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Freitag, 17. Januar 2020

Der unbestechliche, standhafte Hubertus Knabe



Nimmt man all das zusammen, spricht vieles dafür, dass Angela Merkel an ihrem Institut an maßgeblicher Stelle in den DDR-Politbetrieb eingebunden war. Das ist deutlich mehr, als Gruppenratsvorsitzender der FDJ in einer Schulklasse gewesen zu sein. Es ist aber auch deutlich weniger, als – wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) – als hauptamtliche Funktionärin im Zentralrat der FDJ gearbeitet zu haben. Und es ist schon gar kein Anlass dafür, dass ihr Ex-Linken-Vorsitzender Oskar Lafontaine das „FDJ-Hemdchen“ zum Vorwurf macht, während er selbst mit SED-Chef Erich Honecker per Du verkehrte. Man mag Merkel vorwerfen, dass sie als Bundeskanzlerin nicht wirklich offen über ihre DDR-Vergangenheit spricht. Ein Beleg für eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst ist ihre vergleichsweise unbedeutende Funktion in der FDJ in jedem Fall nicht.

Bedeutsamer erscheint dagegen, dass Angela Merkel ihren eigenen Angaben zufolge am Rande eines Vorstellungsgespräches 1978 in der Technischen Hochschule Ilmenau auf eine Mitarbeit beim MfS angesprochen wurde. Solche Anwerbeversuche erfolgten in der Regel nicht spontan, sondern gemäß Richtlinie 1/79 nach gründlicher vorheriger Prüfung des Kandidaten durch den Staatssicherheitsdienst. Voraussetzung waren „die für die geforderten Leistungen und die festen Bindungen an das MfS notwendigen subjektiven Merkmale wie Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, politisch-ideologische und charakterliche Persönlichkeitsqualitäten.“ Zu jedem Kandidaten musste ein IM-Vorlauf angelegt werden, in dem die konkreten Anforderungen und der „bereits erkennbare Umfang und Grad ihrer Erfüllung“ zu dokumentieren waren. Deshalb finden sich in den Vorlauf-Akten oft auch erste Berichte, die der Kandidat schon vor der förmlichen Werbung gegeben hatte.

Ob es einen solchen Aktenvorgang zu Angela Merkel gibt, lässt sich bislang nicht sagen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat keine entsprechenden Dokumente herausgegeben. Das könnte daran liegen, dass die Stasi entgegen den Vorschriften keinen förmlichen IM-Vorlauf angelegt hat. Oder die Akte wurde vernichtet oder sie enthält ausschließlich Informationen über sie und nicht von ihr. Da das Stasi-Unterlagen-Gesetz selbst bei höchsten Staatsämtern keine Möglichkeit bietet, Auskunft über die Aktenlage zu erzwingen, liegt es allein in Merkels Hand, zu diesem Punkt Transparenz herzustellen.

Nimmt man alle diese Fakten zusammen, muss man zu folgendem Schluss kommen: Für die Behauptung, Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte unter dem Decknamen „Erika“ für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet, gibt es keinerlei Belege. Sollte es einen entsprechenden IM-Vorgang gegeben haben, müssten selbst im Fall seiner Vernichtung zumindest noch Spuren davon erhalten sein – zum Beispiel Berichte aus der Quelle „Erika“, die in den Akten ausgespähter Personen abgelegt wurden. Das ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand aber nicht der Fall. Ob die Säcke mit den zerrissenen Unterlagen darüber hinaus gehende Hinweise enthalten, bleibt Spekulation.

Bleibt noch die Frage, woher eigentlich der Deckname „Erika“ stammt. Er wird so selbstverständlich als Synonym für Angela Merkel benutzt, dass man annehmen müsste, es gäbe – wie bei Gregor Gysi („Notar“), Manfred Stolpe („Sekretär“) oder Lothar de Maizière („Czerny“) – Stasi-Unterlagen, aus denen das hervorgeht. Das ist aber nicht der Fall.

Geht man der Sache auf den Grund, stößt man nach langem Suchen auf einen Mann, der vor Jahren behauptete, dass Merkels Ex-Kollege Michael Schindhelm sie in seinem Roman „Roberts Reise“ beschreibt – und dort Erika nennt. Weil Schindhelm IM war und Merkel diesen Namen gab, sei dies auch ihr Stasi-Name gewesen. Eine Romanfigur aus dem Jahr 2000 als Beleg für einen Decknamen des MfS? Die Wirklichkeit ist noch kurioser: In Schindhelms Roman gibt es gar keine Erika. Die junge Wissenschaftlerin, die Radtouren durch die Mark Brandenburg liebt und sich für Gorbatschows Sowjetunion interessiert, heißt – Renate. „Erika“ ist demnach nicht einmal eine Romanerfindung.

Und das im Netz so populäre YouTube-Video, das Angela Merkel mit Egon Krenz zeigen soll? Auch diese Behauptung ist eine Erfindung. Die kurzhaarige Frau ist die damalige Gattin des FDJ-Chefs Eberhard Aurich, wie dieser in einer Email bestätigt. Auch er habe sich schon über diese Fehlinformation aufgeregt. Honeckers Sekretär ist ebenfalls nicht echt, denn dieser hieß nicht Friedhelm Nuschke, sondern Frank-Joachim Herrmann. Und der im Internet abgebildete Orden ist ein anderer als der, den sie als Schülerin für ihre guten Leistungen erhielt. Nur das lachende Mädchen in der Uniform der DDR-Zivilverteidigung ist tatsächlich Angela Merkel. Eine ihrer früheren Mitschülerinnen hatte es 2013 der BILD-Zeitung zur Verfügung gestellt – zu einer Zeit, als es im Internet gerade populär zu werden begann, sie grundlos „IM Erika“ zu nennen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Hubertus-Knabe.de, der neuen Website von Hubertus Knabe, die sich durch die Akribie des Historikers auszeichnet. Sehen Sie sich dort unbedingt auch die vielen zusätzlichen Dokumente und Fotos zum Thema an. Wir danken dem Autor.

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