Zugleich attackiert Kruse auch die Parteivorsitzenden
persönlich. Die AfD wirke „völlig führungslos“, schreibt Kruse. „Dabei
haben wir doch sogar zwei Vorsitzende. Aber der eine macht sich durch
Spontan-Ausfälle bei einzelnen öffentlichen Reden unglaubwürdig, weil er
in solchen Situationen seinen Bauch sprechen lässt, aber nicht seinen
Kopf. Der andere Vorsitzende wirkt, als hätte er keinerlei Autorität,
keinen ideologischen und strategischen Kompass und keinen Mut.“
Pegida-Kooperation widerspreche AfD-Linie
In Chemnitz habe es für die AfD „allen Grund“ für eine
Demonstration gegegen, „weil das Versagen der merkelschen
Migrationspolitik an einem weiteren Einzelfall überdeutlich wurde“, so
Kruse. „Dies gemeinsam mit Pegida, Pro Chemnnitz und anderen
Rechtsradikalen zu tun, ist aber nicht nur ein Verstoß gegen die
Beschlüsse der Partei, sondern vor allem ein Verstoß gegen die
politische Klugheit einer Partei, die nichts so sehr fürchten muss wie
das Abgleiten nach ‚rechts unten‘, das heißt ins rechtsradikale Lager
(wie das bei DVU und Republikanern auch passiert ist).“
Dass dies „keine belanglosen rechten Wutbürger“ gewesen
seien, „sondern die Demo von drei AfD-Ost-Landesvorsitzenden aus
Brandenburg, Thüringen und Sachsen angeführt wurde, macht mich
sprachlos“, schreibt der Hamburger Fraktionschef. „Früher habe ich
manchmal gedacht, dass solche Leute einfach nur politisch töricht und
ohne strategische Weitsicht sind. Heute glaube ich, dass es der
skrupellose Versuch ist, die AfD ins ganz, ganz rechte Lager zu treiben.
Das mag im Osten bei Einzelnen aus der ohnehin geringen Bevölkerung
Applaus bringen, im Westen ist es tödlich.“
AfD-Fraktionschef: "Das ist Nazi-Sprech"
Er habe kürzlich einen Ausschnitt der Rede des
Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz beim Kyffhäuser-Treffen gesehen,
so Kruse. „Das war Nazi-Sprech. Und wenn Sie meine Bewertung spontan
leugnen möchten und für übertrieben halten, empfehle ich Ihnen ein paar
Minuten der kritischen Reflektion.“ Kalbitz hatte ausweislich eines
Berichts der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ gesagt, die AfD sei „die
Götterdämmerung dieses globalisierten Multikulturalismus“ und
„Totengräber der fauligen Reste dieser 68er Zersetzung“.
Auch die in der Sendung zitierten Passagen aus einem Buch
des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke seien „Nazi-Jargon“, so Kruse. „Den
Autor haben Sie jahrelang unterstützt, Herr Gauland. Das sollten Sie
spätestens jetzt bereuen.“ Höcke hat laut ZDF in seinem Buch
geschrieben, wenn die „Wendezeit gekommen“ sei, würden die Deutschen
„die Schutthalden der Moderne“ beseitigen. Dafür werde „die deutsche
Unbedingtheit ... der Garant dafür sein“.
Kruses Fazit in seiner Mail an die Bundesvorsitzenden:
„Was jetzt nicht mehr hilft, ist eine Besänftigung nach dem Motto ‚wir
brauchen auch den Flügel‘. Nein, brauchen wir nicht. Oder ‚lasst uns das
intern austragen‘. Nein, die AfD braucht jetzt eine öffentliche
Distanzierung von den genannten Personen im Osten und eine klare Ansage,
dass sie konservativ bleiben will und dafür auch auf die Rechten zu
verzichten bereit ist.“ Er hoffe, dass sich die Bundesvorsitzenden jetzt
„Ihrer Führungsverantwortung bewusst werden, bevor es zu spät ist“.
Kontroverse auch in Hamburger AfD
Kürzlich hatte auch der Hamburger AfD-Landesvorsitzende Dirk Nockemann scharfe
Kritik an den ostdeutschen Landesverbänden geübt – vor allem daran,
dass der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke und dessen Mitstreitern in
Chemnitz Seite an Seite mit Pegida-Chef Lutz Bachmann und
Rechtsextremisten an einer Demonstration teilgenommen hatten.
„Gemeinsame Auftritte von Pegida und AfD Hamburg hat es nie gegeben und
wird es nicht geben“, sagte Nockemann dem Abendblatt. „Bachmann ist
Gewohnheitsverbrecher. Mit so jemandem arbeitet man nicht zusammen.“
Mit dem eigenen Fraktionschef Kruse liegt die Hamburger
Parteiführung allerdings auch im Clinch. Wegen dessen wiederkehrender
öffentlicher Kritik an der Bundesspitze haben Nockemann und Co ein
Parteiordnungsverfahren gegen Kruse eingeleitet. Dass Kruse noch
Fraktionschef ist, dürfte vor allem einen Grund haben: Sollte die
Fraktion ihn absetzen, würde er sie wohl verlassen – und mit dem
Bürgerschaftsvizepräsidenten Detlef Ehlebracht womöglich einen engen
Mitstreiter mitnehmen. Damit verlöre die AfD in der Hamburger
Bürgerschaft ihren Fraktionsstatus – und damit auch allerlei Vorteile im
Parlamentsbetrieb und finanzielle Zuschüsse. Jens Meyer-Wellmann