Die Kampagne gegen den gewählten parteilosen Radebeuler Kulturamtsleiter und Schriftsteller Jörg Bernig
weckt DDR-Reminiszenzen. Der Schriftsteller sei „neurechts“, heißt es
anklagend. Nun ist es das gute Recht jedes anständigen Menschen,
„neurechts“ zu sein; auf Bernig trifft das aber nicht einmal zu. Er
hatte sich lediglich erdreistet, das freie Wort zu ergreifen und in
öffentlicher Rede Merkels Grenzöffnung 2015 und die folgende
Masseneinwanderung zu kritisieren, auf deren Folgen hinzuweisen und
einen entsprechenden Appell zu unterzeichnen.
Außerdem hat er in den Zeitschriften Tumult und Sezession
seine Gedichte abdrucken lassen. Die allermeisten Alt- und Neulinken,
die das als Skandal hinausposaunen, würden in besagten Zeitschriften
keine einzige Zeile unterbringen, weil sie das Niveau, das den Autoren
hier abgefordert wird, klar verfehlen.
Im Jahr 1991 veröffentlichte der Rowohlt Verlag die Protokolle einer
Mitgliederversammlung des DDR-Schriftstellerverbandes, genauer seines
Berliner Bezirksverbandes, die im Juni 1979 stattgefunden hatte. Auf der
Tagesordnung stand damals der Ausschluß mehrerer Schriftsteller. Einige
hatten in einem Brief an Staats- und Parteichef Erich Honecker die
Zensur- und Verbotspraxis in der DDR angeprangert und – um die
Öffentlichkeit zu erreichen – darüber westliche Medien informiert. Andere hatten im Westen Bücher publiziert, die in der DDR nicht
erscheinen durften. In der Beschlußvorlage der SED-nahen Verbandsleitung
hieß es: „Gesetzestreue ist von jedem Staatsbürger gefordert, also auch
von jedem Schriftsteller. Wer Loyalität aufkündigt, kann in dieser
Sache unsere Solidarität nicht haben.“
Der Auschluß-Sitzung vorausgegangen war eine monatelange Pressekampagne. Ein parteifrommer Autor durfte im SED-Zentralorgan Neues Deutschland
seine Kollegen als „kaputte Typen“ beschimpfen; der stellvertretende
Kulturminister drohte auf der Leipziger Buchmesse, daß, wer dichtend,
malend oder tönend den Haß aufs Leben zu kultivieren trachte, wer im
Gewand der Kunst gegen den Sozialismus agiere, eine Zurückweisung
erleben werde, die entschiedener ausfalle, als manchem geläufig sei.
Die Exkommunikation wurde mit großer Mehrheit abgesegnet. Sie kam
einem Berufsverbot gleich, denn ohne Mitgliedschaft im Verband konnte
ein Schriftsteller in der DDR schwerlich publizieren. Und nicht jeder
Autor besaß die Bekanntheit eines Stefan Heym, der auch im Westen über
Resonanz und Auflagen verfügte.
Der Vorgang schlug im Westen hohe Wellen. In der Bundesrepublik
sowieso. Der Schwedische Schriftstellerverband teilte brieflich mit, er
könne „nur mit allergrößtem Befremden zur Kenntnis nehmen, daß ein
Schriftstellerverband Mitglieder ausschließen kann, nur weil sie sich
kritisch über den Staat, dessen Politik und Machtapparat geäußert haben
und sich damit ihrer demokratischen und menschlichen Rechte bedient
haben, ihre Gesellschaft und ihr Dasein unter Debatte zu stellen“, und
dies ausgerechnet in einer Situation, in der die Autoren besonders auf
Hilfe und Unterstützung angewiesen seien. Ähnlich äußerte sich der
Berufsverband der Schweiz; das dänische PEN-Zentrum bekundete seinen
„scharfen Protest“.
In seiner Rezension des Protokoll-Bandes für die Wochenzeitung Die Zeit
hob Fritz J. Raddatz den qualitativen Unterschied zwischen der DDR und
der Bundesrepublik hervor: „Man kennt, bislang, keinen Beleg dafür, daß
westliche Schriftsteller die eigenen Kollegen drangsalierten, sich –
über die zum Metier gehörende Häme hinaus – beteiligten an Unrecht, die
Hand reichten zur ‘Maßnahme’. Insofern liegt mit diesem Protokoll etwas
Einmaliges vor.“
Bislang! 1991 ist lange her. Seitdem verliert die DDR an die
Bundesrepublik ein Alleinstellungsmerkmal nach dem anderen. Daß
Politiker und Journalisten gegen Bernig in Windeseile, noch bevor seine
Wahl offiziell wurde, eine Kampagne lostraten, erstaunt dabei am
wenigsten. Von denen erwartet man nichts anderes.
Aber wenn sogenannte Kulturschaffende ohne Zwang sich einfinden, um
der schwarzrotgrünen Einheitspartei die Richtigkeit ihrer Politik zu
bescheinigen und den Schriftsteller, der sie kritisiert, de facto als
kaputten Typen denunzieren, dann liegt eine Handreichung zur „Maßnahme“
vor. Nachdem der Radebeuler Oberbürgermeister die Wahl annulliert hatte,
sprach einer der künstlerischen Wortführer vor Ort, ein Musiker,
triumphierend von einem „Teilsieg“.
Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsmaßnahmen sind für freie Autoren
existenzbedrohend. In dieser Situation wäre das Deutsche PEN-Zentrum
gefragt. Die Autorenvereinigung PEN International wurde 1921 schließlich
gegründet, um der Freiheit des Wortes und dem freien Gedankenaustausch
Geltung zu verschaffen. Tatsächlich hat seine Präsidentin Regula Venske
sich umgehend zu Wort gemeldet und ein „Statement“ veröffentlicht.
Es handelt sich um einen konfusen Text, der auf die Kampagne, die
letztlich ein Anschlag auf das freie Wort ist, mit keinem Satz eingeht.
Frau Venske teilt lediglich mit, der PEN stehe „ein für das Ideal einer
einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit. Wir verpflichten
uns, jedwede Form von Haß – wie etwa Rassen-, Klassen- oder Völkerhaß,
Haß aufgrund des Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung mit äußerster Kraft zu bekämpfen“. Daraus
zieht sie den Schluß: „Vor diesem Hintergrund bitten wir Herrn Bernig zu
prüfen, inwieweit er seine Verpflichtung gegenüber der PEN-Charta
wahrnehmen kann, und ggfs. die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“
Im Klartext: Der PEN verweigert seinem Mitglied Jörg Bernig den
nötigen und verdienten Schutz. Er betätigt sich als Teil des etablierten
Parteien- und Medienkartells. Bernig soll ihm keine Scherereien
bereiten und am besten austreten. Wohl wissend, daß dies ein Schritt in
Richtung Vogelfreiheit wäre, denn die Medien-Bluthunde würden das als
Ansporn zu weiteren Heldentaten verstehen. Das ist gewiß noch nicht die
DDR, aber sie erscheint perspektivisch möglich.
Jedenfalls gibt es keinen Beleg – auch Frau Venske legt keinen vor –,
daß Bernig die Menschheit mit Krieg überziehen will, daß er den
„Rassen-, Klassen- oder Völkerhaß“ gepredigt oder zur Schwulenhatz
aufgerufen hätte. Er erlaubt sich lediglich eine abweichende und
womöglich besser begründete Meinung zur Lage im Land.
Regula Venske hingegen exekutiert eine Ideologie. Ein Indiz ist die
in ihrem „Statement“ beschworene Dreiheit aus „Freiheit, Vielfalt,
Solidarität“. Es fehlt nur noch die „Weltoffenheit“, und das
hypermoralische Stakkato der politisch korrekten Gesinnungsethik wäre
perfekt. Eine Rolle mag auch spielen, daß der Kulturbetrieb in
Corona-Zeiten mehr denn je auf Staatshilfe und Subventionen angewiesen
ist und er die Zuwendungen mit politischem Konformismus vergelten muß.
Privat ist Frau Venske ganz
bestimmt eine nette, umgängliche Person. Als Apparatschika des
Kulturbetriebs aber verhält sie sich wie eine Wiedergängerin der KGB-Offizierin Rosa Klebb aus
dem Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“. Um die PEN-Logik in der „Causa
Bernig“ ins SED-Deutsch des DDR-Schriftstellerverbandes zu übersetzen:
Treue zur Merkel-Politik „ist von jedem Staatsbürger gefordert, also
auch von jedem Schriftsteller. Wer Loyalität aufkündigt, kann in dieser
Sache unsere Solidarität nicht haben.“ Hinz
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