des Planeten“ verachtet. Technik gilt nicht mehr länger als Lösung von Problemen, sondern meist als deren Ursache. Eine vorgeblich immer schnellere technische und ökonomische Entwicklung soll gebremst werden. Der freie Markt und seine Akteure gelten als räuberisch und oft gegen das Allgemeinwohl gerichtet. Und dieses Denken wird zu allem Überfluss als alternativlos imaginiert.
Mahnen und Warnen, Moralisieren und Boykottieren, Verhindern und Verteufeln sind längst wichtige Wirtschaftsfaktoren geworden. Tatsächliche oder vermeintliche Umweltskandale erschüttern Börsenkurse, die Angst vor Katastrophen treibt Versicherungsprämien hoch und dient als willkommenes Alibi für neue Steuern und Belastungen der Bürger.
Schlagworte wie „Vorsorgeprinzip“ oder „Nachhaltigkeit“ werden immer häufiger dazu genutzt, den freien Markt mit staatlichen Regulierungen außer Kraft zu setzen. Die Medien, die Wissenschaft, die Politik, Verbände und NGOs sind Akteure in einem Milliardengeschäft mit der Angst geworden. Mit dem Hinweis auf das Allgemeinwohl werden vielfach Einzelinteressen bedient. Vor allem geht es auch um die Durchsetzung gesellschaftlicher Zielvorstellungen. Millionen von Meinungsmachern und Experten, Forschern und Kontrolleuren, Beamten und Bürokraten leben mittlerweile von diesem System. So wächst eine neue Klasse heran. Die NGOs bilden inzwischen den achtgrößte Wirtschaftsbereich der Welt.
Der Begriff „neue Klasse“ wurde von dem jugoslawischen Kommunisten und späteren Dissidenten Milovan Djilas Ende der fünfziger Jahre in die Welt gesetzt. Er sollte deutlich machen, dass die Partei-Elite in den kommunistischen Ländern mehr war als nur eine Nomenklatur etablierter Ex-Revolutionäre. Die Apparatschiks bildeten eine neue Klasse, die ihre ökonomische Vormachtstellung und ihre Privilegien sicherte und ausbaute. Die neue Welt-Klasse der rapide wachsenden supranationalen Organisationen und endlosen Kettenkonferenzen ist noch nicht soweit.
Doch eines ist ihnen gemeinsam: Niemand hat sie gewählt, und sie haben keine Basis, gegenüber der sie sich ernsthaft verantworten müssten. Sie wechseln vom IRK zur WHO, vom WWF zum IWF und zurück. Doch so losgelöst die neue Klasse auch wirkt, ihre ökonomische Ausstattung wird aus dem Volksvermögen der Nationen bestritten. „Sie sind,“ sagte ZEIT-Herausgeber Josef Joffe einmal, „keine staatstragende, aber eine vom Staat getragene Klasse.“
Und die Europäische Union will deren Stellung noch weiter stärken. Heute schon werden in Bereichen wie Entwicklungshilfe, Soziales, Umwelt oder Menschenrechte über NGOs etwa eine Milliarde Euro aus dem EU-Topf verteilt. Doch was hier als „Zivilgesellschaft“ oder „partizipatorische Demokratie“ so bürgerfreundlich daher kommt ist äußerst problematisch. Neben der europäischen Kommission, die nicht gewählt, sondern von Politikern eingesetzt wird, gibt es praktisch eine weitere, nicht demokratisch legitimierte Mitspracheebene.
Der ehemalige tschechische Ministerpräsident Václav Klaus warnt schon seit Jahren vor einem „NGOismus“ und der „Vernebelung demokratischer Prinzipien“. Er nennt dabei ausdrücklich den „Ökologismus“, der „Privilegien für organisierte Gruppen“ beanspruche. Dies bedeute nichts anderes als eine „Re-Feudalisierung der Gesellschaft“. Und damit sind wir wieder bei einem aktuellen Beispiel und dem Beginn dieser Serie: Mehr oder weniger sinnlose Diesel-Fahrverbote, die in erster Linie Menschen betreffen, die finanziell weniger gut gestellt sind.   Dirk Maxeiner

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