Die Gemahlin rechnet mir vor, was ich mit A. Hüttler gemeinsam habe:
Ich
lebe in München, mag die Berge, trage bisweilen eine Lederhose, tafle
gern in der Osteria Italiana, weiland Osteria Bavaria – wenn auch weder
vegetarisch noch abstinent, soviel Differenzierung muss sein –, bin eine
verbummelte, unseriöse Künstlertype mit Hang zum Rodomontieren und
Bramarbasieren, halte mich für einen Schriftsteller, habe kein
Verhältnis zum Geld, besitze keinen Führerschein, mag Richard Wagner und
kenne seine Opern über weite Strecken auswendig, liebe die Kunst und
die Architektur Italiens, betrachte Rassen resp. Ethnien nicht als
"Konstrukte", sondern als Grundformen des Menschseins mit recht hoher
Halbwertszeit (wobei ich nicht für deren Kampf, sondern für die
friedliche Koexistenz plädiere), halte den Marxismus für ein schlimmes
Übel und die Religionen für Budenzauber*.
Reicht das?
***
* Ich setze sicherheitshalber hinzu: Selbstverständlich hätte die Menschheit ohne Gott nicht überlebt.
Eventuell
wäre ich gern ein guter Christ, doch ich werde nie einer sein. Ich
glaube daran, dass Kulturen Organismen sind, dass wir Menschen niemals
wissen können, was es mit uns auf sich hat, und dass es Dinge gibt, die
man einfach nicht tun darf, ohne Letztbegründung, aber ich glaube weder
an Gott noch an die Auferstehung noch an Seelenwanderung. Ich halte
Niederknien für eine sinnvolle Beschäftigung, aber ich spreche kein
Gebet. Ich bin einfach kein religiöser oder spiritueller Mensch.
Ich
bin jedoch jederzeit bereit, für die Leistungen der Religion eine Lanze
zu brechen. Wir Luxusweltenbewohner der Neuzeit sollten niemals
vergessen, was für ein mächtiger Verbündeter Gott für unsere Altvordern
war. Wie anders hätten sie das Elend der frühen Jahrhunderte ertragen
sollen: Seuchen, Kriege, Kindersterben, Naturkatastrophen, Parasiten,
chronische Krankheiten, Operationen ohne Narkose, Geburten ohne PDA und
die ständige Anwesenheit des Teufels in den finsteren Nächten? Es gäbe
uns nicht ohne diesen Gott. "Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s
genommen": dieser Satz ist möglicherweise nicht zutreffend – doch wer
weiß einen zutreffenderen?
Noch mehr bewundere ich die
ästhetischen Leistungen der Religion. Der vulgären, infantilen,
zügellosen, brutalen Masse Mensch haben vor allem ihre Riten und Gebote
eine erträglichere, mitunter sogar ansprechende Form aufgezwungen. Dass
der westliche Mensch nicht mehr niederkniet, sich nicht mehr bekreuzigt,
nicht mehr in die Kirche geht, wird allgemein als ein der Aufklärung zu
dankender Fortschritt betrachtet. Ästhetisch ist es ein Verlust. Man
kann der Kirche viel vorwerfen, sie hat in 2000 Jahren bestimmt fast so
viele Menschen umbringen lassen wie Stalin oder Mao in jeweils einem
ihrer besonders erfolgreichen, doch entfernte man alle Werke vom
Planeten, die aus dem Christentum wuchsen, alle Architektur, alle
Malerei, alle Literatur, alle Musik, was bliebe in unserem Weltteil
übrig? Und warum sollte etwas grundsätzlich überwindenswert sein, das
die Musik Bachs, die Fresken der italienischen Renaissance und den
schönen Jahresrhythmus der Feste hervorgebracht hat?
(Diese versöhnlichen Sätze stehen übrigens im Original hier.)
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