Stationen

Freitag, 2. Februar 2018

Die letzten drei bis vier Jahre

Ich habe als Jugendlicher mal meine Großeltern, zu denen ich ein sehr, sehr gutes Vertrauensverhältnis hatte, danach gefragt, wie das damals passiert ist. Sie haben mir beide bestätigt, dass die, die es leugnen, vorgeben, sie hätten nichts gewusst oder es als nachträglich konstruiert hinstellen, offenkundig lügen. Denn sie sagten, dass es „spätestens nach der Hälfte” (ich habe leider nicht nachgefragt, aber vermute, sie meinten die Zeit von 1933 bis 1945) jeder wusste, dass allen bekannt war, was läuft, weil aus den Konzentrationslagern zwar nicht viel, aber viel mehr als genug herausdrang, um Bescheid zu wissen, und sich das in der persönlichen Kommunikation natürlich rasend schnell ausgebreitet hat. Ich vertraue meinen Großeltern, die leider schon lange nicht mehr leben, aber zu 100%. Wenn die sagen, dass sei schon damals allgemein bekannt gewesen, widerlegt das alle Behauptungen, es sei nicht bekannt gewesen oder eine nachträgliche Erfindung von Siegermächten. Jenseits aller Schülbücher, Literatur und der Holocaust-Museen und Ausstellungen, die ich auf mehreren Kontinenten besucht habe, ist dieses persönliche Gespräch mit meinen Großeltern, insbesondere aber dass mir beide nachdrücklich den Zeitraum versichert haben, zu dem das alles schon bekannt war, und damit Jahre vor Einsetzen einer möglichen „Feindpropaganda” (vgl. Chaplin Der Große Diktator von 1940, dem damals noch kaum Glauben geschenkt wurde). Es ist vom Zeitablauf und auch von der Art der Kommunikation damals her ausgeschlossen, dass das von irgendjemandem erfunden oder übertrieben sein könnte. ( ... ) Außerdem war es völlig unmöglich, das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Denn, so haben mir meine Großeltern auch erzählt, die Nazis haben daraus ja kein Geheimnis gemacht. Die Leute wurden ja mitunter auf offener, belebter Straße einfach so erschossen, Wohnungen, Geschäfte wurden geplündert. Es sei völlig ausgeschlossen, das irgendwer das nicht gesehen und mitbekommen haben könnte. Sie haben mir das nur ein einziges Mal, dabei aber sehr plastisch erzählt, was für eine schreckliche Zeit das war. Meine Großmutter – die nicht mal Auto fahren konnte und nie einen Führerschein hatte – hatte deshalb als junge Frau sogar eine Pistole und heimlich sehr gut schießen gelernt, um im Notfall die Familie zu verteidigen – oder sich das Schlimmste zu ersparen. Eine kleine, zierliche, unscheinbare Frau, nur Hausfrau und Mutter, jederzeit bereit zu schießen. Eben weil es allgemein bekannt war, was läuft. Nach Kriegsende haben sie die Knarre schnell im Wald verbuddelt.  Danisch


 ( ... ) Inzwischen haben sich mehrere Leute bei mir gemeldet, deren Großeltern ihnen Ähnliches gesagt haben, wie meine. Auch dieses Maß „der Hälfte” taucht ähnlich auf, aber einer konnte das genauer erklären:
Ich hatte ja gesagt, dass ich leider nicht nachgefragt hatte, was sie mit „der Hälfte” meinten, und das als die Hälfte des ganzen Nationalsozialismus 1933 bis 1945 angesehen. Im Vergleich mit den Aussagen anderer Großeltern, über die mir Leser berichteten, ergibt sich ein anderes Maß, nämlich dass sich das auf die Kriegszeit (1939-1945) bezog und damit 1942 (und nicht wie von mir vermutet 1939) als die „Hälfte” anzusehen ist. Das passt dann nämlich sogar exakt zum Bau der Vernichtungslager nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942. (Und damit lösen sich auch einige der Vorhalte, die mir Leute gemacht haben, dass das nicht stimmen könne, weil es das 1939 noch nicht gab, in Luft auf.)
Damit ist dann auch (endlich…) geklärt, was meine Großeltern mit der „Hälfte” meinten, und das von mehreren Lesern über die Aussagen von deren Großeltern bestätigt, die denen ziemlich genau das gleiche sagten.
Ich halte es damit für ziemlich gefestigt, über Zeitzeugen und verschiedene Kanäle bestätigt, und um einen Interpretationsfehler von mir bereinigt, dass der Holocaust im damaligen Deutschland (oder jedenfalls im östlichen Teil, denn viele der Großeltern, die das gesagt haben, scheinen aus dem Bereich zu kommen) ab 1942 allen bekannt war, und zwar damals über private Kanäle und vertrauliche Informationen. Auch wenn das bereits mitten im Krieg und damit potentiell in einem Zeitraum möglicher Feindpropaganda war, halte ich es aufgrund des Zeitpunktes und aufgrund der Art der Informationsquellen damit für ausgeschlossen, dass das eine nachträglich konstruierte Legende sein könnte. Meine Großeltern haben sehr deutlich gesagt, dass jeder ein Lügner sein müsse, der sagt, davon nichts gewusst zu haben, weil die Vorgänge damals zu offenkundig waren. Sie waren gegenüber solchen Ansichten völlig verständnislos, weil sie das doch selbst gesehen und miterlebt hätten. Das ist nicht etwas, was man den Leuten nachträglich erzählt haben kann. Sie meinten aber, man habe es eben nicht laut sagen können und nach außen so tun müssen, als wäre nichts. Viele seien dann nach dem Krieg einfach dabei geblieben. So sei das wohl entstanden. Danisch

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