Vor einem Jahr kam es in Essen zum Trennungsparteitag der AfD. Nach
monatelangem Machtkampf unterlag der Co-Bundessprecher Bernd Lucke und
verließ mit Getreuen die Partei. Seine Neugründung war wie alle
Abspaltungen der Parteiengeschichte bei jüngsten Wahlen erfolglos. Die
AfD verlor nach Essen einige tausend Mitglieder, im Zweifel gemäßigte,
und sackte vorübergehend in den Umfragen unter fünf Prozent.
Die völlig aus dem Ruder laufende Asylkrise lieferte der AfD dann
aber das Thema, mit dem sie in den Umfragen wieder nach oben schnellte.
Die Partei wurde durch die von Merkel unter Bruch geltenden Rechts
exekutierte Grenzöffnung in dieser Frage zu der Oppositionspartei, die
alle etablierten Parteien vor sich hertrieb.
Dennoch zeigen die vergangenen Wochen, daß die Parteichefs Frauke
Petry und Jörg Meuthen nicht in ruhigerem Wasser segeln. Wie Odysseus in
der griechischen Sage stehen sie vor der Aufgabe, mit ihrem Schiff die
Meerenge zwischen Skylla und Charybdis durchqueren zu müssen. Zwei
Gefahren lauern auf die Partei: die Versuchung, durch Selbstaufgabe sich
Union oder FDP konturenlos anzuverwandeln, und von Skylla, dem
Establishment, aufgesaugt zu werden – durch den Abgang von Lucke
erledigt. Die andere Gefahr ist diejenige, das Schiff auf den Felsen der
Radikalisierung zu setzen und so von Charybdis verschlungen zu werden!
Denn: Eine sich radikalisierende AfD würde mindestens im Westen
deutlich an Zustimmung verlieren – zur Freude der politischen
Konkurrenz, die schon lange im Verbund mit maßgeblichen Medien das Bild
einer rechtsradikalen AfD mühsam zu erzeugen suchte. Dabei gehen einige
Medien unfair und tendenziös vor. Jüngstes Beispiel die FAZ,
deren Sonntagsausgabe mit einem nicht autorisierten Zitat von AfD-Vize
Alexander Gauland über eine vermeintlich beleidigende Aussage gegen den
Nationalspieler Boateng eine tagelange Kampagne lostrat. Inzwischen
kritisieren selbst linke Journalisten das Vorgehen der FAZ als unseriös.
Doch was ist, wenn die AfD ohne Zutun der Medien selbst Gründe
liefert, die objektiv anstößig sind? So ist es kaum zu fassen, wenn
AfD-Politiker kurz vor der Fußball-Europameisterschaft eine Debatte über
den von Jogi Löw zusammengestellten Kader lostreten. Wenn Gauland bei
Anne Will noch einmal räsoniert, daß die Nationalelf 1954 aber noch
„klassisch deutscher“ war – während Kinder die deutschen Fahnen aus dem
Keller holen, um in Kürze mit ihrer Nationalelf mitzufiebern.
Durch diese Debatte ist der unglückliche Eindruck entstanden,
Konservative stünden nicht hinter hier geborenen Deutschen mit
Migrationshintergrund, es gäbe hier eine klammheimliche Zustimmung zu
einem Ausschluß aus der Gemeinschaft wegen anderer Hautfarbe oder
Religion.
Die Politik ungebremster, unkontrollierter Masseneinwanderung nach
Deutschland muß scharf kritisiert werden. Wenn nicht gleichzeitig aber
unmißverständlich klargemacht wird, was unter einem positiven,
solidarischen Patriotismus verstanden werden sollte, nämlich ohne Wenn
und Aber die hier lebenden, integrierten oder hier bereits als Deutsche
geborenen Bürger mit Migrationshintergrund einzuschließen, dann endet
ein solcher politischer Anlauf zu Recht in einer indiskutablen
Sackgasse.
Die AfD setzt einen großen Kredit aufs Spiel gerade bei integrierten
Migranten, von denen auch nicht wenige in der AfD aktiv sind: Denn diese
sind in ihren Stadtteilen mit die Hauptleidtragenden unkontrollierter
Masseneinwanderung, sie wissen am besten, wie schwer Integration
tatsächlich zu leisten ist!
Daß die AfD das Tabuthema Islam anpackt, ist richtig. Mit einer
pauschalen Feinderklärung an eine Weltreligion ohne Differenzierung wird
das Kind jedoch mit dem Bade ausgeschüttet.
Wenn die AfD den Islam für
„grundgesetzwidrig“ (Frauke Petry) erklärt, sind dann gläubige Muslime
pauschal Verfassungsfeinde und sollen von Staats wegen zur Aufgabe ihrer
Religion genötigt werden?
Warum spricht Alexander Gauland neuerdings von „raum- und
kulturfremden Menschen“ und erinnert nicht an das positive Beispiel
seines Engagements als Mitglied der hessischen Landesregierung, als er
mithalf, 40.000 „Boat People“ aus Vietnam nach Deutschland zu holen,
Menschen, die sich übrigens hervorragend integriert haben?
Und warum deckt er, daß sich „sein Freund“ Höcke über einen von
Gauland selbst mitgefaßten Bundesvorstandsbeschluß demonstrativ
hinwegsetzt, nicht mit Pegida zusammenzuarbeiten mit der merkwürdigen
Begründung, Höcke habe angeblich „viele Menschen an die AfD gebunden“
und es sei „deshalb ein gutes Recht, auch mal von einem
Vorstandsbeschluß abzuweichen“, wie er gegenüber Bild am Sonntag
äußerte?
Am Sieg über Lucke haftet eine Hypothek, denn er gelang der jetzigen
Führung nur mit Hilfe des schon damals als problematisch erkannten
Rechtsaußenflügels um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Dieser hatte
mit der in Essen geäußerten Losung, Frauke Petry sei „nur das kleinere
Übel“, klar gemacht, daß er noch seinen Tribut einzulösen gedenke.
Inzwischen flammt erneut ein Machtkampf auf, bei dem sich die
AfD-Kapitäne unverholen gegenseitig ins Steuer greifen.
Der Höcke-Flügel
wird dabei taktisch von Petry-Rivalen genutzt, um Mehrheiten gegen sie
zu organisieren – ein peinliches Spiel.
Thilo Sarrazin prognostizierte nüchtern, über die Zukunft der AfD
entscheide „ihre ganz eindeutige, inhaltlich und personell glaubwürdige
Abgrenzung nach rechts“. Das hat die AfD bis jetzt nicht überzeugend
gelöst, auch weil sie wegen des Machtkampfes nicht geschlossen und
konsequent präventiv vorgeht.
Im Falle des wegen unsäglicher antisemitischer Veröffentlichungen
jetzt in die Schlagzeilen geratenen baden-württembergischen
Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon handelt die Partei spät, doch
immerhin geschlossen. Das von Sarrazin beschriebene Problem wird noch
umfassend anzupacken sein. JF
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