Bisher steht sie noch, die berühmte Statue Winston Churchills
gegenüber dem Parlamentsgebäude von Westminster. Man sieht ihn als
eindrucksvolle Gestalt, der Gesichtsausdruck entschlossen, den Kopf
zwischen die Schultern gezogen, den Mantelkragen hochgeschlagen und auf
einen Stock gestützt.
Aber bei den jüngsten Demonstrationen hat man Churchills Namen am
Sockel durchgestrichen, „Rassist“ daruntergeschrieben und den Abriß
verlangt. Das ist kein isolierter Vorgang, sondern ein neuer Höhepunkt
jenes Kulturkampfs, den die Linke seit Jahren gegen die Erinnerung an
einen Mann führt, der aus der Sicht der meisten Briten ein, wenn nicht der Heros ihrer Geschichte ist.
Es gibt kaum eine historische Stätte im Vereinigten Königreich – ganz
gleich, ob sie mit der Person Churchills in Verbindung stand oder nicht
–, die auf das Angebot von Churchill-Devotionalien verzichtet.
Churchill auf Postkarten oder auf dem Mousepad, auf der Teekanne oder
dem Button, Churchill als Premier oder Churchill als Bulldogge. Der
Grund dafür ist leicht zu nennen: Churchills Name ist für die Briten
unlöslich mit dem verbunden, was sie als letzte Glanzzeit ihrer Nation
betrachten.
Der Erfolg von Filmen wie jüngst Dunkirk oder Darkest Hour
(beide 2017) oder die zahllosen Reenactment-Veranstaltungen, die den
einsamen Kampf gegen Deutschland während des Zweiten Weltkriegs zum
Thema haben, das alles erklärt sich wesentlich aus der Tatsache, daß auf
der Leinwand oder dem Bildschirm oder in der Verkleidung vor
nostalgischer Kulisse Großbritannien noch einmal als groß erscheint und
Churchill als Repräsentant einer Epoche in goldbraunem Sepia.
Kritik daran hat es immer gegeben. Von rechts, da Churchill letztlich
für den Untergang des Empire verantwortlich war, von links, weil er als
Repräsentant der Oberschicht nicht nur die Klassengesellschaft
aufrechterhalten wollte, sondern auch die dauernde Unterdrückung und
Ausbeutung fremder Völker rechtfertigte. Beide Seiten haben ihre
Argumente.
Churchills Fixierung auf das „Sieg, Sieg um jeden Preis“ als
Kriegsziel ist ebenso unbestreitbar wie die Grundierung seiner
Weltanschauung durch den Sozialdarwinismus. Man kann auch eine Menge
abfälliger Aussagen über Araber, Inder, Pakistanis oder Deutsche
zitieren oder auf die Tatsache hinweisen, daß er 1955 als Slogan für den
Wahlkampf der Tories „Keep England White!“ vorgeschlagen hatte, um die
Bio-Briten gegen die wachsende Zahl der „farbigen“ Einwanderer zu
mobilisieren.
Letzteres werden jene, die sein Denkmal schleifen möchten, voller
Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und angesichts der gegenwärtigen
Stimmungslage ist nicht auszuschließen, daß sie Erfolg mit ihrem
Bildersturm haben und sich danach ein neues Ziel suchen.
Man könnte ihrer Aufmerksamkeit das Monument eines weiteren Premiers
empfehlen, das gleichfalls im Herzen Londons gegenüber dem
Parlamentsgebäude steht. Gemeint ist die imposante Bronzestatue Benjamin
Disraelis. Disraeli gehörte zu jenen „Ausnahmejuden“ (Hannah Arendt),
die im 19. Jahrhundert Zugang zur britischen Führungsschicht fanden.
Bevor seine politische Karriere in Schwung kam, hoffte Disraeli ein
bedeutender Schriftsteller zu werden. Echter Erfolg blieb seinen Romanen
aber versagt, zumal die in ihnen auftretenden Personen vor allem dem
Zweck dienten, bestimmte Sichtweisen Disraelis zu transportieren. Das
gilt auch für das Buch Tancred (1847), in dem sich die Sätze
finden: „Rasse ist alles. Es gibt keine andere Wahrheit. Und jede Rasse
geht unter, die es achtlos leidet, daß ihr Blut sich vermischt.“
Disraeli war, nach dem Urteil eines Biographen, „besessen“ (Edgar
Feuchtwanger) von seiner Herkunft, aber auch fasziniert von dem, was er
als prägendes Element in der Geschichte seiner britischen Heimat ansah.
Das brachte ihn zu der Auffassung, daß Juden und Germanen als Zweige der
„Kaukasischen Rasse“ berufen seien, die Welt neu zu ordnen.
Seine Vorstellungen speisten sich unverkennbar aus der Romantik und
einem eher traditionellen Reichsgedanken. Was aber nicht verhindern
konnte, daß Antisemiten seine Aussagen über die Rasse mit Genuß
zitierten, um sie gegen ihren Urheber zu wenden und sonstigen
ideologischen Nutzen daraus zu ziehen. Ein Muster, dem Antirassisten
unschwer folgen könnten, wenn sie ihre Säuberungsmaßnahmen fortsetzen,
um das Andenken all derer zu tilgen, die sie als „Rassisten“ markieren.
Wer diesen Feldzug mit wachsendem Unbehagen verfolgt, wird sich nicht
auf den Hinweis beschränken dürfen, daß Disraeli oder Churchill aus
ihrer Zeit verstanden werden müssen. Entscheidend wäre vielmehr, klar zu
stellen, daß es bei dem Anerkennungskampf, der gegenwärtig unter dem
Banner des Antirassismus geführt wird, nicht um moralische, sondern um
Machtfragen geht, nicht darum, daß viele Wohlmeinende den Planeten zu
einem besseren Ort machen wollen, sondern darum, daß einige
Entschlossene die Absicht haben, eine „Ideokratie“ (Heinrich Leo) zu
errichten, die alle unter das Gesetz ihrer Anschauungen beugt, – sie
mögen so absurd sein wie sie wollen. Karlheinz Weißmann
Obwohl in den vergangenen 50 Jahren die Schwarzen und andere
nichtweiße Ethnien in der westlichen Welt rechtlich in jeder Hinsicht
gleichgestellt und gesellschaftlich akzeptiert, ja hofiert wurden,
belehrt uns ein Blick in eine beliebige amerikanische oder
westeuropäische Universität oder jede Oscar-Verleihung, dass Rassismus
und Diskriminierungen aller Art offenbar noch nie so extrem waren wie
heute. Es ist wie mit dem Feinstaub: Je niedrigere Grenzwerte man
festlegt und je genauer man misst, desto schlimmer wird es, auch wenn
die gemessenen Werte ständig sinken. Wenn der Rassismus nur noch in
homöopathischen Dosen feststellbar ist, wird wohl die Klage über
Rassismus einen unerträglichen Lautstärkepegel erreichen.
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