Gerade eben noch schien alles wunderbar eindeutig. Hier die Guten, da
die Bösen; hier die Antifa, die sich um das Grundgesetz schart, da die
Nazis, die die Werte der Verfassung mit Füßen treten; hier die
Volksfront vom Bundespräsidenten bis zum Schwarzen Block, da die
Harzburger Front 2.0 von der AfD über Pegida bis zu den Kameradschaften;
hier die, die aus der Geschichte gelernt haben, da die, die schon
wieder „Pogrome“ (Jürgen Trittin) in deutschen Städten veranstalten.
Aber allmählich verliert sich die ordentliche Aufteilung. Da gibt es
erkennbar Unbehagen über die breite und hochoffizielle Unterstützung von
Gruppen, die unter dem Deckmäntelchen der Kunstfreiheit den Angriff auf
Polizisten und Journalisten herbeisehnen oder in
Vergewaltigungsphantasien schwelgen.
Der Verfassungsschutz agiert besonnen
Es wachsen die Zweifel daran, daß die Berichterstattung jenen Grad
sachlicher Richtigkeit hat, den man von Qualitätssendern, -zeitschriften
und -zeitungen erwarten muß. Und nach dem Generalstaatsanwalt des
Landes Sachsen hat nun auch der Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz festgestellt, daß nichts für die Behauptung spreche,
daß es in Chemnitz „Hetzjagden“ auf Ausländer gegeben habe.
Dieser Aussage kommt erhebliche Bedeutung zu. Denn sie spricht für
ein hohes Maß an Besonnenheit in einer Behördenleitung, die das
politische Berlin gern dazu bringen will, gegen die AfD vorzugehen: als
Drahtzieher von Ausschreitungen, Bindeglied zwischen Gemäßigten und
Extremisten oder als Biedermannfassade, hinter der der braune Mob darauf
lauere, die Macht zu übernehmen.
Wenn solche Behauptungen bei zwei Dritteln der Bundesbürger Glauben
finden, die die AfD überwacht wissen wollen, warum dann nicht an der
Spitze des Verfassungsschutzes? Aber Professionalität und Sachlichkeit
oder Abwägung der Vor- und Nachteile sprechen offenbar noch gegen eine
Observierung. Was das Risiko einer Beobachtung nicht aus der Welt
schafft, zumal einzelne und Gruppen in der AfD immer wieder so agieren,
daß der Eindruck entsteht, die gegen die Partei erhobenen Vorwürfe seien
nicht aus der Luft gegriffen.
Provokateure vom Dienst
Selbstverständlich muß man über ein erhebliches Maß an bösem Willen
und exegetischer Kleinkunst verfügen, um aus Björn Höckes Satz, die AfD
sei die „letzte friedliche Chance für unser Vaterland“ einen Putschplan
abzuleiten, und selbstverständlich hat Alexander Gauland seiner
Forderung nach einer „Revolution“ gleich die Erklärung nachgeschoben, es
gehe um eine „friedliche Revolution“, die keineswegs die
Verfassungsordnung selbst in Frage stelle.
Und um auch das klarzustellen: Gegen eine Dosis Polemik im Kampf um
die öffentliche Aufmerksamkeit ist nichts zu sagen; die
Schreckhaftigkeit des Philisters ist selbstverständlich kein Maßstab
dafür, wie weit man gehen darf. Aber da sind eben auch die Provokateure
vom Dienst und Leute, die sonst keine Freunde haben und ihr
Weltanschauungshobby gern zum Parteiprogramm machen würden, Ältere, die
die DDR als Modell gar nicht so schlecht finden, den Sozialismus nur
national lackiert sehen möchten, und die jungen Männer, denen der
Casinojargon gefällt und die Facebook- und Twitternarren, die mit einem
merkwürdigen Grad an Naivität oder Blödheit der Folgenlosigkeit ihres
Geredes vertrauen.
Nicht zu vergessen diejenigen, die stets auf der Suche nach einer
Bühne zwecks Selbstdarstellung sind und deren analytisches Vermögen sich
umgekehrt proportional zu ihrem Sendungsbewußtsein verhält. Und dann
ist da am Rande der Kreis der Einflüsterer, der Mann aus Schnellroda zum
Beispiel, der sich vorgestern noch voller Abscheu über die AfD geäußert
hat, gestern eine scharfe Wendung vollzog, als er die
Einflußmöglichkeit erkannte, und heute einmal düster dräuend raunt, um
ein andermal die Unschuld vom Lande zu geben, die schon aktiv über
Koalitionsperspektiven nachdenkt und eigentlich gar nichts anderes
möchte, als ein bißchen mehr Achtziger.
Seehofer wartet ab
Unter normalen Umständen wäre das alles kein Problem, zumindest kein
großes. Aber die Umstände sind eben keine normalen, sondern die
herrschenden. Das heißt die Politische Klasse ist nicht nur
entschlossen, die AfD als unliebsamen Konkurrenten wieder aus der Welt
zu schaffen, sie hat dabei auch ein ausgesprochen gutes Gewissen.
Verantwortlich dafür sind Vorstellungen, die ihrer Herkunft nach von der
äußersten Linken stammen, aber längst in der Mitte der Gesellschaft
angekommen sind; der „Antifaschismus“ zum Beispiel.
Man vergesse nicht, daß wir vor ein paar Jahren einen bayerischen
Innenminister hatten – den Christsozialen Günther Beckstein –, der offen
erklärte, man sei beim „Kampf gegen rechts“ stets sehr weit gegangen,
sogar „weiter als der Rechtsstaat eigentlich erlaubt“. Sein Parteifreund
Horst Seehofer übt zwar als Bundesinnenminister eine gewisse
Zurückhaltung, wird aber sofort zum Kurswechsel bereit sein, wenn der
Druck des Koalitionspartners wächst oder taktische Erfordernisse es
opportun erscheinen lassen.
Wahrscheinlich registriert man in Seehofers Umfeld aufmerksam, was in
Niedersachsen oder Thüringen passiert, wo die Observierung einzelner
Gliederungen der AfD eingeleitet wurde. Man muß den Vorgang nicht
übermäßig dramatisieren – der Zuspruch der Wähler für die AfD hält ja
unvermindert an –, aber man darf den Grad der Irritation bei den
Sympathisanten oder Zögerern auch nicht unterschätzen, deren Leben sich
keineswegs in einem geschlossenen Milieu abspielt und die deshalb ein
waches Empfinden haben, im Hinblick auf das, was geht, und das, was
nicht geht.
Das Projekt Volkspartei könnte sich erledigen
Sollte es tatsächlich zur Beobachtung der Partei durch das Bundesamt
kommen, dürfte es nicht beim Zurückweichen des äußeren Kreises bleiben.
Mag sein, daß der Opferstatus den Kern umso stärker bindet, aber die
Mehrzahl der Mitglieder und Anhänger wird die Folgen der Stigmatisierung
fürchten: die Partei verliert dann ihre Unterstützer aus dem
Öffentlichen Dienst, weiter die größeren und kleineren Unternehmer, die
den Weggang von Kunden zu fürchten haben, aber auch jene abhängig
Beschäftigten, die sich wegen ihres politischen Engagements dem Druck
ihrer Arbeitgeber ausgesetzt sehen.
Sie räumen das Feld für den allfälligen Rest: diejenigen, die schon
immer etwas gegen „Abgrenzeritis“ hatten, die Hardliner aus Überzeugung
wie die Randexistenzen, die nichts zu verlieren haben – weder Stellung
noch Reputation. Den Prozeß des Niedergangs werden diese Leute zudem als
Gesundschrumpfung deuten und sich gegenseitig mit Weltuntergangs- oder
Naherwartungsphantasien aufmuntern, – das Schicksal aller Sekten, auch
der politischen.
In jedem Fall wäre das Projekt „Die AfD, eine Volkspartei neuen Typs“
damit erledigt. Das Establishment hätte sein Ziel erreicht, und zwar
nicht, weil es so übermächtig ist oder alle Fäden zieht, sondern weil
man rechts der Mitte etwas getan hat, was man da – allen gegenteiligen
Beteuerungen zum Trotz – immer wieder, ganz ohne Not und gerne tut: sich
durch Disziplinlosigkeit und Ruhmredigkeit um Möglichkeiten bringen. Karlheinz Weißmann
Einerseits
ist Weißmanns Artikel eine sehr wichtige Warnung vor Übermut.
Andererseits warte ich seit 2013 darauf, dass wir endlich zum
Gegenangriff übergehen. Ich hab die verklemmte Duckmäuserei sowas von
satt. Bilanzierend muss gesagt werden, dass wir es nur der Erfurter
Erklärung zu verdanken haben, wenn wir je über die 7%-Marke
hinausgekommen sind. Ich werde nie vergessen, wie schlecht Lucke Anfang
2014 im Gespräch mit einem herablassend auftretenden Lambsdorff bei
Peter Hahn argumentierte (seit damals nenne ich ihn den 7%-Bernd). Ich
werde nie vergessen, wie korinthenkackerisch zahm er auf Plasbergs
unsägliche Schmähungen wegen des Wortes "entartete Demokratie"
reagierte. Ich werde nie vergessen, wie Lucke nach der Erfurter
Erklärung sich auf einmal selbst gegenüber dem fiesen Michel Friedmann
verhielt, als wolle er gern sein Schoßhündchen sein. Lächerlich und
feige. Rhetorisch begabte Männer wie Nicolaus Fest, Max Otte und Gottfried Curio müssen besonnen,
aber gnadenlos zum Gegenangriff übergehen und mit dem von Maaßen zur
Verfügung gestellten Pfund jetzt unnachgiebig wuchern. Ich warte seit
2013 auf rhetorische Eskalation in diesem verdrucksten Philisterland. Gottfried Curio
ist bisher der Einzige, der es richtig macht und die ungeheure Kraft
nutzt, in deren Besitz sich der Rechtschaffene befindet, wenn alle
lügen. Wenn alle lügen, dann ist die Wahrheit eine unschlagbare Waffe (das
hat man in den Jahren 1994 bis 96 an Berlusconi beobachten können). Die Einheit
macht uns stark, nicht die Abgrenzeritis. Wenn der eine oder andere
AfD-ler etwas schreckliches sagt, ist es vor allem deshalb schrecklich,
weil er nie souverän und intelligent verteidigt wird. Man braucht nur
Patzelts Gutachten zu der Frage, ob Höcke ein Rassist ist zu lesen, um
zu sehen, wie Patzelt mit Bezug auf die "wissenschaftliche Literatur"
einen "kulturellen Rassismus" herbeihalluziniert, weil kein
biologistischer Rassismus vorhanden ist und Höcke nur eine anschauliche
Analogie aus der Bevölkerungsbiologie als Metapher verwendet hatte.