Wohin gehen Sie normalerweise, geschätzte Damen und Herrinnen, um gepflegt abzuschalten?
Klar, zu Beethovens "Fidelio". Speziell die beiden Solonummern des
Liebespaares sind ohne ein gepflegtes Abschalten gemeinhin nicht
aushaltbar, sofern nicht allererstklassiges Personal engagiert wurde.
Mit der menschlichen Stimme hatte es Ludwig van eben nicht so.
Eine Kulturredakteurin von Focus online
meint aber etwas anderes. Zum Auftakt des Beethoven-Jubiläumsjahrs an
der Bonner Oper mit des Jubilars einziger Nummer dieses Genres schreibt die kundige Maid:
"Wer aber glaubte, auf einem der rund 1000 Plätze zu Beethovens großer
Musik gepflegt abschalten zu können, hatte sich gründlich geschnitten."
Weil Waltraud Meier und Jonas Kaufmann...? Nein, weil die Regie die
Kerker-Oper des Bonners gegen die "kommode Diktatur" von Recep dem Prächtigen in Szene setzte.
"Auch
Beethovens 'Fidelio' war bei der Uraufführung 1814 ein Stück
Zeitkritik", belehrt uns das nämliche Portal für die gebildeten Stände:
"Im Hochsicherheitsgefängnis eines autokratischen Staates erschleicht
sich die als Fidelio verkleidete Leonore das Vertrauen des
Kerkermeisters Rocco, um ihren Mann Florestan zu befreien. Dafür wäre
sie bereit, sich gegen das Unrechtsregime zu wenden." Zumindest ein
kritisches Stück weit.
Damit wären wir für heute auch schon am
Ende mit den Künsten und wenden uns, auf den Pfaden der Bonner
Inszenierung wandelnd, stattdessen ihrer Politisierung zu.
Das Vorbild
von Beethovens Leonore war eine Madame de Tourraine*, die auf diese Weise
ihren Gatten, einen Royalisten, aus den Fängen der Jakobiner befreit
hat (oder es versuchte). Der Komponist** nahm also eine reale, aber
irgendwie "rechte" Befreiungstat zum Vorbild, um sie in eine fiktionale
"linke" umzufälschen und sodann oratorisch-menschheitsmeinend
aufzupeppen. ("Fidelio" ist ja ein etwas absonderliches Werk; es beginnt
als Singspiel und endet als Oratorium, wie ein Freund zu bemerken
pflegt.) Ähnlich verfuhr beispielsweise auch der Pariser Theaterautor
Vicorien Sardou, der sein Stück "La Tosca", die Vorlage für Puccinis
Oper, nicht etwa in der Schreckenszeit seiner Heimatstadt handeln ließ,
sondern eine kurze Periode des weißen Terrors mit Rom als Austragungsort
wählte. Und so läuft es immerdar, bis zum heutigen Regietheater: Immer
stehen die Rechten, die Nazis, die Reaktionäre am Pranger. Alle kennen
Franco und Himmler, niemand Jeschow und Jagoda. Und die französische
Revolution nennt sich heute "die Große", aber nicht wegen des größten
jemals in Europa vor speisendem Publikum zelebrierten Massenmords
vermittels der sinnreichen Erfindung des Herrn Guillotin – und des noch
weit größeren Völkermords in der Vendée –, sondern weil damals jene
Ideen mit mörderischer Entschlossenheit die Bühne betraten, die man die modernen
nennt und die bis heute herrschen. Und was herrscht, feiert sich und
schmäht die Überwundenen. Damals begann die große linke Weltanbrennung,
zu deren Folgen eine Geschichtsfälschung gehört, die bis heute die
Gehirne und Seelen beherrscht und deren Fundamente die niedrigsten
Triebe und Beweggründe sind, die sich denken lassen.
Blicken wir
also zurück auf jenes Ereignis, das der Geschichte des Westens einen
neue Richtung wies. Am Beginn stand die Hinrichtung des Königs als
Repräsentant des Alten, Hinfälligen, Zu-Überwindenden. Wie sahen sie
aus, die führenden Vertreter der beiden Seiten?
Ludwig XVI. war
ein kultivierter Mensch, er las viel, vor allem die Philosophen,
interessierte sich für Geographie, Geschichte und Seefahrt, wies seine
Kapitäne an, in der Neuen Welt kein Blut zu vergießen, sprach oder
verstand Englisch, Spanisch und (wohl seiner Gemahlin wegen) Deutsch. Er
verabscheute Gewalt und schaffte die Folter ab. Unter seiner Herrschaft
gab es kein politisches Todesurteil. Gegen ihn gerichtete politische
Schriften ließ er aufkaufen; keinem ihrer Verbreiter wurde ein Haar
gekrümmt. Ludwig schuf öffentlich finanzierte Arbeitsplätze für
Notleidende. Von allen Bourbonenköniginnen war er der friedfertigste und
umgänglichste. Im Gegensatz zu seinen beiden berühmten Vorgängern
unterhielt Ludwig XVI. keine Mätressen, weil sein Geschlechtstrieb wenig
ausgeprägt war (er litt unter einer Phimose; seine Frau
Marie-Antoinette war weniger zurückhaltend, was man einer jungen Maid
auch nicht verdenken kann). Warum erzähle ich das alles?
Man muss
sich die Biographien der Revolutionäre anschauen und mit jener des
Königs vergleichen, eingerechnet die Tatsache, dass diese Figuren
zuletzt politische Massenmörder bzw. Wegbereiter zum Mord wurden. Marat:
erfolgloser Schriftsteller, körperlich entstellt, kleinwüchsig, ein
notorischer Lügner, Dieb, Einbrecher, pathologischer Hetzer. Saint-Just:
erfolgloser Schriftsteller, Plagiator, Betrüger, Hochstapler,
rhetorischer Todesengel (aber immerhin genial). Robespierre: erfolgloser
Schriftsteller von monströser Blasiertheit (er verglich sich mit Homer
und Vergil), mittelmäßiger Anwalt, Monarchielobredner, solange er sich
Vorteile davon erhoffte, frigide, erotisch jungfräulich, ein
aristokratiehassender Puderperückenträger und Zwangscharakter von
Eiseskälte. Desmoulins: erfolgloser Anwalt, Tagedieb, Bordellgänger,
Heiratsschwindler. Hébert: erfolgloser Autor, Betrüger, Dieb. Mirabeau:
Spieler, Plagiator, Lustmolch bis zum Inzest mit der Schwester,
Frauenschläger, Dieb, Betrüger, wegen Entführung in Abwesenheit zum Tode
verurteilt etc. pp.
Wer in linken Biographien weiterforscht, von Marx
über Stalin und Goebbels bis hinunter zu Maas und Ströbele, stößt immer
wieder auf den Typus Nichtsnutz (nichts gegen Nichtsnutze übrigens,
solange sie andere in Ruhe lassen!), den Typus Schmarotzer, Absahner,
Schwätzer, Theorienaufsteller, im bürgerlichen Leben erfolglos, zu
keiner nutzbringenden Tätigkeit fähig, in die Politik oder in die
Agitprop-Industrie desertierend, das Geld der anderen fordernd,
vergeudend und verteilend, zu jeder Denunziation und Anmaßung bereit.
Und dieser Menschenschlag beherrscht seit den Jakobinern und mit heute
etwas sublimierten Jakobiner-Methoden (sie würden gern anders!) die
öffentliche Meinung und einen Großteil der öffentlichen Geldströme in
den westlichen Gesellschaften. Marat heißt heute Restle oder Prantl,
Saint-Just ist vergartenzwergt zu Stegner oder Kahrs, die
Robespierre-Planstelle ist derzeit unbesetzt (zumindest hierzulande,
könnte sein, dass Alexandria Ocasio-Cortez sie eines Tages zu besetzen
hofft).
Zurück zu Ludwig XVI., der nach der Verhaftung niemals
über sein Schicksal klagte und mit bewundernswerter Souveränität in den
Tod ging (und auch in gewissem Sinne ein Nichtsnutz war, wenngleich kein
so widerwärtiger wie seine Mörder; nein, ich wünsche das Ancien Régime
nicht zurück). Der Monarch war das wahrscheinlich erste prominente Opfer
des modernen Journalismus. Die von Kreaturen wie Marat und Hébert
repräsentierte "kritische" Presse verteufelte den König und seine Frau
auf eine Weise, die zartere Gemüter heute noch sprachlos macht. Da
Ludwig nicht der Schlankeste war, karikierte man ihn bevorzugt als
Schwein, und da Marie-Antoinette ihn betrog, erhielt das Schwein
obendrein Hörner. Der Courrier français zitierte im
August 1792 genüsslich aus einem Pamphlet namens "Le Royal Veto", in dem
der König folgendermaßen beschrieben wurde: "Dieses Tier (...) läuft
auf den Hinterbeinen wie ein Mensch. (...) Es hat sehr wenig Haupthaar,
und sein Schrei ähnelt dem Grunzen eines Schweines. Es hat keinen
Schwanz. Es ist von Natur aus gefräßig. Es leidet an Trunksucht und
trinkt von morgens bis abends. Es ist zwischen 34 und 36 Jahre alt, in
Versailles geboren und hört auf den Namen Ludwig XVI."
Die
Königin, die verhasste "Österreicherin", wurde wiederum als lüsterne
Wölfin, Hyäne oder Tigerin dargestellt, die ihren Gatten betrog und der
man zuletzt sogar ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem (weiland achtjährigen) Sohn unterstellte (den die Jakobiner nach der Enthauptung der Mutter im Gefängnis krepieren ließen). Marie-Antoinettes berühmtes
Fake-Zitat, wenn das Volk kein Brot habe, möge es eben Kuchen essen,
geht übrigens auf Jean-Jacques Rousseau zurück, auch er ein linker
Charaktermülleimer par excellence. In Paris zirkulierende
Pasquille trugen Titel wie "Der königliche Dildo", "Das königliche
Bordell", "Die Liebschaften von Karlchen und Toinette" und dergleichen
lüsterne Schmähungen mehr. An der Spitze des Landes stand eine Familie
geiler Schweine.
"Die Presse verteufelte den König, den man später
leicht unter dem Vorwand enthaupten konnte, er sein der Teufel",
notiert der Historiker Michel Onfray. "Die Journalisten töteten die
Königsfamilie, indem sie die Arbeit der Henker vorbereiteten." Als der
Monarch tatsächlich enthauptet worden war, schlug ein "Bürger" vor –
malen Sie sich eine Art "Citoyen Böhmermann" aus –, den 21. Januar zum
republikanischen Feiertag zu erheben, an welchem jeder Familienvater
einen Schweinskopf auf den Tisch bringen möge, "in Erinnerung an den
glücklichen Tag", an dem der Kopf des königlichen Schweines rollte.
Den
introspektiven Kennern der Niedertracht bereitet(e) es wenig Mühe, sie
anderen zu unterstellen. Deren einer war auch Choderlos de Laclos,
dessen Briefroman "Les liaisons dangereuses" zu einem Bestseller mit
Folgen avancierte. Im Zentrum steht die intrigante Marquise de Merteuil,
eines der großen Scheusale der Literatur. Davon abgesehen, dass die
"Gefährlichen Liebschaften", wie der Titel auf deutsch heißt, große
Literatur sind, waren sie auch Manipulation in höchster Vollendung.
Laclos, der vor der Revolution dem Herzog von Orléans als Privatsekretär
diente, war ein Kenner des Milieus, in dem sein – gleichwohl erfundener
– Roman spielte, und er lieferte sozusagen als ein verfrühter (und
literarisch begabter) Claas Relotius fiktives Belastungsmaterial für den
Prozess, den die Jakobiner später dem Ancien Régime bereiten sollten.
Dass er als Redenschreiber Robespierres und Offizier in deren Dienst
trat, war folgerichtig. Laclos eröffnete den Weg des literarischen
Klassenkampfes vermittels moralischer Denunziation der Gegenseite unter
Zuhilfenahme negativ überzeichneter Charaktere, und viele folgten ihm
nach; ich nenne als Zeiten und Kontinente überspannende Partes pro toto nur Heinrich Mann und Ta-Nehisi Coates.
All dies harrt einer gründlichen Dekonstruktion von rechts. Aber wer steigt schon gern in eine Kloake? MK
* Die Madame de Tourraine taucht als Leonore zunächst in Jean Nicolas Bouillys
Libretto für die Oper Léonore, ou L'amour conjugal auf. Goethe schätzte Bouilly sehr und knüpfte an eines seiner Libretti ein allgemeines Urteil über die Oper. Bouillys Libretto
liegt angeblich ein authentischer, von ihm selbst (als Staatsanwalt oder Richter heißt es, denn Bouilly war Jurist) erlebter Fall zugrunde: Eine Madame
de Tourraine als Mann verkleidet, befreite ihren Gatten aus der Gefangenschaft
der Jakobiner in Tours.
** bzw. der Librettist Bouilly, der immerhin die Revolution miterlebt hat und in ihrem ersten Jahr sogar noch administrative Aufgaben erfüllte. Aber bereits als er noch als Jurist tätig war, widmete er seine Zeit vor allem dem Theater.
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