Stationen

Sonntag, 2. September 2018

Boris Palmers Moment

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin: „Was gestern in Chemnitz stellenweise zu sehen war und was ja auch in Videos festgehalten wurde, das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz. Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz, und das kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir das auf das Schärfste verurteilen.“
Gut so. Das unterstütze ich voll und ganz. Allerdings würde ich mir wünschen, dass Sie als Vorsitzende der CDU Deutschland mit ihren Parteifreunden in Sachsen einmal ein ernstes Wort über Rechtsextremismus reden. Die regieren dort seit der Wende und haben es versäumt, effektiv gegen Rechtsextreme vorzugehen, im Gegenteil, offenbar haben sich dort Strukturen verfestigt, die in kürzester Zeit wie auf Kommando große Gruppen in Bewegung setzen können.
Ebenso vermisse ich seit dem Jahr 2015 so klare Worte zur Gewalt durch Asylbewerber. Damit meine ich nicht, jede Form von Gewalt abzulehnen und schwere Straftaten zu verurteilen. Das ist selbstverständlich. Ich meine, dass Sie versäumt haben, sich ganz präzise zu Straftaten von Asylbewerbern, ihrer Wirkung auf die Gesellschaft und Maßnahmen, ihnen vorzubeugen, zu äußern und entsprechend zu handeln.
Ich muss etwas ausholen, um das zu erklären. Schwere Straftaten, ganz besonders Morde mit Messern, verursachen in der Gesellschaft gravierende Reaktionen, weil in wesentlichen Fragen Streit dominiert:
1) Sind Asylbewerber häufiger als andere an Tötungsdelikten beteiligt?
2) Darf man an Asylbewerber besondere Ansprüche zur Rechtstreue stellen?
3) Hat der Staat genug getan, um solche Taten zu verhindern?
Ich habe diese Fragen bereits vor einem Jahr in meinem Buch “Wir können nicht allen helfen” thematisiert:
“Die Menschen, die über das Asylrecht zu uns gekommen sind, haben sehr viele Eigenschaften, die in unserem Land die Wahrscheinlichkeit, kriminell zu werden, nach oben treibt. Das betrifft nicht ihre Herkunft, aber ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre Perspektive am Arbeitsmarkt, ihr Wohnviertel, ihren Bildungsgrad oder ihr Einkommen. Selbst wenn wir also gute Gründe haben, davon auszugehen, dass die zugewanderten Menschen bei gleichen Voraussetzungen nicht häufiger kriminell werden als die einheimische Bevölkerung, wäre es statistisch folgerichtig, wenn sie deutlich überdurchschnittlich häufig zu Straftätern werden.”
Mittlerweile wissen wir es dank eine differenzierten Polizeistatistik genauer: Asylbewerber sind siebenmal häufiger an Tötungsdelikten beteiligt (14%) als nach ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erwarten wäre (2%). Trotzdem wird häufig auch in den Medien suggeriert, es gäbe hier kein besonderes Problem oder gar behauptet, es sei rassistisch, es zu diagnostizieren. Hier wäre ein klärendes Wort von Ihnen wichtig: Asylbewerber sind nicht sui generis krimineller als Deutsche, aber die Asylbewerber, die derzeit bei uns im Land leben, vereinen so viele Risikofaktoren, dass eine hohe Kriminalitätsbelastung zu erwarten ist. Entsprechend müssen wir handeln.
Zur Frage 2 ebenfalls ein Zitat aus meinem Buch:
Ein Gast – das wäre in der Kantschen Definition auch ein Asylbewerber –, der einen Menschen umbringt, macht sich also nicht nur eines Mordes schuldig, er vergeht sich auch gegen das Gastrecht. Das letztere ist einem Einheimischen per Definitionem unmöglich.
Dies ist mehr als eine philosophische Randbemerkung, es hat gravierende Konsequenzen. Ein solch schwerer Missbrauch des Gastrechts stellt nämlich das Gastrecht selbst in Frage, weil die Gastgeber zwangsläufig darüber nachdenken, ob sie das Risiko, Gäste aufzunehmen, weiter tragen wollen. Wer als Gast zum Mörder wird, schmälert die Chancen anderer, als Gast aufgenommen zu werden. So geschah es auch in Deutschland nach den Gewalttaten von Flüchtlingen im Jahr 2016.
Alle über einen Kamm zu scheren, ist immer falsch. Es ist nur eine sehr kleine Minderheit unter den Asylbewerbern, die zur Gewalt greift. Ein Generalverdacht gegen Asylbewerber oder gar alle Ausländer ist unmenschlich und zerstört die Fundamente einer pluralistischen Gesellschaft. Trotzdem ist es vernünftig, Gewalt von Asylbewerbern besonders zu beobachten, nach ihren Ursachen zu forschen und spezifische Gegenmaßnahmen von der Prävention bis zur Strafverfolgung zu ergreifen.
Wir müssen von Asylbewerbern nicht erwarten, dass sie sich gesetzestreuer als deutsche Staatsbürger verhalten. Wir dürfen es aber. Und dass die Meinungen an diesem Punkt auseinander gehen, ist in einer offenen Gesellschaft normal. Es gab beeindruckende Statements von Flüchtlingshelfern, die nach dem Mord in Freiburg erklärten, sie würden keine Sekunde darüber nachdenken, ihr Engagement nun zu reduzieren. Trotzdem sollten wir auch zulassen, dass Menschen sagen, sie können nicht akzeptieren, dass Menschen, die hierher kommen und angeben, sie seien auf der Flucht, in kürzester Zeit zu Mördern werden. Das eine ist nicht naiv, das andere ist nicht bösartig. Beides sind menschliche Reaktionen. (…)
Es ist nicht zu leugnen, dass eine potenzielle Gewaltbedrohung durch einzelne Flüchtlinge ein qualitativ anderes Problem für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft darstellt als eine solche durch Inländer mit einem verfestigten Aufenthaltsrecht. Dass die Duldsamkeit gegenüber Ersteren niedriger ist, entspricht nicht nur der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Es ist auch ethisch gut begründbar. Denn einen moralischen Anspruch auf Hilfe ohne die gleichzeitige Verpflichtung zur Achtung des Helfenden gibt es nicht.
Die Zurückweisung eines Hilfesuchenden, der ein Minimum an Achtung für den Helfenden vermissen lässt, ist eine notwendige Grenzziehung, die uns in allen sozialen Kontexten schon die Selbstachtung gebietet.
Auch unser Staat muss diese Selbstachtung unter Beweis stellen, wenn er das Vertrauen, das ihm die Bürgerinnen und Bürger entgegenbringen, dauerhaft rechtfertigen will."
Wie zerstörerisch Gewalttaten von Asylbewerbern auf eine freie Gesellschaft wirken, kann man nach den jüngsten Mordfällen von Wiesbaden, Offenburg und Chemnitz beobachten. Ich gestehe, ich gehöre zu denen, die es nicht akzeptieren können, dass eine so große Zahl von Menschen in unserem Land unschuldig das Leben lassen muss, weil der Staat sie nicht vor Menschen schützen konnte, die zu uns gekommen sind, um Hilfe zu ersuchen.
Das bringt mich zur Frage 3. Nach meiner Auffassung tut der Staat eindeutig nicht genug, um Gewalt von Asylbewerbern entgegen zu treten. Diese leben in einem verkehrten Anreizsystem, in dem Leistung nicht belohnt und Fehlverhalten nicht bestraft wird. Deshalb wäre es so wichtig, dass wir einen doppelten Spurwechsel vornehmen. Darunter verstehe ich Arbeitserlaubnis und Bleiberecht für die Asylbewerber, die sich integrieren, unsere Gesetze achten und eine Arbeit aufnehmen. Einerseits. Andererseits aber den Entzug des Aufenthaltsrechts in den Kommunen und den Rückverweis in sichere staatliche Einrichtungen wie die ANKER-Zentren es sein werden. Beides sollte auf Antrag der Kommunen erfolgen können. Denn vor Ort wissen wir, wer Probleme macht und wer sich gut integriert. Allein durch diese beiden Maßnahmen könnte der Häufung schwerer Gewalt durch Asylbewerber strukturell entgegen gewirkt werden. Wenn wir sie in Arbeit bringen und die polizeibekannten Störenfriede aus den Kommunen herausholen, wird die viel zu hohe Zahl von Gewalttaten unter dem Schutz des Asylrechts zurück gehen.
Ich bedauere sehr, dass Ihr Innenminister sich davon bisher nicht überzeugen ließ. Vielleicht können Sie es?
Mit freundlichen Grüßen
Boris Palmer