An der Gedenkpolitik für die Opfer des Nationalsozialismus in
Deutschland ist durchaus einiges kritikwürdig. Unzweifelhaft ist aber,
daß der Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon (AfD), auch wegen seiner früheren Äußerungen, hierfür der falsche Advokat ist.
Dennoch gibt es berechtigte Kritik an der Verlegung von
„Stolpersteinen“ in deutschen Städten. Was „Gedenken“ genannt wird, ist
eine Bewirtschaftung der Toten, die nach einem politischen, moralischen
und auch finanziellen Mehrwert strebt.
Bleiben wir bei der Politik. „Stolpersteine“ verwandeln das
Lebensumfeld in einen kontaminierten Raum. Sie verlängern die
staatlichen Gedenkrituale und „Auschwitz als Gründungsmythos“ in den
individuellen Alltag hinein. Der „Stolperstein“ vor der Haustür besagt:
„Deutscher, der Du dieses Gebäude betrittst (beziehungsweise verläßt),
denke daran, daß Deine Vorfahren ein Menschheitsverbrechen durchgeführt,
wenigstens aber geduldet haben!“
Der „Stolperstein“ ist also ein permanenter Schuldspruch, der
geeignet ist, das Band zu den Vorgängergenerationen zu zerschneiden und
den Heutigen das Gefühl zu geben, permanent unter Bewährung zu stehen.
Auf der individuellen Matrix der meisten ist allerdings eine ganz
andere, oft traumatische Familiengeschichte eingeschrieben, die aber
nicht bearbeitet werden darf, weil das den Schuldspruch „relativieren“
und eine „Selbstviktimisierung“ bedeuten würde.
Die „Stolpersteine“ wirken wie Schwarze Pädagogik. Es ist eine
beliebte Übung, die Steine von Schülern putzen zu lassen, die dazu auf
dem Bürgersteig niederknien und eine Position nachvollziehen müssen, zu
denen man jene gezwungen hatte, deren Namen auf den Steinen vermerkt
sind. Diese Praxis heißt heute „Eingedenken“ und meint eine Form des
Erinnerns, die die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit betont.
Nietzsche hat in dem Aufsatz über den „Nutzen und Nachteil der
Historie für das Leben“ dargelegt, daß ein Zuviel an Geschichte dem
Menschen die Lebensenergie raubt, während ein Zuwenig ihn zu einem
besinnungslosen Narren macht. In der Bundesrepublik gibt es sowohl ein
Zuviel als ein Zuwenig: Ein Zuviel an NS-Geschichte, welches das Wenige,
das von der früheren Geschichte noch übrigbleibt, auf eine
Vorgeschichte schrumpfen läßt, die teleologisch auf ein braunes
Verbrechertum hinausläuft. So entschwindet das historische
Langzeitgedächtnis, das überhaupt erst eine kulturelle Identität
ermöglicht, und damit die Fähigkeit, sich als jemand zu begreifen, der
in einem langen historischen Kontinuum steht.
Der so konditionierte, ideale Staatsbürger ist ein Zombie, bei dem
die Schuldkomplexe in ein aggressives Sendungsbewußtsein übergehen. Es
entlädt sich vorzugsweise in einem militanten Antifaschismus oder
grenzenlosen Humanitarismus, und zwar – man denke an den Hexensabbat
beim Eintreffen der sogenannten Flüchtlingszüge im Sommer 2015 – bis zur
Selbstbeschädigung.
Auch das jüngste Geschrei und Gezeter der Grünenpolitiker Özdemir
(„Rassisten!“) und von Notz („Geschichtsrevisionismus!“) im Bundestag in
Richtung AfD ist in diesem Rahmen zu verstehen. Zwar handelte es sich
um Inszenierungen, aber nicht um Heuchelei. Die einfache Sprache der
Redner bezeichnete die Grenzen ihres geschichtlichen Horizonts.
Außerdem folgten sie ihrem Machtinstinkt. Diese Art von Politikern
fühlt sich, sobald man ihre Gedenk- oder Erinnerungskultur kritisiert,
bei den politisch-ideologischen Kronjuwelen gepackt, deren Glanz ihnen
auf magische Weise die Diskurshoheit und damit Macht sichert. Selbst der
närrischste der Narren – und damit kommen wir doch noch zum moralischen
Mehrwert – darf sich auf der Seite der Guten fühlen und entsprechend
auftrumpfen. Wehe ihm, wenn sich die Einsicht durchsetzen sollte, daß
die Juwelen und damit auch ihr Glanz falsch sind.
Der Grünen-Mann Notz hat an die Adresse der AfD angekündigt: „Wir
haben mit der Auseinandersetzung gerade erst begonnen.“ Will der Herr
Notz das geschichtspolitische Tänzchen wagen? Nun denn! Ihm soll
aufgespielt werden! Thorsten Hinz
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