Der Stadtrat von Bristol hat angeordnet, die während einer „Black
Lives Matter“-Demonstration in das Hafenbecken gestürzte Statue des
Sklavenhändlers Edward Colston zu bergen und an sicherem Ort zu
verwahren. Sie wird kaum auf das Podest zurückkehren, auf dem sie so lange stand. Das hat mit dem wachsenden Druck der Antirassismus-Bewegung zu tun, die mittlerweile zu einem globalen Phänomen geworden ist. In den Südstaaten der USA wurden weitere Denkmäler der Konföderierten geschleift, Nancy Pelosi,
die Sprecherin des Repräsentantenhauses, verlangt, daß man elf Figuren
historischer Persönlichkeiten aus dem Parlamentsgebäude entfernt,
während Sadiq Khan, der Oberbürgermeister von London, das gesamte
Stadtgebiet durchkämmen läßt, um anstößige Monumente ausfindig zu
machen. In Hamburg wurde immerhin ein Standbild Bismarcks
beschädigt, weil der Reichsgründer auch Kolonialist war, und Akademiker
denken laut darüber nach, ob Immanuel Kant als geistiger Vater des
Rassismus aus dem Kreis der großen Denker verbannt werden muß.
An sich ist Ikonoklasmus – das rituelle Zerstören eines missliebigen
Bildes – nichts Neues. Seit unvordenklicher Zeit waren politische oder
religiöse Umwälzungen von der symbolischen Vernichtung eines verhaßten
Gottes oder Menschen begleitet.
Das heißt, es besteht im Prinzip kein Unterschied zwischen dem
heutigen Protest und dem Furor, der zur Austilgung jedes Hinweises auf
Pharao Echnaton durch seine Nachfolger führte oder zur Vernichtung der
Pfahlgötzen im alten Israel oder zur damnatio memoriae im antiken Rom
oder zur Zerstörung heidnischer Tempel durch die Christen oder zur
Köpfung biblischer Könige an der Fassade von Notre-Dame während der
Jakobinerherrschaft oder zur Bücherverbrennung beim Wartburgfest oder
zum Niederreißen der Zarenbilder nach der Oktoberrevolution oder zur
Sprengung der Buddhafiguren von Bamiyan durch die Islamisten.
Das Vorgehen kann spontan erfolgen oder angeordnet sein. In jedem
Fall beruht es auf der tiefsitzenden Vorstellung, daß Symbol und
Symbolisiertes nie vollständig zu trennen sind. Das eine hat Anteil am
anderen. Weshalb das Symbolisierte durch den Angriff auf das Symbol
getroffen wird. Carl Schmitt sprach vom „Mysterium“ der Repräsentation,
verknüpft damit, daß „der Repräsentant eines hohen Wertes nicht wertlos
sein kann“.
Dahinter steht selbstverständlich ein irrationales Moment. Was auf
der Linken regelmäßig Zweifel weckt, ob die Fixierung auf Symbolpolitik
das richtige ist. Eine unbegründete Sorge. Es muß nicht immer
Klassenkampf sein. In der Medien- und Informationsgesellschaft zeigen
gerade Attacken auf den Überbau verblüffende Wirkung auf die materielle
Basis. Was jetzt als Durchsetzung des antirassistischen Konsensus
stattfindet, ist also kein isolierter Akt und nichts, was mit dem
Hinweis auf akute Empörung hinreichend erklärt wäre. Wir beobachten
vielmehr Abläufe, die jene Meinungsmacher lenken, die seit je alles tun,
um das Werk weißer Männer zu deformieren, zu beschädigen und zu
zerstören.
Ihnen folgt eine Masse, die es unerträglich findet, daß das Leben
überhaupt Bedingungen hat. Das erklärt die Aggressivität, mit der sie
gegen jeden vorgeht, der anderer Meinung ist, die Naivität, mit der sie
Verbündete akzeptiert, die nicht einmal vor Terror zurückschrecken, die
Entschlossenheit, mit der sie ihre Bannflüche auf alles schleudert, was
vor den Maßstäben der Hypermoral versagt. Aber das ist nicht nur das Ergebnis von Indoktrination.
Hier geht es um Entfremdung. Das Selbstbild des Fußvolks als
Avantgarde, die vernichtende Urteile über die ganze bisherige Geschichte
fällt, hat vor allem damit zu tun, daß die Akteure nicht wissen, wer
sie sind. Daher rührt ihre Illoyalität gegenüber der eigenen Kultur, der
eigenen Überlieferung, der eigenen Nation. Daher rührt ihre
Bereitschaft, alles auszutilgen, was an diese Kultur, Überlieferung,
Nation erinnert.
Erinnerung ist in dieser Phase des Kulturkriegs ein Schlüsselbegriff.
Gemeint ist jene Erinnerung, die die Identität der Gemeinschaft
verbürgt. Eine Erinnerung, die notwendig selektiv ist. In ihr wird das
eine hervorgehoben, das andere in den Hintergrund gedrängt. Wie bei der
Erinnerung des Einzelnen tritt im Normalfall das Positive hervor, das
Negative zurück. Denn der persönliche wie der „unpersönliche Stolz“ (Max
Weber) liegt darin begründet, daß man die Erfolge und die Heldentaten
im Bewußtsein hält, nicht die Niederlagen und die Schandtaten.
Nur die Deutschen hatten das Verhältnis umgekehrt. Maßgeblich für die
kollektive Erinnerung wurde Auschwitz als „Gründungsmythos“ (Joschka
Fischer), Schuld als „Staatsräson“ (Thomas Schmid), das Geschichtsbuch
als „Verbrecheralbum“ (Helmut Schmidt). Was auch erklärt, warum den
alltäglichen Bildersturm niemand mehr zur Kenntnis nimmt: die Säuberung
der Bibliotheken von heiklen Autoren, das Demolieren mißliebiger
Gedenkstätten aller Art oder den Eifer, jedes Monument in jedem Winkel
aufzuspüren – ganz gleich, ob Standbild, Straßenname oder
Ehrenbürgerliste – und zu tilgen, was bei den Historisch-Sensiblen
Anstoß erregt.
Bisher sprach viel für einen Sonderweg. Aber was sich gegenwärtig
abspielt, deutet darauf hin, daß wir nur die Bahn gespurt haben, auf der
uns der Rest der westlichen Welt folgt; kaum in ein besseres Morgen,
eher in ein Dystopia, in dem diejenigen, die die „Konsensmaschine“ (Noam
Chomsky) überwachen, noch mehr Möglichkeiten haben als zuvor. Weißmann
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