„Sprich nicht mit Fremden“ bringen wir unseren Kindern bei. Steig
nicht zu Fremden ins Auto, nimm nichts von Fremden. Der Fremde hatte
noch nie einen guten Ruf. Wir warnen unsere Kinder vor ihm, wir begegnen
ihm mit Vorsicht, wir vertrauen ihm selbst als Erwachsene nicht. Ist
das im wahrsten Sinne des Wortes fremdenfeindlich?
Ziehen wir als Eltern gar fremdenfeindlichen Nachwuchs groß mit
dieser Methode, oder ist es nicht doch vernünftig, Fremde erst mal nicht
in die Arme zu schließen?
Warum halten wir auf Bahnhöfen
„Welcome“-Schilder für Fremde in die Höhe, warnen aber gleichzeitig
unsere Kinder vor denselben? Naiv könnte die Antwort lauten: Weil es
sich im Laufe der Menschheitsgeschichte bewährt hat und die schlechten
Erfahrungen mit Fremden von Generation zu Generation weitergereicht
werden.
Vererbte Vorurteile sozusagen als Überlebensschutz. Das gesunde
Mißtrauen gegenüber Menschen, die wir nicht kennen, spiegelt sich in
jeder abgeschlossenen Haustüre und in jeder Grenzlinie wider. Sie sind
Schutz und Verteidigung – ja, gegen Fremde. Oder haben Sie Ihre Haustüre
nachts offen?
Der Fremde kann bei Kindern übrigens auch einfach der sehr deutsche
Nachbar sein, wir müssen gar nicht weit reisen, um ihm zu begegnen.
„Fremdeln“ ist ein normaler Entwicklungsschritt bei Kleinkindern. Sie
vertrauen in dieser Phase in der Regel nur engsten Familienmitgliedern,
heulen beim Anblick von Besuch. Denn jeder, der nicht zur Familie
gehört, ist dann fremd. Es dauert, bis ein Kind einem anderen Menschen
dann endlich vertraut.
Vertrauen als Gegenteil von Mißtrauen muß man sich in den Augen von
Kindern also erst einmal verdienen. Bei Erwachsenen war das früher auch
so, es ist derweil in Deutschland aber komplizierter geworden. Ein neues
Postulat unserer Gesellschaft fordert jetzt ein, daß man Fremden nicht
mehr mißtrauen soll, ja nicht mehr mißtrauen darf. Wer sich nicht
schuldig machen will, Fremdenfeind zu sein, äußert sein Mißtrauen, seine
Vorsicht oder gar seine schlechte Erfahrung besser nicht mehr frei.
Wo aber für gesundes Mißtrauen kein Platz mehr ist, weil eine
verordnete Willkommenskultur unbedingten Gehorsam einfordert, äußert
sich Mißtrauen dann in anderen Formen als verbal. Pfefferspray ist
ausverkauft. Selbstverteidigungskurse sind ausgebucht. Eltern fahren
ihre Kinder wieder zu Schulen, Sporttraining und in die Disco. Gelebtes
Mißtrauen ist dabei angewandte Vermeidungsstrategie. Vorauseilender
Gehorsam. Manche sagen: Freiwillige Unterwerfung. Sind wir denn alle
neuerdings paranoid geworden? Schließlich ist ja den wenigsten
tatsächlich bereits etwas passiert wegen den neuen Fremden.
Das sagt übrigens auch die Politik. Immer wieder ist zu hören, es
gäbe keinen Anstieg der Kriminalität. Also doch alle nur im
fremdenfeindlichen Verfolgungswahn? Fremdenfeindlich-mißtrauisch und das
völlig ohne Anlaß? Oder passiert möglicherweise deswegen nicht so viel,
weil wir die Vermeidungsstrategien stillschweigend seit Monaten schon
längst praktizieren? Weil wir die Kinder nicht mehr alleine ins
Schwimmbad lassen, die Mädchen in die Disco fahren und als Frau das Taxi
nehmen.
Spreche ich mit anderen Frauen, hat jede mindestens eine unangenehme
Erfahrung aus der jüngsten Vergangenheit zu berichten, auch in den
Städten, in denen die Kriminalität angeblich nicht gestiegen ist.
Teilweise passierte das am hellichten Tag. Vieles sind Dinge im
juristisch zwielichtigen Bereich. Unangenehm, bedrohlich. Angst ist
nicht objektiv, sondern immer persönlich. Frage ich danach, ob sie es
angezeigt haben, wird unisono verneint. Denn es war ja noch nichts
passiert.
Sie hatten Angst, sie fühlten sich bedroht, es war noch mal
gutgegangen. Was bleibt, ist das unbestimmte Gefühl, daß es jederzeit
wieder geschehen kann. Erklären Sie einem Kind rational, daß unter dem
Bett kein Monster sitzt. Sie können unter das Bett leuchten, aber wenn
das Licht ausgeht, kommt die Angst zurück.
Das wirft die Frage auf: Darf ich erst dann berechtigt Angst vor
Fremden haben, nachdem mir tatsächlich etwas passiert ist? Wieso gilt es
neuerdings als Vorurteil, vorausschauend zu handeln? Während wir in
allen möglichen Bereichen immer auf Prävention bauen, ist ausgerechnet
beim Thema Zuwanderung und Sicherheit Prävention plötzlich mit dem Makel
der Fremdenfeindlichkeit behaftet.
Der Schulleiter, der seine Schülerinnen zu sittsamer Kleidung
aufrief, um die Flüchtlinge in der Turnhalle nicht zu irritieren, der
Bürgermeister, der Hausregeln für seinen Ort aufstellte – sie wurden
medial als fremdenfeindlich und vorurteilsbeladen gebrandmarkt. Vernunft
ist kein Vorurteil. Darf ich mir Sorgen machen, was in diesem Land los
sein wird, wenn die Freibad-Bikini-Bauchfrei-Spaghettiträger-Saison erst
einmal angebrochen ist, wenn doch selbst in kalten Silvesternächten
dicke Mäntel kein Hindernis für Übergriffe auf Frauen darstellen?
Darf ich mir Sorgen um meine Teenager-Tochter machen, wenn sie am
Wochenende zum Musikfestival fährt? Ist es irrational, ein Taxi zu
nehmen wegen der Unterführung, durch die man sich in manchen Gegenden
nicht durchtraut? Darf ich Panik verspüren angesichts einer Gruppe
dunkelhäutiger Männer, die mir auf dem Bürgersteig entgegenkommen?
Ja ich darf, denn es ist nicht fremdenfeindlich, sondern rational.
Mißtrauen und Vorsicht gegenüber allem Fremden sind nicht per se
Fremdenfeindlichkeit, sondern schlicht Überlebensstrategie. Und deswegen
müssen wir über Ängste reden und unser Mißtrauen benennen dürfen. Denn
Vertrauen in Fremde kann man nicht staatlich verordnen.
Man kann aber Strategien entwickeln, um Vertrauen aufzubauen. In
gewisser Weise sind wir immer noch wie Kinder geprägt: Wir wollen uns ja
anfreunden, wir trauen uns nur manchmal nicht. Noch nie hat es aber bei
meinen eigenen Kindern gegen das Fremdeln geholfen, wenn ich sie
gezwungen habe, ihre Ängste zu ignorieren. Birgit Kelle
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