Stationen

Donnerstag, 30. Juni 2016

Geschichtspolitische Positionierung

Der Brexit ist ein Paukenschlag für das politische Establishment der EU. Während in allen Völkern Europas die Forderung nach mehr direkter Demokratie Konjunktur hat und neue politische Bewegungen Regierungen erfolgreich unter Druck setzen, scheint die Botschaft bei der politischen Klasse in Deutschland noch zu verhallen.
In Nordrhein-Westfalen schaffte der Landtag einmütig just Anfang der Woche einer alten grünen Forderung entsprechend die traditionelle Eidesformel für Minister ab, die darauf verpflichtete, die „ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes“ zu widmen. Instinktlos.
Ein plastisches Beispiel für die Entkoppelung von Gewählten und dem in der Demokratie bestimmenden „Demos“, dem Volk. „Referenden sind Mist. Demokratie ist komplizierter“, twittert der salonlinke Jakob Augstein nach dem Brexit. Angst vor echten Alternativen? In Deutschland ist passenderweise die Alternative für Deutschland (AfD) zum Sinnbild eines neuen demokratischen Aufbruchs geworden.

Ob in der Frage der Euro-Rettung, intransparenter Brüsseler Entscheidungen, einer das Recht außer Kraft setzenden unkontrollierten Masseneinwanderung im Zuge der Asylkrise – die AfD wird plötzlich zum Gradmesser und Katalysator eines wachsenden Protestes in der Bevölkerung.
Sie hat dabei einen riesigen Kredit aufgebaut, der sich für eine so junge Partei in historisch nicht gekannten Umfragewerten niederschlägt – die jüngsten Erhebungen (INSA) sehen sie im Bund mit 14 Prozent nur noch fünf Punkte hinter der SPD. Trotz schärfstem medialem Gegenwind könnte die dauerhafte Etablierung dieser neuen Kraft also gelingen.
Wäre da nicht die wegen eines fortdauernden Machtkampfes an der Parteispitze ungelöste Affäre um den wegen antisemitischer Veröffentlichungen in die Schlagzeilen geratenen Abgeordneten Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg. Diese Krise entfaltet ihre Wirkung schleichend wie ein lähmendes Nervengift.

Wegen Uneinigkeit an der Spitze wurde der Ausschluß des untragbaren Abgeordneten in einer kollektiv von der AfD-Spitze zu verantwortenden katastrophalen Entscheidung um Monate vertagt, halste sich die AfD ein Problem in einer politisch zentralen Frage auf, das sie wie ein Mühlstein in den Abgrund ziehen könnte.
Die Aussöhnung zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Deutschland und Israel, die Erinnerung an eine gemeinsame und von den Verbrechen des Dritten Reiches überschattete und dadurch tragisch verwobene Geschichte – sie ist Teil einer deutschen Identität, deren Bewahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet sehen müssen.
Die AfD muß klarstellen, wie sie sich geschichtspolitisch positionieren will. Damit steht und fällt, ob sie als ernstzunehmender Faktor der deutschen Politik überlebt.   Dieter Stein


Eine genauere Betrachtung findet sich hier.

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