Stationen

Montag, 13. Januar 2020

Hut ab vor Bernd Wollschläger



Seine Eltern belogen ihn genauso wie mich die meinen (ganz zu schweigen von meinen Geschwistern...).

Anchiseskomplex 

Die Geschichte des Bernd Wollschlaeger klingt unglaublich. 1958 im beschaulichen Bamberg in Franken geboren, ist für den kleinen Bernd die Welt zunächst noch in Ordnung. Allenfalls die Besuche der Kriegskameraden seines Vaters, bei denen die "gute alte Zeit" beschworen wird, kommen ihm merkwürdig vor. Als er in der Schule dann zum ersten Mal vom Holocaust hört, beginnt er endgültig, Fragen zu stellen. Was er dabei erfährt, erschüttert ihn bis ins Mark. Bernds Vater war ein überzeugter Nazi, der als Panzerkommandant überall an vorderster Front seine Angriffe fuhr: beim Einmarsch in Polen, bei der Besetzung Frankreichs wie bei der Invasion Russlands. Das Ritterkreuz, das "sein Führer" ihm dafür angeheftet hat, hütet er wie ein Heiligtum.

Seine Haltung changiert zwischen der Behauptung, von der Vernichtungsaktivität des NS-Regimes nichts gewusst zu haben, und offener Schoa-Leugnung.
(In meinem Fall gab es seitens meines Vaters nur die offene Schoa-Leugnung (bei offener Befürwortung der Deportation!!). Als er gestorben war, changierte meine Mutter zwischen "nichts davon gewusst" und "man hätte ja doch nichts dagegen tun können". Was dabei nie changierte war ihre Genugtuung darüber, dass man nichts dagegen hätte tun können und somit geschah, was geschehen sollte (und ihrer Ansicht nach musste)! Auch ihre Genugtuung darüber, dass es denen, die gegen das Naziregime aktiv geworden waren, auch nach dem Krieg schlecht erging, changierte nie. Die Haltung meiner Eltern wird besonders peinlich, insofern der beste Freund meines Vaters, von dem immer ein Bild über seinem Schreibtisch hing (und nach seinem Tod über der Couch im Wohnzimmer), ein Wehrmachtsoffizier war, der im Führerhauptquartier tätig war.

Ich hätte nicht so entsetzlich an meinen Eltern gelitten, wenn sie sich aufrichtig zum Völkermord bekannt hätten, statt sich einerseits zu ihrem Judenhass zu bekennen und andererseits immer so zu tun, als sei die Ausrrrottung der jüdischen Rrrasse - die Hitler in einer Rede androhte, die inzwischen nicht mehr bei Youtube verfügbar ist (bzw. des jüdischen Volkes, wie Himmler sich vornehm ausdrückte) - eine Lüge jüdischer Drahtzieher. Ich hätte weniger gelitten, weil ich so gleich gewusst hätte, woran ich bin und nicht Jahrzehnte gebraucht hätte, um herauszufinden, ob meine Eltern nur blöd oder vielleicht krank oder gar niederträchtig waren.

An dieser Stelle ist eine Reflexion über die menschliche Unzulänglichkeit angemessen, zumal das oben erwähnte Changieren gerade in Familien mit eigentlich guten Manieren, die sich nie "wissentlich etwas zu Schulden kommen lassen" und nie zu einem gesunden Laster bekennen und immer so tun, als könnten sie kein Wässerchen trüben, die Regel zu sein scheint. Denn es ist auch nicht zu leugnen, dass der erbittertste Hass gegenüber Juden besonders bei Menschen zu finden ist, die ansonsten außergewöhnlich redlich sind. Ich kann sogar sagen, dass die in ethischer Hinsicht ergeizigsten und gleichzeitig am wenigsten von moralischer Eitelkeit belastetsten Menschen, die ich in Europa kennengelernt habe, fast alle entweder Juden oder Antijüdisch waren oder sind. An dieser Tatsache führt kein Weg vorbei, nicht nur für mich, sondern auch für die Juden, für die Deutschen, für die Europäer, für die Menschheit. Denn eine solche Tatsache wirkt auch dann nach, wenn sie vergessen oder verschwiegen wird. Wenn sie nicht verschwiegen und vergessen wird, darf sie nicht zu exkulpierenden Phantasien führen: das ist die große Herausforderung.)

Bernd Wollschlaeger knüpft Kontakte zur kleinen jüdischen Gemeinde in Bamberg. Sie wird seine zweite Familie, bis ihm sein Vater ein Ultimatum stellt: "Sie oder wir". Zur Entscheidung gedrängt, trennt sich Wollschlaeger von seiner Familie. Er tritt zum Judentum über, emigriert nach Israel, wird Arzt und wandert schließlich in die USA weiter. Seine Familiengeschichte macht er selbst gegenüber seiner Frau und seinen Kindern zunächst zum Tabu, hält sie für seine Privatsache. 
Inzwischen allerdings ist der Kampf gegen Rassenhass und für eine Verständigung zwischen den Völkern und Religionen Bernd Wollschlaegers großes Thema geworden. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte hält er dazu überall auf der Welt leidenschaftliche Vorträge. Nur dort, wo diese Geschichte vor über 30 Jahren begann, hat er sie noch nie erzählt: in Deutschland.

Fast 70 Jahre nach dem Holocaust und in einer Zeit, in der überall in Europa ein neuer Antisemitismus ausbricht, hat Filmautor Uri Schneider jetzt Bernd Wollschlaeger in seine Heimatstadt Bamberg zurückgebracht. Entstanden ist dabei ein Film über eine Reise voller überraschender Begegnungen: Wollschlaegers Schwester Helga wollte die Wahrheit über ihren Vater nie wissen: Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hilft ihr, eine neue Beziehung zu ihrem Bruder aufzubauen. In einer Bamberger Schule spricht Wollschlaeger vor Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft: Sie können überhaupt nicht verstehen, was Fremdenhass bedeutet.
Und ein Militärexperte enthüllt schließlich ein bis dahin gehütetes Geheimnis: Kriegskameraden von Bernd Wollschlaegers Vater haben einige der für Juden heilige Torahrollen zerschnitten, um mit ihnen ausgerechnet die Vergaser ihrer Panzermotoren abzudichten.
Mit "Der Sohn des Nazis" zeichnet der Filmemacher Uri Schneider das Porträt eines Menschen, der mit den Dämonen der Vergangenheit ringt - bis heute.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.