Die Europäische Zentralbank (EZB) stockt ihr erst im März
beschlossenes Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) auf: von 750 auf
nunmehr 1.350 Milliarden Euro. Das ist mehr als die EU jenseits von
Corona in ihrem normalen Haushalt zwischen 2021 und 2027 ausgeben will.
Über die Details der Erhöhung um 600 Milliarden Euro sei im EZB-Rat
natürlich diskutiert worden, aber schließlich habe es eine „breite
Zustimmung“ dazu gegeben, erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am
4. Juni.
Bis Ende Juni 2021 soll das neue Billionenprogramm laufen – ein Mehr
und Länger ist nicht ausgeschlossen, sogar eher wahrscheinlich, denn der
EZB-Rat werde mit dem PEPP so lange „Wertpapiere ankaufen, bis er
urteilt, daß die Phase der Coronavirus-Krise vorüber ist“. Und all das
erfolgt ungeachtet des kritischen und in seinen Folgen noch nicht
abgeschlossen Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. Mai
zu den bereits seit 2015 laufenden Staatsanleihekäufen (PSPP, siehe JF
20/20 und JF 24/20).
Damit ergeben sich für das laufende Jahr geplante Wertpapier-Ankäufe
in Höhe von etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der
Eurozone. Und da als Folge der Corona-Krise mit einem erheblichen
BIP-Rückgang im Jahr 2020 gerechnet wird, dürfte der tatsächliche
BIP-Anteil sogar höher ausfallen, denn der Berechnung liegen die Zahlen
von 2019 zugrunde. Der überwiegende Anteil der EZB-Ankäufe sind dabei
Staatsanleihen.
Das PEPP verstößt damit in noch gravierenderer Weise gegen die vom
Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem BVerG aufgestellten Kriterien
gegen das Verbot eines direkten Kreditzugangs der Staaten zur
Zentralbank (Verbot der monetären Staatsfinanzierung, Artikel 123
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) als das
PSPP. Dieses Staatsanleihekaufprogramm (Public Sector Purchase
Programme), das unter Lagardes Amtsvorgänger Mario Draghi begann, hatte
bislang ein Volumen von 2.320 Milliarden Euro. Doch vier von sieben
rechtlichen Kriterien werden vom PEPP nicht mehr eingehalten:
(a) Die geforderte Begrenzung des Ankaufvolumens läuft de facto ins
Leere, wenn die EZB – wie jetzt nach drei Monaten geschehen – die
geplanten Anleihekäufe laufend erweitert.
(b) Die Ankaufobergrenze von 33 Prozent je Anleihe besteht nicht
mehr. Sie wurde selbst von der EZB vormals als wichtig erachtet, um „die
Funktionsfähigkeit der Märkte und eine adäquate Preisfindung
sicher[zu]stellen“ und die Risikokonzentration zu begrenzen – um zu
verhindern, daß das Eurosystem durch die umfangreichen und auf Dauer
gehaltenen Ankäufe von Staatsanleihen zum marktmächtigen Akteur wird.
Außerdem erhält die EZB bei Überschreiten der 33 Prozent eine
Sperrminorität hinsichtlich etwaiger Umschuldungsverhandlungen mit
Griechenland oder Italien. Dabei gerät sie in eine Zwickmühle: Bei
Zustimmung zu einem Forderungsverzicht verstößt sie gegen das Verbot der
monetären Staatsfinanzierung; bei Ablehnung treibt sie das jeweilige
Land in den Bankrott.
(c) Sodann hebt das BVerfG als wichtiges Kriterium den Ankauf
der Staatsanleihen entsprechend der EZB-Eigentümerstruktur hervor. So
halten beispielsweise Deutschland 26 Prozent, Italien 17 Prozent und
Griechenland 2,5 Prozent am (eingezahlten) Kapital der Notenbank. Ende
Mai wurden jedoch bereits ein Drittel mehr italienische und ein Zehntel
mehr griechische Staatsanleihen gekauft – ein Indiz für Finanzhilfen an
die Krisenstaaten, zu der die EZB keine Kompetenz besitzt.
(d) Schließlich verzichtet die Zentralbank auf bisherige
Sicherheitsanforderungen, indem ausdrücklich griechische Staatsanleihen
zugelassen werden. Ein Ausfall dieser Anleihen würde den Bundeshaushalt
durch ausbleibende Notenbankgewinne indirekt treffen. In ähnlicher Weise
kann die EZB Unternehmensanleihen aufkaufen. Damit befindet sie sich in
schlechter Gemeinschaft mit der amerikanischen Notenbank Federal
Reserve, die seit Anfang Mai „Schrottanleihen“ (Junk-Bonds) aufkauft.
Mithin wird deutlich: Die EZB ist zu einem Investmentfond mutiert. Wann
wird sie – wie die japanische Notenbank – direkt Aktien großer
Unternehmen kaufen?
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Meyers neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer-Verlag 2020) liefert Analysen und zeigt Konzepte für einen Neuanfang auf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.