Irgendwann
in den frühen 1990ern, ich arbeitete damals als Journalist, bekam ich
einen Brief, dessen Absender in einer, wenn ich mich recht entsinne,
niedersächsischen Justizvollzugsanstalt einsaß und mir seine Geschichte
erzählen wollte. Ich weiß nicht mehr, warum die Sache damals nicht
zustande kam, denn die angekündigte Geschichte versprach, bizarr,
amüsant und obendrein bezeichnend für das Verhältnis von Frauen zu
Männern zu werden. Gestern, als ich Lothar Matthäus bei der
TV-Übertragung der Champions-League den Experten geben sah, fiel mir
dieser Brief wieder ein. Es wäre jammerschade, wenn er in Vergessenheit
geriete.
Also: Der besagte Sträfling schrieb, dass er eine
frappierende Ähnlichkeit mit Lothar Matthäus besäße, die ihm zunächst
zum Vorteil und schließlich zum Verhängnis geworden sei. Wir erinnern
uns, zu dieser Zeit war der Kapitän des FC Bayern und der deutschen
Nationalmannschaft (die hieß damals noch so) ein Weltstar, 1990 und 1991
hatte man ihn zum "Weltfußballer" gekürt, jeder kannte ihn, und von
seinen inzwischen bzw. bisher fünf Ehefrauen umspielte er seinerzeit
erst die zweite (Lolita). Sein Doppelgänger nun, von dem hier eigentlich
die Rede ist, wurde, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegte,
ständig mit dem Fußballer verwechselt, gegrüßt, um Fotos oder Autogramme
gebeten, vor allem aber: von Frauen angemacht. Speziell in diesem
Falle, schrieb er, habe es ihm selten geholfen, wenn er beteuerte, er
sei gar nicht Matthäus; vielmehr seien die Mädels dann erst richtig in
Fahrt gekommen, weil sie vermuteten, er verstelle sich nur, um seine
Ruhe zu haben. Viele hätten partout nicht auf die Beute verzichten
wollen (Harald Schmidt: "Was wollen Jungen werden, wenn sie groß sind?
Oliver Kahn, Michael Schumacher, Lothar Matthäus. Was wollen Mädchen
werden, wenn sie groß sind? Frau Kahn, Frau Schumacher, Frau Matthäus").
Schließlich habe er sich gesagt: Was soll's, und sei das erste Mal
mitgegangen.
Im Namen des echten Lothar mauselte sich der
falsche fortan durch die Betten der Republik, ob dessen Ruhm mehrend
oder beschädigend, ist mir nicht bekannt. Bei allem Vergnügen muss den
armen Sünder – ich psychologisiere jetzt mal ein bisschen und vor allem
zugunsten des Täters, wie es hierzulande ja Brauch und Sitte ist – ein
Knacks am Selbstwertgefühl und/oder eine gewisse Verachtung für seine
Bekanntschaften heimgesucht haben, denn all die willigen Damen gaben
sich ja keineswegs ihm hin, sondern dem abwesenden Loddar.
Da unser Lückenfüller selber unendlich weniger wohlhabend war, als
seine Gastgeberinnen von ihm vermuteten, drehte der
Felix-Krull-Wiedergänger gewissermaßen den Spieß um und nahm von ihnen,
was diese sich in weit größerem Stil von ihm erhofften: nach der Lust
auch den Schmuck, das Bargeld, was so herumlag. Aus der Sicht der Frauen
war dies besonders gemein, denn sie mussten sich nun doppelt betrogen
vorkommen, auch wenn sie dieses Betrogenwerden mit aller Gewalt
herbeigezwungen hatten. An die Möglichkeit, die eine oder andere möge
auch nach dem Verschwinden des nächtlichen Gastes samt ihrer Armbanduhr
und ihres Verlobungsringes immer noch geglaubt haben, es sei der
originale Matthäus gewesen, wollen wir gar nicht denken.
Irgendwann
flog die Sache auf, der Polizei muss die Fahndung vergleichsweise
leicht gefallen sein, und der falsche Matthäus fuhr ein. Ich weiß nicht,
was man ihm aufgebrummt hat, nehme aber an, dass er mit Erinnerungen
für die stillen Stunden hinreichend versorgt war... MK am 20.