Stationen

Sonntag, 16. September 2018

Deeskalationsprofis im Lügenäther


Ein erstaunlich hilfreicher Text steht im Ärzteblatt. Unter dem Motto: "Verbale Gewalt, Drohungen, gar Übergriffe sind Alltag in Praxen geworden. Ärzte und Mitarbeiter kann es jeden Tag treffen", berichtet das Magazin über ein Seminar "Gewalt gegen Ärzte". Veranstalter ist die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg. Ein Polizist mit Erfahrungen im Anti-Terror-Einsatz sowie ein Krankenpfleger aus der psychiatrischen Notaufnahme demonstrieren "20 Ärzten, Praxismitarbeitern und Psychotherapeuten, wie sie sich verhalten können, wenn es in der Praxis brodelt".
Wer oder was mag in den Praxen brodeln? Der Broder? Marodierende Touristen aus Sachsen? Skinheads? Na ja, der Osten jedenfalls, kennt man ja, das sind halt noch halbe Wilde.
"Die Statistik bestätigt, was das medizinische Personal erlebt. Nicht nur in Brandenburg, sondern im ganzen Land. Erst kürzlich hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der NAV-Virchow-Bund Zahlen zum Thema alltägliche Gewalt in Praxen vorgelegt. Demnach gibt es bundesweit in Arztpraxen täglich 75 gewalttätige Vorfälle."
Uuups. Ü-ber-all? Aber warum? Ich meine: Warum haben die Medien nicht eher darüber berichtet? Was passiert seit der Gründung der Bundesrepublik eigentlich unbeachtet in unseren Arztpraxen?
"Der eskalierende Streit ist das Ende der Kette. Es ist der Moment, wenn die Versuche zu beschwichtigen gescheitert sind, wenn der Disput um Termine, Wartezeiten, Rezepte oder eine Krankschreibung nicht sachlich gelöst werden konnte."
Disput? Muss es nicht "Diskurs" heißen? Na gut, herrschaftsfreier Disput geht auch. Der kritisch-aufgeklärte deutsche Patient (nicht zu verwechseln mit dem englischen Patienten) führt eben einen Disput um Termine, Rezepte und Behandlungsart, oder bilden sich die Götter in Weiß ein, dass sie im Jahr 89 n. Habermas über die Bedürfnisse der Patienten hinweggehen können wie bei den Nazis oder im Kaiserreich?
Manche tun dies offenkundig, "und bei einigen sind die Erlebnisse schockierend. Dermatologische Praxis: Androhung, ein Messer zu zücken. Kinderarztpraxis: Tritte einer aggressiven Mutter gegen den Arzt. Allergologische Praxis: Regelmäßig ausfallend werdende Patienten. Psychiatrische Praxis: Patient verwüstet Praxis. Internistische Praxis: Sexuelle Belästigung durch Patienten."
Es handelt sich dabei augenscheinlich um so etwas wie aus dem Ruder gelaufenen Mitsprache, also eine im Grunde löbliche Sache. Denn, wie einer der Trainer erläuterte: Der Patient ist schließlich das "schwächere Glied der Kette", wenn auch an sich oft der Stärkere. "Sie haben medizinisches Fachwissen. Der Patient nicht. Sie kennen die praxisinternen Abläufe. Der Patient nicht." Und dann landet dessen Hand eben mal am Messer oder im Schritt der Schwester.
Für solche Situationen müsse man die Praxis "räumlich vorbereiten", empfehlen die Deeskalationsprofis, berichtet das Ärzteblatt. Dazu gehöre "auch die Ausrichtung des Schreibtischs im Arztzimmer". Die Dinger stünden "oft falsch" und verbauten dem Weißwild jede Rückzugsmöglichkeit. Eingekesselt zwischen Wand und Schreibtisch wie die Sechste Armee zwischen Rokossowski und Watutin überlegt sich aber höchsten jeder ca. 76. Mediziner bisweilen, ob der Approbation nicht besser eine Nahkampfausbildung hätte vorausgehen sollen.
"Stellen Sie die Möbel so, dass im Falle eines Übergriffs jederzeit die Flucht möglich ist", empfehlen die Arztzimmerdesigner. Und: "Sachen die fliegen können, sollten Sie besser wegräumen." Gebetsteppiche zum Beispiel. Oder Untersuchungsliegen. Ultraschallgeräte. Injektionswagen. (Dass Steine einfach von selbst zu fliegen beginnen, dieses Mysterium wurde bislang ja nur auf Antifa-Events beobachtet.)
Nach der korrekten Aufstellung des Mobiliars kommen die Abwehrspezialisten zum korrekten Verhalten. Dass sie "Abstand zum Gegenüber halten" sollten, dürfte für Ärzte, die selber gesund bleiben wollen, eine Selbstverständlichkeit sein – aber, hier herrscht oft Unklarheit, es müssen "mindestens zwei Armlängen" sein, "nicht lediglich eine wie viele glauben“, darunter die Kölner Oberbürgermeisterin, aber die hat ja von moderner Medizin keine Ahnung. "Wenn ich zwei Armlängen unterlaufe, muss mir im Vorfeld klar sein, dass ich in einer potenziell gefährlichen Situation bin", sagt einer der Ausbilder. Zu diesem Zweck arbeiten die Medizingerätehersteller derzeit beschleunigt an der Herstellung von Teleskop-Stethoskopen und fernbedienbaren, aber flugunfähigen Blutdruckmessgeräten.
War das schon alles? Nein: "Ganz wichtig für die Konfliktsituation ist auch: stabil stehen. Ausfallschritt, ein Fuß vor dem anderen, den guten Fuß nach vorne, Knie leicht gebeugt. Aus dem stabilen Stand heraus ließe sich in Notsituationen viel besser agieren." Boxprofis empfehlen, bei den Meidbewegungen noch zu tänzeln, aber wenn der fällige Konter gesetzt wird, beispielsweise ein rechter Seitwärtshaken zum Kinn, ist ein stabiler Stand die halbe Miete.

Fassen wir zusammen: Woran erkennt man im Zeitalter der Neuen deutschen Medienschaffenden einen Neuen deutschen Medizinschaffenden? Daran dass er zwei Armlängen Abstand hält, Ausfallschritt, einen Fuß vor dem anderen, den guten Fuß nach vorne, Knie leicht gebeugt, bevor er den Patienten fragt: "Na, was fehlt uns denn?" (Warum ich bei diesem chirurgischen Fachtext auf die Neuen deutschen Medienschaffenden komme, hat, nebenbei, mit dem zu tun, was in dem Artikel auffallend fehlt.) Zu einem selbstsicheren Auftreten, versichern die Medizinpersonalschützer, gehöre übrigens auch eine starke Stimme. Sie tauge auch zur Verteidigung und könne das Gegenüber verunsichern. Ein herzhaft gebrülltes "Wir schaffen das!" hat schon manche Situation entschärft.
Als wirksamstes Placebo für Patienten, die mit dem Rezept unzufrieden sind, empfiehlt einer der Trainer indes "aus eigener Erfahrung" die gute Laune: "Kollegen, die gerne zur Arbeit kommen, werden weniger angegriffen." Unbegreiflicherweise werden es trotzdem immer weniger.


                                ***

Einer soeben ausgestrahlten TV-Werbung entnehme ich, dass der Synchronsprecher von Kevin Spacey weiterhin völlig unbehelligt sein Unwesen treiben darf.


                                ***


Bezugnehmend auf meine Notiz zur Kündigung des Schulvertrags für die Kinder von Caroline Sommerfeld-Lethen (Eintrag vom 14. September) möchte mir Leser *** seine eigenen Erfahrungen "aus einer deutschen Metropolregion berichten. Ich bin zwar kein neurechter Publizist, wurde aber ähnlich behandelt. Mein Vergehen war, daß ich, nachdem die Stadt begonnen hatte, ein Asylbewerberheim direkt neben die Kita, die meine Kinder damals besuchten, zu bauen, einen Brief an den katholischen Träger der Kita schrieb. Darin bat ich den Träger, bei der Stadt darauf hinzuwirken, daß bei der Belegung des Asylbewerberheims auf den nahen Kindergarten Rücksicht genommen wird und keine absehbar problematische Klientel (z.B. sog. UMA) dort untergebracht wird. In der Antwort hieß es sinngemäß, man achte selbstverständlich meine Meinung, sei aber Weltoffenheit und Toleranz verplichtet (von der Fürsorgepflicht für die anvertrauten Kinder war interessanterweise nicht die Rede) und spräche daher nicht mit der Stadt. Der Briefwechsel liegt schon ein paar Jahre zurück, aber bereits damals war offensichtlich, daß sich unter den sog. Flüchtlingen so mancher Desparado befindet. Kurz nach dem Briefwechsel wurde mir mündlich mitgeteilt, daß nach Ablauf des laufenden Betreuungsvertrags kein neuer mit mir abgeschlossen werden würde.

Ein interessanter Kontrast zu dieser Erfahrung ist diese Reaktion eines evangelischen Trägers, der es mit einem echten Extremisten (allerdings mit anderer Ausrichtung und in einer anderen Rolle) zu tun hatte" – und zwar hier und hier.

"Bitte nennen Sie", schließt ***, "bei einer möglichen Erwähnung dieser Zeilen auf Acta Diurna nicht meinen Namen."

Na wo werde ich denn, geehrter Herr ***, ich weiß doch selber, was im besten Deutschland, das es je gab, besser unterbleiben sollte.


                               ***
Ich habe auf diesen Seiten gelegentlich darauf insistiert, dass eine Entmischung der Gesellschaft – keine ethnische, sondern eine ideologisch-lebensartliche – uns die Lösung vieler Probleme bescheren könnte. Auf bemerkenswert konzise Weise hat der Unternehmer Titus Gebel hier dargelegt, warum es besser wäre, wenn die Linke über ein eigenes Territorium verfügte, wo sie das Leben nach ihren Vorstellungen organisieren und die arbeitende Klasse verschonen kann.


                               ***
"Aus der Nicht-Hetzjagd von Chemnitz wird jetzt die echte Hetzjagd auf einen Spitzenbeamten": Geradezu aufreizend souverän erklärt Alexander Wendt die Motive hinter der Kampagne gegen Verfassungsschutzchef Maaßen.    MK am 15.



Es gibt paradoxerweise keine präzisere Definition für die gegenwärtige öffentliche Auseinandersetzung als Peter Sloterdijks nebelhafte Wortschöpfung vom „Lügenäther“ – ein schleichendes, kaum merkbares Gift, das wir einatmen, einzuatmen gezwungen sind, sobald sich die Bundesregierung in Sachen Islam oder Flüchtlingskrise über die Staatsmedien der öffentlich-rechtlichen Anstalten äußert. Denn alle ihre Äußerungen haben einen Dreh, einen doppelten Boden, und sie enthalten das, was man als Zwecklügen bezeichnen kann.
Der jüngste Fall betrifft die Chemnitzer Demonstrationen nach dem Mord an Daniel H., in welchen Regierungssprecher Steffen Seibert von „Zusammenrottungen“ (ein Straftatbestand aus DDR-Zeiten) und von „Hetzjagden auf Menschen“ sprach, ein Vorwurf, der von der Kanzlerin persönlich wiederholt wurde, obwohl bald klar war, daß dieser dann doch eine faustdicke Entstellung der Ereignisse war, um nicht zu sagen: eine Lüge. Es hat sie einfach nicht gegeben.
Verschreckende Kaltschnäuzigkeit
Es kam zu Rempeleien, besonders als linke Gegendemonstranten aufzogen, aber zu „Hetzjagden auf Menschen“ ganz schlicht und einfach nicht, was sowohl die Chemnitzer Freie Presse wie Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigten. Selbst der oberste Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen konnte Jagden nicht bestätigen. Was ihn nun in schwere politische Bedrängnis gebracht hat.
Die Lüge zersetzt jede Kommunikation, das wußte schon Kant. Der Lügner nimmt weder sich noch den anderen ernst. Die wohl größte Lüge derzeit ist diejenige, die aus zivilen Protesten gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung, zumal nach einem weiteren mörderischen „Einzelfall“, einen rechtsextremen Mob macht.
Mit einer schon verschreckenden Kaltschnäuzigkeit wiegelt die Regierung, gemeinsam mit einer denkfaulen und moralisch empörungsbereiten Presse, das Wahlvolk auf, um es gegen Kritiker zu mobilisieren.
Es ist eine Politik kalkulierter elitärer Grausamkeit, die ihre Bataillone mit einem unwiderstehlichen Angebot auf die Straßen jagt: dem des reinen Gewissens im Haß auf Dissidenten, also dem der Selbstgerechtigkeit.
Vernebelndes Gestotter
Auch die Sprache übrigens leidet. Man habe, so die Kanzlerin, Demonstrationen erlebt „mit Erscheinungen, die nicht in Ordnung sind“. Sie meinte auf einem Amateurvideo „sehr klar Haß“ gesehen zu haben, „und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen“. Und schließlich: „Es ist eine angespannte Stimmung, in der auch jeder, glaube ich, und jede Position beziehen sollte.“
Nun sind solche Verklausulierungen und gezielten Ungenauigkeiten, kurz: das vernebelnde Gestotter, eine direkte Konsequenz des Lügen­äthers, der seit den Anfangstagen der Flüchtlingsinvasion in den öffentlichen Raum geströmt ist. Etwa so: „Für die Bundesregierung kann ich sagen, daß wir Recht und Gesetz einhalten wollen und werden, und daß wir das, wo immer das notwendig ist, auch tun“ (Merkel am 20. Juli 2018 bei einer Pressekonferenz).
Es begann mit Behauptungen wie „Die Grenzen lassen sich nicht sichern“ oder „Wir schaffen das“ oder den berüchtigten „Einzelfällen“, die „nichts mit dem Islam zu tun“ haben und bei denen das Verschweigen der meist muslimischen Täter, oder gar der Tat selbst, zum Spiel gehörte. Und immer werden die „Anständigen“ aufgefordert, nicht Wasser auf die Mühlen der „Rassisten“ zu leiten und die Demokratie „gegen Rechts“ zu verteidigen. Denn Warnungen vor dem Islam gelten merkwürdigerweise als rechts, obwohl dessen Sittengesetze ganz besonders den Linken zusetzen würden.
Auf der Kante zur Hysterie
In Sachsen ist das Gespür für die offizielle Lüge, aus leidvoller Erfahrung, sehr viel ausgeprägter als im Westen. Auch die Witterung für eine Selbstaufgabe als Nation, die der muslimischen Invasion mit offenen Armen begegnet.
Aber die verlangten Positionen wurden bezogen. Der Spiegel schrieb die Chemnitzer Demonstrationen zu einer Machtergreifung des braunen Mobs hoch, als zögen bereits paramilitärisch organisierte Nazis durch die Straßen.
Es ist der Spiegel, stets auf der Kante zur Hysterie, der ja bereits mit der Wahl von Trump „das Ende der Welt“ verkündete und just den schönsten Sommer seit langem als Bestätigung des Klimawandels sah. Der Spiegel, der im „Widerstand gegen die tradierten Parteien“ bereits einen Bruch der Demokratie sieht, ausgerechnet dieses Magazin, in dessen DNS einst die Kritik an der Regierung fest verankert war.
Mittlerweile scheint der Schulterschluß mit der Regierung und ihren Verlautbarungen erste Bürgerpflicht zu sein. Zu den merkwürdigsten Verstauchungen im öffentlichen Raum zählt wohl diejenige, daß sich Linksextremisten, die noch vor einem Jahr Hamburg anläßlich des G20-Gipfels in Schutt und Asche legen wollten, mittlerweile zur Prätorianergarde des politischen Establishments aufschwingen dürfen. Die partizipieren dürfen am Rausch elitärer Grausamkeit.
Letztes Aufgebot
So trafen sich jüngst auf einer „Merkel muß weg“-Demo 187 Hamburger Bürger, die mit Wasserwerfern vor 10.000 Linksradikalen geschützt werden mußten. Das vom Bundespräsidenten angeregte Freiluftkonzert „gegen Rechts“ in Chemnitz wurde von 65.000 Menschen besucht.
Ob diese „Zusammenrottungen“ nun letztes Aufgebot der politischen Klasse sind, eine Art rotbrauner Volkssturm, der hier mobilisiert wird angesichts dramatisch sinkender Zustimmungsquoten und damit einer ausgewachsenen Legitimationskrise, oder einfach idiotischer Kampagnenirrsinn („Wir sind mehr“) als Festival der Selbstgerechten, läßt sich kaum unterscheiden. Aber eines ist sicher: Die Lüge hat sich endgültig eingenistet; wir sollen offenbar lernen, mit ihr zu leben und die Auflösung unserer Kommunikation wie unserer Institutionen als schicksalhaft hinzunehmen.   Matussek