Stationen

Sonntag, 9. September 2018

Irren ist menschlich, auf dem Irrtum beharren jedoch teuflisch



In seiner neuesten Ausgabe widmet sich der Stern und besonders sein Kolumnist Ulrich Jörges Sachsen – wieder einmal. In seinem Text belässt es Jörges nicht bei den in der Hamburger Redaktion üblichen Ausdrücken der kulturellen Verachtung für „das dunkelste Bundesland Deutschlands” („Stern“). Er stellt dieses Mal auch eine Tatsachenbehauptung über einen ehemaligen Politiker auf, den früheren Innenminister Heinz Eggert, 72. Jörges behauptet: „Das braune Milieu war schon aus der DDR hinübergeschwappt in die neue Zeit. Und Mitglieder des Kabinetts Biedenkopf, allen voran Innenminister Heinz Eggert, fanden es prickelnd, abends in Dresdner Kneipen der Neonazis zu verkehren.“
„Das ist eine falsche Tatsachenbehauptung und eine Lüge“, so Eggert zu Publico. „Im Gegenteil: ich habe damals ab und zu mein Bier in Kneipen der Dresdner Neustadt getrunken und bin dort mit einem eher linken Publikum zusammengetroffen, das mich aber als CDU-Politiker akzeptiert hat. Es ist eine Unverschämtheit und ehrverletzend, mich in die Nähe von Rechtsradikalen zu rücken.“ Er fordert vom Stern eine „angemessene Richtigstellung“. Gegenüber Publico sagte Eggert, ihm sei schon einmal – damals in Mails und Briefen – Rechtsradikalismus vorgeworfen worden: Im Jahr 2000, als er davor warnte, die von BILD, taz und den meisten anderen Medien verbreitete Horrorgeschichte über ein von Neonazis ertränktes deutsch-irakisches Kind für bare Münze zu nehmen. Die Behauptung stellte sich damals als Lügenstory heraus. Eggert lag richtig.
Heinz Eggert war von 1991 bis 1995 sächsischer Innenminister – und eine Hassfigur für die rechtsextreme Szene, weil er die „Soko Rex“ gegründet hatte, eine Sondereinheit der Polizei für Strukturermittlungen im organisierten Rechtsextremismus. Dass der Politiker ab und zu Kneipen in der Dresdner Neustadt besuchte, konnte jeder damals in Artikeln über ihn lesen. Nur: in Neustadt gab und gibt es keine „Kneipen der Neonazis“. Das Viertel ist eher linksalternativ.
Publico fragte den „Stern“ nach der Quelle für seine Behauptung. Jörges antwortete:

„Sehr geehrter Herr Wendt,
die Quelle ist ein damaliges Mitglied der sächsischen Staatsregierung, das auch in der Minister-WG bei Kurt Biedenkopf wohnte. Es hat mir mehrfach davon berichtet. 
Freundlich grüßt Sie
Hans-Ulrich Jörges Kolumnist“

Hätte er dann nicht aber schreiben müssen: „Soll, wie ein Ex-Kabinettsmitglied erzählt, in Kneipen der Rechtsextremen verkehrt sein“ oder “wie kolportiert wird“? Wir erfahren auch nicht: war das Ex-Kabinettsmitglied selbst dabei? Oder gab es nur Gehörtes weiter? Jörges schreibt aber so, als handele es sich um eine bewiesene Tatsache.

Wie so oft, wenn es um den Osten geht, wird aus einer Behauptung umgehend eine faktische Feststellung. Im gleichen „Stern“ lautet eine Überschrift zu Chemnitz: „Nach der Hetzjagd“. Belege für eine „Hetzjagd“ sucht der Leser in der langen Bild- und Textstrecke über die sächsische Stadt vergebens.

In Jörges’ Kolumne stehen auch andere bemerkenswerte Dinge. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der kürzlich festgestellt hatte, es habe in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben, so dekretiert der Journalist aus Hamburg, müsse weg. Stattdessen erteilt er die Order, Merkels früheren Innenminister Thomas de Maizière als, nun ja, Gouverneur in Dresden einzusetzen. So muss man den „Stern“-Mann jedenfalls verstehen. De Maizière, findet Jörges, habe „die Härte, Erfahrung und Autorität, um Sachsen zu führen“. Und weist an: „Angela Merkel sollte Annegret Kramp-Karrenbauer also nach Dresden in Marsch setzen. Dort würde man gern einen bekannten Satz im neuen Kontext hören: Wir schaffen das.“

Härte, um die Sachsen zu führen, Generalsekretärin in Marsch setzen –  so schreibt der Vertreter einer westdeutschen Medienkaste, die den Ossis ansonsten bei jeder Gelegenheit vorhält, sie seien noch nicht in der Demokratie angekommen. Heribert Prantl etwa hatte im Herbst 2017 in der „Süddeutschen“ ein sächsisches Demokratiedefizit diagnostiziert, weil sie bei der Bundestagswahl die AfD öfter angekreuzt hatten als die CDU oder eine andere Partei.

Ganz nebenbei: Wer sich nur ein bisschen mit den politischen Verhältnissen in Sachsen auskennt, der weiß, dass es schon in der sächsischen CDU kaum eine Mehrheit für den gescheiterten Ex-Bundesinnenminister gäbe. Und selbst wenn – falls de Maizière von Merkels Gnaden in Sachsen tatsächlich für die Union antreten sollte, dann bekäme die AfD dort ernsthaft die Chance auf eine absolute Mehrheit. Derzeit sieht es ohnehin so aus, als würde die Partei in Sachsen bei der nächsten Landtagswahl zumindest stärkste Kraft. Sie steht mittlerweile im gesamten Osten vor der CDU. Auch dank der Qualitätsschreiber in Hamburg und München.    Wendt