Stationen

Sonntag, 30. September 2018

Einheitsniedertracht bis ins letzte Glied

Was ist der Hauptunterschied zwischen der israelischen und der deutschen Öffentlichkeit? Ich habe die Antwort einmal in die – ein Qualitätsjournalist könnte hier schreiben: "augenzwinkernde" – Sentenz gefasst: Fünf Juden, zehn Meinungen, fünf Deutsche, eine Meinung. Woran erkennt man also einen wirklich eingedeutschten, praktisch germanisierten Juden? Nun, daran dass er sturheil die Deutsche Einheitsmeinung (DEM) vertritt, das heißt jene sardellenschwarmkonform über die Seitenlinie oder bereits durch flüchtigen Medienkonsum verlässlich zu erspürende Ansicht, die in politischen Belangen mit deprimierender Erwartbarkeit vom Kanzleramt über den Bundespräsidenten und sämtliche Parteien (außer derzeit einer), in allen Medien, Kirchen, Gewerkschaften, Universitäten, Schulen, Theatern, Stiftungen, Vereinen, Sportclubs, Ämtern und Hauptämtern etc. ad nauseam pp. als verbindlich gilt, was unappetitlich genug ist, aber beinahe makaber wird, wenn ausgerechnet Angehörige des eigentlich undiszipliniertesten, gleichschaltungsunwilligsten Kollektivs (sofern diese contradictio in adiecto gestattet ist) daran teilhaben – gottlob nur im Einzugsgebiet des deutschen Grundgesetzes. Anderswo (und hierzulande unter vier Augen) kann man mit Juden nach wie vor ganz normal in verteilten politischen Rollen reden, streiten und sich amüsieren. Aber in den löchrigen Grenzen von ’schland, davon darf sich jeder derzeit anhand der uniformen Reaktionen auf die Gründung eines jüdischen Detachements innerhalb der AfD überzeugen, marschiert zumindest die öffentlich sichtbare Judenheit im selben Gleichschritt, wie’s dem Kern- und Knalldeutschen ansteht resp. konveniert, mittenmang natürlich Michel Friedman, der gemeinsam mit Konstantin Wecker die Widerstandsgruppe "Weiße Linie" ins Leben gerufen hat (und man möchte, wenn auch nur aus Ennui, an Jacob Taubes’ Bemerkung erinnern, dass für deutsche Juden die Versuchung, Nazis zu werden, nicht bestand, weil man sie ja gar nicht erst gelassen hat).

Merke(l): Jüdische Führerkritik ist voll Nazi! Wir schaffen das!
"Die ominöse Gründung ist angesichts der Unwichtigkeit der Beteiligten bedeutungslos", schreibt ein wichtiger jüdischer Gastautor, dessen ominöser Name mir entfallen ist, in der Welt, und zwar nachdem er zehn oder elf Absätze lang ein konformistisches Wutschäumen über jene schlimmen Juden abgeliefert hat, die sich frech der einzigen regierungskritischen Partei anschließen. Alle anderen in Tonfall und Wortwahl ermüdend identischen Artikel müssen Sie, geneigter Besucher meines kleines Eckladens, bitte selber googeln; dies ist schließlich, auch wenn es mitunter den Anschein hat, keine Zeitgeistschrottsammelstelle.
"Die Hauptcharaktere sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt", schreibt also Herr Dingens in der Welt, sich mit dem Wörtlein "weitgehend" aus der Verlegenheit rettend, dass sich jüdische AfDler durchaus aus ihren Neidhöhlen und Waldesklüften bisweilen ins Offene wagten, etwa Wolfgang Fuhl, Alexander Beresowski und Dr. Vera Kosova (hier – überdies ist Kosova die im Artikel so verzweifelt gesuchte Frau inmitten der schwefligen Männerrunde). In die knuffige deutsche Öffentlichkeit trauten sich auch schon Emanuel Bernhard Krauskopf (hier), oder Artur Abramovych (hier). Was die "ominöse Gründung" betrifft, so wurde das Fähnlein gegen seinen Willen vorzeitig ins sog. Rampenlicht gezerrt (auf die Details einzugehen, würde zu weit und nochmals ins Unappetitliche führen).
"Es treffen sich ein Jude, ein Russlanddeutscher und ein AfD-Sprecher", hebt der Welt-Artikel an, was nicht stimmt: Fuhl ist kein Russe, sondern 1960 in Weil am Rhein zur Welt gekommen und in Lörrach wohnhaft; der angebliche "Möchtegernjude" versteckte sich mehr als ein Jahrzehnt im Vorstand der jüdischen Gemeinde Lörrach und war von 2007 bis 2012 Mitglied im 35-köpfigen Direktorium des Zentralrats. Bei der AfD sitzt er im Vorstand des KV Lörrach, ist dort seit 2013 durchgehend Direktkandidat sowohl für Landtags- als auch für Bundestagswahlen; beruflich ist der Mann übrigens leitender Angestellter bei einem Textilunternehmen und dort zugleich Betriebsratsvorsitzender, eine typische Volkspartei- bzw. Tätervolksparteifunktionärskarriere eben.
"Zur Gründung des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokrat/innen war ich 2006 auf der Suche nach Mitgliedern jüdischer Herkunft durch viele deutsche Städte gereist, wir hatten uns in Vorrunden getroffen, die Gründung konzeptionell und politisch vorbereitet, wir hatten nach politischen Verbündeten in den jüdischen Gemeinden gesucht, nach Anschlussfähigkeit an neue politische Ideen", fährt der Welt-Gastautor fort, woraus wir erstens folgern dürfen, dass er Juden in Parteien schon kuhl findet, wenn sie nicht die falsche erwischen, und dass er zweitens die Israelphobie von S. Gabriel und anderen nach muslimischen Wählerstimmen gierenden Spitzensozis für "anschlussfähig" hält – was insofern wurst ist (wenn man mir den Begriff im Kontext von koscher und halal nachsieht), als sogar jüdische Unterstützung die SPD bei ihrer Selbstabschaffung nicht aufhalten wird. Im Übrigen und praktisch drittens wird die Webseite des Arbeitskreises sozialdemokratischer Jüdinnen und Juden im Namen des SPD-Vorstands betrieben; dass dies beim Zirkel der Jüdinnen, Juden und jüdischen Angehörigen anderer Geschlechter in der AfD je der Fall sein wird, ist gelinde gesagt unwahrscheinlich.
"Allerdings", schreibt der nun endlich wieder zurück ins Ominöse verabschiedete Welt-Gastautor, "gibt es einen Unterschied zwischen Besorgnis und Dummheit."
Das hätte ich zwar filigraner, aber nicht sinngemäß anders sagen können.


PS: Der Autor des hier gewürdigten Artikels, "Sergej Lagodinsky, ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und irgendwas bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Somit ist er weniger ominös als obsolet", bemerkt Leser ***. Wenn *** da mal nicht irrt! Dann hat der Mann nämlich rechtzeitig Witterung aufgenommen und ist von der sinkenden roten Partei zur aufsteigenden roten Partei gewechselt. Ohnehin wird es in Bälde nur noch zwei Parteien geben, AfD und Grüne, weil es die beiden einzigen sind, die ein so konzises wie konträres Weltbild anbieten und sich sämtliche westliche Gesellschaften derzeit in diese beiden Lager teilen. Diese Zuspitzung ist nicht auf meinem Mist gewachsen, fühlt sich dort aber gewissermaßen "pudelwohl" (Ch. Knobloch).   MK am 28. 9. 2008


Die Familie als Brutstätte von allem Übel muss selbstverständlich auch in die Arena des antirassistischen, antisexistischen, antikapitalistischen etc. Kampfes gezerrt werden, was mit den Clans und den meisten Einwanderern zwar nimmermehr gelingen wird, aber unter Deutschen, wie zuletzt das Dritte Reich und der ostdeutsche Realsozialismus vorgeführt haben, oft zu trefflichen Verwerfungen innerhalb der Sippschaften führt, bis zur Denunziation falschmeinender Angehöriger. Auf der Webseite "wikiHow – hier lernst du alles" werden Sprösslinge rechtgeleitet, deren Eltern auf weltanschaulichen Abwegen der Schwefelhölle entgegenwandeln. "Mit rassistischen Eltern richtig umgehen", ist der Text übertitelt, der ebenso bei jetzt, bento, in der Huffington Post oder einem anderen dieser Juvenilität simulierenden Tendenzvollstreckungsportale für den lesefähigen linken Nachwuchs stehen könnte.   

Dort ist zu lesen: "Es kann unangenehm und schmerzhaft sein, wenn die eigenen Eltern eine rassistisch geprägte Lebenseinstellung besitzen. In den meisten Fällen sehen sich deine Eltern vermutlich gar nicht als Rassisten und könnten abwehrend reagieren, wenn du ihnen gegenüber diese Bezeichnung verwendest. Möglicherweise basiert ihre Denkweise auch einfach auf einem veralteten kulturellen Rahmenwerk, in dem rassistisch geprägte Klischees der akzeptierten Norm entsprechen und manchmal sogar positiv bewertet werden. Ein Beispiel: Vielleicht sind deine Eltern der Meinung, dass es völlig in Ordnung ist, Dinge zu sagen wie: 'Asiaten sind sehr klug und fleißig'. Du wirst lernen müssen, wie du dich gegenüber deinen Eltern in Bezug auf ihre rassistischen Tendenzen effektiv äußern kannst und wie du ihnen vermitteln kannst, warum dich ihre Aussagen stören."

Der Autor kommt sich ziemlich schlau vor, weil er ein Beispiel des "positiven" Rassismus gewählt hat. Er hätte auch schreiben können: "Araber sind heißblütig" oder "Deutsche sind gründlich" oder "Schwarze schnackseln gern". Jede dieser Aussagen ist zwar eine Pauschalisierung, aber jede ist eher richtig als falsch. Wer solche Aussagen trifft, meint nicht: immer, sondern signifikant häufig. Alle Vorurteile sind mit dieser Einschränkung richtig, sonst gäbe es sie ja nicht. Asiaten sind signifikant häufig "sehr klug und fleißig", weswegen dergleichen "antirassistische" Texte, deren Autoren so fanatisch rassenbesessen sind, dass sie jeden kollektiven Unterschied leugnen müssen, auch auf asiatischen Webseiten kaum zu finden sind. Asiaten sind so signifikant häufig "sehr klug und fleißig", dass man es pauschal formulieren kann, und jeder halbwegs Zurechnungsfähige befindet sich bei dieser Formulierung im Bilde darüber, dass sie keineswegs jeden einzelnen Asiaten einschließt. Mit anderen Worten: Nur Plattköpfe – die in diesem Kontext signifikant häufig das Maul aufreißen – stoßen sich an solcherart generalisierten Aussagen.
Merke Gómez Dávila: "Der Rassist gerät außer sich, weil er insgeheim den Verdacht hegt, dass die Rassen gleich sind; der Anti-Rassist, weil er insgeheim vermutet, dass sie es nicht sind."


Ein braver Mann namens Ingo Stützle, bei Spiegel online vorgestellt als "Marx-Experte" – sein aktuelles Buch erscheint im Dietz-Verlag, was bei einem in der DDR Asozialisierten wie mir einen unüberwindlichen Degout hervorruft –, behauptet via Twitter, Alexander Gauland habe in seiner Wahlkampfrede zu Frankfurt/Main vergangene Woche ein Zitat aus Theodor Fritschs "Handbuch der Judenfrage" verwendet, ohne es kenntlich zu machen. Es handele sich um Gaulands Worte:
"Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben."
Das vermeintliche Original sei Fritschs Satz: "Was nicht 'Mensch' werden, sondern Deutscher bleiben wollte, verfolgte Marx mit ingrimmigem Hass."

Ein Spiegel online-Kolumnist verbreitete diese Unterstellung so ungeprüft wie denunziationsbeflissen, was man ihm nachsehen muss, denn wo sieben, acht, neun Kolumnisten Woche für Woche den immergleichen Kommentar schreiben, fällst du ohne forcierten Denunziationseifer eines Tages einfach nicht mehr auf und evtl. sogar durchs Raster.
Als "Marx-Experte" hat Herr Stützle es mit einem Idol zu tun, das es mit den Quellen ("Hegel bemerkt irgendwo...") bisweilen auch nicht so genau nahm, und so etwas färbt oft auf den Messdiener ab. Seine Quelle für das Gauland-Zitat ist nicht der Originaltext der Rede, sondern, wiederum dem Spiegel zufolge, nur das, was anwesende Journalisten mitgeschrieben und später kolportiert haben. Freilich – um Oberon Reger aus dem Roman "Land der Wunder" textgetreu zu zitieren –: "Durch ein deutsches Journalistengehirn gequetscht zu werden ist das Schrecklichste, was einer Wirklichkeit passieren kann." Und nicht nur einer Wirklichkeit, auch einem Satz kann auf diesem Golgathaweg einiges zustoßen. Da Stützles Behauptung nicht nur routiniert ehrabschneidend ist, sondern vor allem falsch, helfe ich gern nach. Der bekakelte Satz steht in einem Sinnzusammenhang, der hier in der Hoffnung, dass Zusammenhänge noch irgendeine Rolle spielen könnten, vorangestellt ist. Dem tweet-gewohnten Verbraucher wird die Passage eventuell zu umfänglich sein, aber ein Marx-Experte sollte sie mühelos meistern.
Gauland erklärte in seiner Rede wörtlich (den ominösen Satz habe ich hervorgehoben): "Der große Philosoph Baruch Spinoza hat gesagt, sich selbst im Sein zu erhalten sei das erste und einzige Prinzip der Individuation. Das gilt für Personen wie für Völker. Das elementare Bedürfnis eines Volkes besteht darin, sich im Dasein zu erhalten. Das ist im Grunde unser Parteiprogramm in einem Satz. Nachdem es durch die Aussagen des deutschstämmigen Harvard-Politikwissenschaftlers Yascha Mounk in den ‚Tagesthemen’ sozusagen staatsfunkoffiziell geworden ist, dass das deutsche Volk ungefragt und gegen seinen Willen durch eine multiethnische Gesellschaft ersetzt werden soll, bedarf dieses Minimalprogramm keiner weiteren Erklärung. Wir stellen uns gegen diese kalte Entsorgung des Grundgesetzes. Wir wollen nicht ersetzt werden!
Liebe Freunde, wir befinden uns in einem Überlebenskampf gegen Kräfte, die ihr globalistisches Programm der Nationenauflösung, der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung und der Traditionsvernichtung als die Menschlichkeit und Güte selbst verkaufen. Wir sollen uns im Dienste des Menschheitsfortschritts verdrängen lassen. Wir sollen als Volk und als Nation allmählich absterben und uns in einem höheren Großenganzen auflösen. ‚Wer Menschheit sagt, will betrügen’, erklärte der französische Ökonom Pierre-Joseph Proudhon, ein Linker übrigens. Wir haben kein Interesse daran, ‚Menschheit’ zu werden, wir wollen Deutsche bleiben, damit sind wir Menschheit genug. Unser Kampf ist vollkommen defensiv. Es geht uns einzig um die Erhaltung unserer Art zu leben und zu sein."
Man sieht: Vom vermeintlichen Theodor-Fritsch-Zitat bleibt kein Schwefelkrümel übrig. Die Anführungsstriche bei "Menschheit" kann der AfD-Vorsitzende zwar so wenig mitlesen wie weiland Philipp Jenninger, aber u.a. durch das Proudhon-Zitat ist klar, das damit primär eine Qualität und keine Quantität gemeint ist, nämlich die Einheitsmenschheit in den Träumen der one-world-Phantasten. All die twitternden Hochbegabten inklusive des Spiegel-Kolumnisten, die behaupten, Gauland habe offenbar ein Problem mit der Mengenlehre, haben selber ein weit erheblicheres Problem mit der Bewertung von Quellen. Allein der unter den journalistischen Katzentisch gefallene Zusatz "damit sind wir Menschheit genug“ lässt ihren feilen Hohn ins Leere laufen.