Was in Deutschland stattfindet, ist eine Mischung
aus dem, was im englischen Sprachraum die «German angst» heisst, und
einer in Schnappatmung und Gehirnstarre verfallenden deutschen
Publizistik. Die einzigen beunruhigenden Verbrechen, die bislang
zu konstatieren sind, sind Denk- und Sprachverbrechen. Denn in Chemnitz
tobt nicht der Lynchmob, wer die AfD wählt, wählt nicht die Nazis. Die
aktuelle BRD hat nichts mit der Weimarer Republik zu tun, und wer
Gauland – vielleicht wegen seines Namens – für einen neuen Hitler hält,
sollte dringend seine Medikamente nehmen. Das gilt auch für Trump,
obwohl der Spiegel bereits die Machtergreifung des Faschismus in den USA
beklagt.
Es
hätte etwas Lachhaftes an sich, wie sich hier Publizisten, Analysten
und Politiker zum Deppen machen, wie sie mahnen und erinnern, den
braunen Teufel an die Wand malen, oder wie der deutsche Aussenminister
ein «Aufstehen gegen rechts» fordert. Der will auch gegen die USA
aufstehen und tapfer den Atomvertrag mit Iran weiter einhalten.
Damit
macht er sich gleich zweimal zur Witzfigur. Denn neben der publizierten
Realitätssicht gibt es noch so etwas wie eine Wirklichkeit. Und die
sieht ganz anders aus. Denn in den USA hat nicht der Faschismus die
Macht ergriffen, und auch in Deutschland steht die Wiederauferstehung
des Dritten Reichs nicht auf der Agenda.
Also könnte man sich
belustigt zurücklehnen, wenn es nicht zwei tatsächlich beunruhigende
Probleme gäbe. Das eine ist aus der Geschichte des Schwimmers bekannt,
der immer wieder «Hilfe, ich ertrinke» ruft, den herbeieilenden Rettern
dann eine lange Nase dreht und tatsächlich ertrinkt, weil ihm niemand
seine diesmal echten Hilferufe glaubt. Genau das gleiche Problem
existiert, verschärft angesichts einer einschlägigen Vergangenheit, in
Deutschland.
Bereits
ein paar Lumpen, die den Hitlergruss machen, reichen aus, damit das
deutsche Justemilieu in Wallungen gerät und das Ende der Republik nahen
sieht. Ein unbequemer Autor, der zum Leidwesen des Feuilletons
Bestseller schreibt, die nicht ganz politisch korrekt sind, reicht schon
aus, um sein neustes Buch mit einem Ebola-Ausbruch zu vergleichen.
Noch
wichtiger ist der zweite Punkt: Was hat die AfD mit Trump in den USA,
mit Lega und 5 Stelle in Italien, mit Orban in Ungarn, mit Macron in
Frankreich und mit den Schwedendemokraten gemeinsam? Dass das alles
«Rechtspopulisten» sind? Nein, das ist nur ein inhaltsloser
Kampfbegriff. Sie haben gemeinsam, dass sie viele Wähler binden, die
nicht für sie stimmen, sondern gegen ein «weiter so», gegen die
traditionellen Exponenten einer Politik, die viele Probleme und Sorgen
immer breiterer Bevölkerungsschichten nicht berücksichtigt, nicht
beantwortet. Deshalb muss eine AfD, was ihr immer wieder vorgeworfen
wird, gar keine grossartige Renten- oder Sozialpolitik bereithalten.
Die
Altparteien haben ja auch keine Antwort auf die drängende Frage, wie
denn die Renten in Zukunft bezahlt werden sollen. Angesichts des sich
dadurch auftürmenden Unmuts reicht ein «so nicht», «mit denen nicht
weiter» als Protestprogramm. Das hat aber mit dem Ende der Demokratie
oder Faschismus nichts zu tun. Überhaupt nichts.
Am schlimmsten ist allerdings: Diese ewigen Vergleiche aktueller
Ereignisse mit dem Hitler-Faschismus, seinen Pogromen, seiner
Vernichtung von Juden und Andersdenkenden, seinem Rassenwahn und
Herrenmenschentum in dunklen Zeiten, das ist eine unerträgliche
Verhöhnung der damaligen Opfer.
Wer in Chemnitz von einem
Lynchmob spricht, weiss nicht, was ein Lynchmob ist. Wer jeden
AfD-Wähler zum Nazi macht, weiss nicht, was ein Nazi ist. Wer Sarrazin
zu einem Ideologen des rassenreinen Ariertums macht, hat keine Ahnung,
was ein solcher Ideologe denkt, sagt und schreibt. Wer vorschnell «Nazi»
ruft, ist genauso dumm wie der Idiot, der die Hand zum Hitlergruss
erhebt. (Basler Zeitung)