Auch Bundesaußenminister Heiko Maas nutzte die
Gelegenheit, in der medialen Berichterstattungswelle um den Tod von
Georg Floyd und die Black-Lives-Matter-Demonstrationen seine Botschaft
zu setzen.
Am 6. Juni veröffentlichte die Bild am Sonntag ein Interview mit dem SPD-Politiker unter der Überschrift: „Rassismus tötet nicht nur in den USA“.
Den Interviewtext stellte das Auswärtige Amt auch auf seine Internetseite.
Die
Interviewer stellen ihm anfangs die Frage, wie Donald Trump auf seine,
also Maasens Kritik an ihm wegen der Gewalt in den USA reagiert habe.
Darauf geht Maas nicht ein – wahrscheinlich, weil es keine Reaktion des
Präsidenten gibt – und antwortete stattdessen:
„In Deutschland
leben 30.000 Rechtsextremisten. Auch bei uns gibt es rassistische
Übergriffe, schwarze Menschen werden diskriminiert, Juden wird die Kippa
vom Kopf gerissen. Wir müssen zuerst mal vor der eigenen Haustür
kehren. Rassismus tötet nicht nur in den USA.“
Durch die Erwähnung
der „30 000 Rechtsextremisten“ und der Formulierung „Juden wird die
Kippa vom Kopf gerissen“ legt er nahe, solche Übergriffe ereigneten sich
in Deutschland sehr oft, die Täter seien Rechtsextremisten, und es
handle sich um eine typisch rechtsextremistische Tat.
Übergriffe auf
Juden gibt es leider häufig in Deutschland. Auch von rechtsextremer
Seite: Die Recherche- und Infostelle Antisemitismus Berlin (RIAS)
ordnete für 2019 vier der von ihr registrierten 33 körperlichen
antisemitischen Übergriffe in Berlin dem Rechtsextremismus zu.
In
den vergangenen Jahren geschah es auch immer wieder, dass
antisemitische Täter Juden die Kippa vom Kopf rissen oder sie wegen
einer Kippa in der Öffentlichkeit angriffen. In Polizei- und
Gerichtsberichten, Medien und Chroniken von Organisationen lassen sich
diese Fälle finden.
Allerdings: Keiner passt in das Muster, das der Bundesaußenminister suggeriert.
•
Im November 2019 reißt ein Täter dem 19-jährigen Samuel K. in einem
Freiburger Sportstudio die Kippa vom Kopf, wirft sie in einem Müllsack,
beschimpft den jungen Mann mit „dreckiger Jude“, und ruft „free
Palestine“. Bei dem 23-jährigen Täter, den die Polizei ermittelt,
handelt es sich um einen wegen Körperverletzung polizeibekannten
Deutschen mit Migrationshintergrund.
• Im Juli 2018 reißt ein
21-jähriger Mann dem israelischen Professor Jitzchak Melamed im
Hofgarten in Bonn die Kippa vom Kopf, und ruft „du bist Jude!“ und „kein
Jude in Deutschland“. Nach Aussage einer Polizistin, die später vor
Gericht als Zeugin aussagte, sagte der Angreifer anschließend im Verhör,
er sei „Hitler Nummer 2“, und sagte: „Ich steche alle Juden ab!“
Bei dem 2019 verurteilten Täter handelte es sich um einen Deutschen palästinensischer Herkunft.
•
Im April 2018 griff ein 19-Jähriger im Prenzlauer Berg in Berlin einen
jungen israelischen Touristen an, der eine Kippa trug. Ihn hatte ein
Freund davor gewarnt, die jüdische Kopfbedeckung in Berlin zu tragen, er
setzte sie dann auf, weil er nicht glauben wollte, dass er deshalb
angegriffen werden könnte. Der Täter schlug den Israeli mit einem Gürtel
und beschimpfte ihn antisemitisch. Bei dem Angreifer handelte es sich
um einen bereits polizeibekannten Asylbewerber aus Syrien.
• In einer Chronik antisemitischer Übergriffe, angefertigt durch die Amadeu-Antonio-Stiftung, findet sich ein Fall aus dem Dezember 2015, in dem einem Juden die Kippa vom Kopf gerissen wurde. Dort heißt es:
„In
einer linksalternativen Kneipe in Bonn wurde ein Jude angegriffen. Als
er bestellte, nahm ihn jemand von der Bar in den Schwitzkasten und riss
ihm die Kippa vom Kopf. Darauf angesprochen was dass sollte meinte er:
‚Ich hätte auch einer Muslima ihr Kopftuch abgerissen, das ist
religionsfreie Zone!’ Der Besitzer stimmt zu und unterstützte den
Angreifer.“
Neben dem spezifischen Angriff, den Maas erwähnte
– Kippa vom Kopf reißen – gibt es in Deutschland eine sehr viel größere
Zahl von Angriffen auf Juden in der Öffentlichkeit, beispielsweise
folgende aus Berlin, die sich in der RIAs-Chronik finden:
Charlottenburg-Wilmersdorf, 26. Juli:
Zwei Männer beschimpfen aus dem Fenster einer Wohnung einen Rabbiner
als „Jude, Jude“. Kurz darauf spuckten die beiden Täter mehrmals in
Richtung des Rabbi und seiner Kinder, die ihn begleiteten, und rufen
Drohungen in arabischer Sprache.
Charlottenburg-Wilmersdorf, 13. August:
Zwei Männer beschimpfen einen Passanten, der ihnen wegen seiner
Kleidung als orthodoxer Jude auffiel, auf Arabisch, und stießen ihn. Der
Betroffene fiel vornüber und verletzte sich am Kopf und an den Beinen.
2. November:
Ein Israeli spricht in der U8 auf Hebräisch eine Sprachnachricht in
sein Telefon. Darauf sprach ihn ein Mann aus einer Dreiergruppe von
Männern, die sich auf Arabisch unterhalten hatten, mit „Yahud“ an und
versuchte ihn am Arm festzuhalten, als er aussteigen wollte. Der
Betroffene konnte sich losreißen und davonlaufen.
Fazit:
Übergriffe, bei denen Juden die Kippa vom Kopf gerissen wurde, kommen in
Deutschland leider vor, wenn auch nicht so häufig wie andere
judenfeindliche Attacken. Die Täter bei den Kippa-Angriffen stammen, so
weit bekannt, nicht aus dem rechtsextremen Milieu. Es sei denn, Heiko
Maas definiert auch aggressive Antisemiten mit Migrationshintergrund als
rechtsextremistisch. Nur: Dann gäbe es in Deutschland deutlich mehr als
die etwa 30 000 Rechtsextremen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz
zählt. Vor allem aber schlägt der SPD-Politiker eine besonders
erschreckende Form des öffentlichen Angriffs auf Juden in Deutschland,
die es, siehe oben, durchaus gibt, ohne Belege pauschal dem
Rechtsextremismus zu, und spart damit den Antisemitismus von
arabisch-muslimischer Seite komplett aus, während er über Rassismus in
der Bundesrepublik spricht.
Publico fragte den
Bundesaußenminister, welche Fälle aus Deutschland ihm bekannt sind, in
denen rechtsextreme Täter Juden die Kippa vom Kopf gerissen hätten – und
wie er den Begriff „Rechtsextremisten“ definiert.
Auf die Anfrage antwortete Heiko Maas bisher nicht. Falls er sich äußert, reicht Publico die Reaktion des Ministers gern nach. Wendt
Hier geht es weiter mit Pink Floyd
Und hier mit dem Wörtchen "Rasse".
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