Stationen

Dienstag, 21. Juni 2016

Henryczku

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, lieber Mathias Döpfner,
eine Laudatio auf den eigenen Chef zu halten, ist ein riskantes Unterfangen. Etwa so, als würde man bei der Feier zur Silbernen Hochzeit den Gästen erklären, warum man vor 25 Jahren die eigene Frau geheiratet habe. Ein falsches Wort, und man hat die nächsten 25 Jahre nichts zu lachen.
Nun, in meinem Fall ist die Lage nicht ganz so dramatisch. Ich bin vor etwas mehr als fünf Jahren zur WELT gekommen, in einem Alter, in dem sich andere zur Ruhe setzen, um Kakteen zu sammeln oder auf einer Moto Guzzi durch die Schorfheide zu rasen. Dass ich zu diesem Zeitpunkt beschlossen habe, noch einmal durchzustarten und von einem Wochenmagazin zu einer Tageszeitung zu wechseln, also von einem Paddelboot auf ein Motorboot, hatte vor allem mit ihnen, lieber Herr Döpfner, zu tun. Sie haben es geschafft, mich zu überreden, dass ich den Stall wechseln soll und – mehr noch – sie haben meine Frau davon überzeugt, dass es für Hilde besser wäre, wenn ich nicht weniger, sondern mehr arbeiten würde.
Ich weiß bis heute nicht, wie Sie das gemacht haben, aber ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Und jedes Mal, wenn ich einen Artikel von Jakob Augstein auf Spiegel online oder im gedruckten Spiegel lese, klettert meine Dankbarkeit wieder ein Stück höher auf der oben offenen Doepfner-Skala. Nicht, dass ich beim Spiegel eine schlechte Zeit gehabt hätte, ganz im Gegenteil. Nur der Gedanke, mit Jakob Augstein unter demselben Dach zu arbeiten, ist beinah so schrecklich wie die Vorstellung, mit Claudia Roth Börek zu backen.

So, das wollte ich loswerden, um zu erklären, warum ich hier stehe. Der zweite Grund ist: Ich kannte Arno Lustiger und bewunderte ihn. Vielleicht waren wir sogar befreundet, ich weiß es nicht. Wenn er mich anrief, sprach er mich mit „Henryczku“ an, einem Diminutiv, der im Polnischen dann gebraucht wird, wenn man der Person, die angesprochen wird, mitteilen will, dass man sie mag. Ich konnte mich nicht revanchieren, denn für „Arno“ gibt es im Polnischen keine Verkleinerung, genau genommen gibt es Arno im Polnischen überhaupt nicht.
Die Gespräche mit Arno verliefen nach einer bestimmten Dramaturgie. Zuerst wollte er wissen, wie es mir geht und was ich so machen würde. Und ehe ich seine Frage beantworten konnte, erzählte er, wo er gerade einen Vortrag gehalten oder wohin man ihn eingeladen hatte, demnächst einen Vortrag zu halten. Es waren gute Adressen, Schulen, Universitäten, Rotary-Clubs.
Es war so wie in dem Witz von den beiden Schauspielern, die sich in einem Cafe treffen. „Ich habe gestern den Wilhelm Tell gespielt“, sagt der eine, „es war phantastisch, die Leute haben gejubelt, wir hatten 12 Vorhänge“. Nach einer Weile hält er kurz inne und  fährt fort. „Entschuldige bitte, dass ich immer nur von mir rede. Nun zu dir. Wie hat dir meine Vorstellung gefallen?"
Wenn ich Arno in Frankfurt besuchte, zeigte er mir voller Stolz seine Bibliothek mit Büchern auf Deutsch, Polnisch, Jiddisch, Hebräisch und Russisch. Die meisten hatte er tatsächlich gelesen, während ich es eher mit Karl Kraus halte: „Ein ungelesenes Buch im Regal ist mir lieber als ein ausgeliehenes gelesenes.“
Arno war ein Autodidakt, er hatte sich ein enormes Wissen angeeignet. Vor allem auf zwei Gebieten: Juden im Spanischen Bürgerkrieg und Juden im Widerstand gegen die Nazis. Er trat der weit verbreiteten Ansicht entgegen, die Juden hätten sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. Nein, sagte Arno, die Juden haben sich gewehrt, sie haben gekämpft, um ihr Leben und um ihre Würde, nicht nur im Warschauer Ghetto, auch in anderen Ghettos und Lagern. Ich kann mich noch gut an die Kontroverse um sein Buch „Stalin und die Juden“ über „die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden“ erinnern. Ausgerechnet  deutsche, damals noch westdeutsche Linke, die ihr eigenes Verhältnis zum Kommunismus nicht aufgearbeitet hatten, warfen ihm vor, die Verbrechen der Nazis an den Juden zu relativieren, indem er den Antisemitismus/Antizionismus sowjetischer Prägung aufzeigte.
Arno nahm das gelassen hin. Er genoss es, die Zunft der Berufshistoriker aufzumischen. Ein Privatgelehrter mit Herz und Verstand, der begriffen hatte, dass Freiheit keine Wellness-Oase ist, in der man sich ausruhen kann, sondern eine Arena, in der täglich gekämpft wird.

Und hier, lieber Mathias Doepfner, ergibt sich die Schnittstelle zu Ihnen. Sie sind - was nicht alle wissen - ein gelernter Musik- und Theaterwissenschaftler, also jemand, der von Hause aus dem Musischen und Musikalischen zugewandt ist. Dass Sie, ebenso wie Ludwig van Beethoven, in Bonn geboren wurden und in Offenbach aufgewachsen sind, dem Ort, aus dem die Familie von Jacques Offenbach stammt, dürfte ein Zufall sein, er könnte Ihr Leben aber auch mehr bestimmt haben, als Sie ahnen. Über Ihnen schweben Fidelio und die Pastorale, Hoffmanns Erzählungen und Orpheus in der Unterwelt. Eine schöne Mischung aus E- und U-Kultur, die Ihnen vermutlich den Weg gewiesen hat in ein Haus, in dem die WELT und die BILD verlegt werden.
Das zentrale Leitmotiv Ihres Lebens aber ist, wie ich schon angedeutet habe, die Idee der Freiheit. Eine sehr fragile Idee. In Ihrem Buch „Die Freiheitsfalle“, das 2011 erschienen ist, beschreiben Sie das Phänomen der „Freiheitsvergessenheit“ des Westens und schlagen dabei einen weiten Bogen vom Mauerfall, dem 11. September und der Finanzkrise zu Richard Wagner und der Musik, Thomas Mann und der Literatur und Gustave Courbet und dem „Ursprung der Welt“ - und wieder zurück in die Gegenwart, die vom Internet dominiert wird, das, wie Sie schreiben, eine Freiheitschance und Freiheitsbedrohung zugleich ist.
Seitdem sind nur wenige Jahre vergangen, und ich fürchte, dass sich das Equilibrium inzwischen in Richtung Freiheitsbedrohung verschoben hat. Das ist nun mal die Dialektik des Fortschritts. Mit Hilfe der beweglichen Lettern, die Johannes Gutenberg erfunden hatte, wurde es möglich, die Bergpredigt und die Schriften von Heinrich Heine ebenso unter die Massen zu bringen wie die Texte von Adolf Hitler und später die Manifeste der Roten Armee Fraktion. Aus dieser Fortschritts-Falle gibt es kein Entkommen.
Von Zeit zu Zeit melden Sie sich selbst zu Wort. Und dann läuten die Glocken. Zuletzt haben Sie sich in einem Offenen Brief hinter den Komödianten und Satiriker Jan Böhmermann gestellt, der mit einem Spottgedicht auf den türkischen Präsidenten die Republik in eine Staatskrise getrieben hatte. Man konnte in jenen Tagen überall lesen, die Satire dürfe eigentlich alles, aber dieser Generalvollmacht folgte immer ein Aber, ein dickes, fettes, verlogenes, verräterisches Aber. Die Satire dürfe alles, aber sie müsse es nicht, Freiheit bedeute immer Selbstbescheidung, Provokationen seien nicht zielführend, schon gar nicht in der derzeitigen politischen Lage, da wir auf die Zusammenarbeit mit dem türkischen Präsidenten angewiesen wären. Es war die übliche bedingte Solidarität der kulturellen Angsthasen und Riesenzwerge, wie wir sie schon gegenüber Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali und Kurt Westergaard erlebt haben, wohlfeil und minimalistisch.
Und dann kam Mathias Doepfner. „Gut gemacht, Böhmermann!", rief er, „dieser Präsident hat es verdient, verspottet zu werden!" Ohne Wenn und Aber. Ohne taktische Rücksichtnahmen auf die deutsch-türkischen Beziehungen. Denn nicht irgendein Präsident wurde verspottet, sondern ein größenwahnsinniger Despot, der kritische Journalisten verfolgen, Oppositionelle einsperren und friedliche Demonstranten zusammenschlagen lässt, der Auslandstürken für sich mobilisiert und zugleich darauf besteht, in keinem Land der Welt ginge es so freiheitlich und friedlich zu wie in seinem Reich zu beiden Seiten des Bosporus. Ein Mann, der sich jede Kritik an seiner Politik als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes verbietet und der sich nicht scheut, den Bundestag und seine Abgeordneten unter Druck zu setzen.

Vor diesem Mann ist unsere Kanzlerin in die Knie gegangen und hat die deutsche Justiz ermächtigt, gegen Jan Böhmermann ein Verfahren wegen „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ zu eröffnen. Danach hat einer der Anwälte, die Erdogan inzwischen in Deutschland beschäftigt, den Versuch unternommen, Ihnen einen Maulkorb umzuhängen. Er hat eine Einstweilige Verfügung gegen Sie beantragt und ist damit vor Gericht abgeblitzt. Das fand ich einerseits richtig so, andererseits schade, nicht weil ich Sie in der Rolle des Beklagten vor Gericht erleben wollte, sondern weil ich mich schon auf einen weiteren Text von Ihnen gefreut habe. Am besten unter der Überschrift: „J’accuse! Ich klage an!", eine Schlagzeile, die schon einmal für einen gewaltigen Skandal gesorgt hat.
Lieber Mathias Doepfner, Sie bekommen heute den Arno-Lustiger-Preis. Arno wäre begeistert.
Er hätte bestimmt eine großartige Laudatio auf Sie gehalten. Mit Zitaten von Heinrich Heine, Ludwig Börne, Moses Mendelssohn, Nathan dem Weisen, Baruch Spinoza und - Wolf Biermann. Ich kann nur sagen: Es ist die richtige Wahl. Und mir fällt niemand ein, der es mehr als Sie verdienen würde, mit einem Preis, der den Namen von Arno Lustiger trägt, geehrt zu werden. Beim nächsten Mal werden die Preisgeber es nicht leicht haben, einen würdigen Preisträger zu finden.
Was mich allerdings irritiert, ist die Begründung: Mathias Doepfner habe sich um das jüdische Leben in Deutschland und um die Verständigung zwischen Deutschen und Israelis bzw. Deutschen und Juden verdient gemacht. Ich kann nur hoffen, dass Sie nicht jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen darüber nachdenken, was Sie für das jüdische Leben in Deutschland und die Verständigung zwischen Deutschen und Israelis tun könnten; ich hoffe, dass Sie erst einmal den Wirtschaftsteil der FAZ lesen und sich dann die Verkaufszahlen der BILD und der WELT vom Vortag vorlegen lassen, wie es sich für den Vorstandsvorsitzenden eines großen Verlagshauses gehört.
Es ist eine der Traditionen, die wir Juden liebevoll pflegen, dass wir, wann immer es blitzt und donnert, Schutz unter einem großen, starken Baum suchen. Seit dem Auszug aus Ägypten und dem Aufstand der Makkabäer bis zu der Gründung des Staates Israel haben Juden sich immer um ein gutes Verhältnis zur Obrigkeit bemüht, ein für eine Minderheit sehr verständliches Verhalten, das aber tiefe Spuren in der kollektiven Seele hinterlassen hat. Man könnte auch von einer Dhimmi-Mentalität sprechen, die ihre eigenen historischen Bedingungen überlebt hat. Wir fragen uns mehrmals am Tag: Ist es gut für die Juden oder ist es schlecht für die Juden? Was könnte die Wahl von Marine Le Pen zur Präsidentin von Frankreich für Juden bedeuten? Und wie steht Donald Trump zu den Juden? Hat er nicht eine jüdische Tochter oder einen jüdischen Schwiegersohn? Das lässt hoffen.
Ja, liebe Freunde, es ist einfacher, die Juden aus dem Ghetto zu holen als das Ghetto aus den Juden.
Viele von uns mögen oder können nicht begreifen, dass unser Wohlergehen nicht vom Wohlwollen der jeweiligen Regierung, eines Präsidenten oder eines Gerechten unter den Völkern abhängt, sondern von der Durchsetzungskraft des Rechtsstaates, freien Wahlen, Gewaltenteilung, Meinungs- und Glaubensfreiheit, wozu auch das Recht gehört, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören und über Gott und seine missratenen Kinder spotten zu können.
Ich glaube auch nicht, dass es partikulare jüdische Interessen gibt. So wie es keine partikularen moslemischen oder katholischen Interessen gibt. Das ist alles Humbug, um die Existenz von Interessenverbänden zu rechtfertigen. Auch die Sicherheit Israels ist kein partikulares jüdisches Interesse. Wenn unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, wie es Peter Struck mal gesagt hat, dann wird sie auch am Jordan, auf den Golanhöhen und an der Grenze zu Gaza verteidigt. Und je näher der islamische Terror kommt, je gefährlicher es mitten in Europa wird, ein Konzert, ein Cafehaus, einen Supermarkt oder ein Fußballspiel zu besuchen, umso klarer wird es, dass Appeasement gegenüber dem Terrorismus nichts nutzt.

Ein Appeaser, so hat es Winston Churchill mal gesagt, ist jemand, der ein Krokodil füttert in der Hoffnung, es werde ihn als Letzten fressen. Mir macht auch der alltägliche normale Antisemitismus keine Sorgen. Jürgen Möllemann, seligen Andenkens, von der FDP, Martin Hohmann von der CDU, Wolfgang Gedeon von der AfD – die Antisemiten kommen und gehen, der Antisemitismus bleibt. Viel schlimmer - und auf die Dauer bedrohlicher - finde ich, wenn Margot Käßmann sagt, auch Terroristen seien „das Ebenbild Gottes“, wir sollten ihnen mit „Beten und Liebe“ begegnen.

Ich kann nur hoffen, das Gott kein Ebenbild von Margot Käßmann ist. Auch die Nazis waren wohl die Ebenbilder Gottes, trotzdem werden wir den Alliierten ewig dankbar sein, dass sie darauf keine Rücksicht genommen haben. Ebenso unsäglich und unerträglich finde ich das Werben um die Gunst von Despoten unter dem Banner der Kultur und des Wandels durch Annäherung.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat eine Zusammenarbeit mit dem Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst vereinbart. Einige Kunstwerke aus der Sammlung des Museums, die noch nie im Iran gezeigt wurden, sollen demnächst  in Berlin gezeigt werden. Der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat den Direktor des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst eingeladen, ebenfalls nach Berlin zu kommen. Der ist zuletzt dadurch aufgefallen, dass er  im Holocaustkarikaturen-Wettbewerb, der in diesem Jahr zum zweiten Mal in Teheran veranstaltet wurde, die Preise an die Gewinner überreicht hat.
Auf eine diesbezügliche Anfrage meines Kollegen Gunnar Schupelius von der BZ hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geantwortet, man habe bei Unterzeichnung des Vertrages „keine Kenntnis darüber gehabt, dass ein iranischer Holocaustkarikaturen-Wettbewerb veranstaltet wird und welche Rolle Herr Mollanoroozi dabei spielen würde“. Nun weiß man es, denkt aber trotzdem nicht daran, die Einladung rückgängig zu machen, denn, so die für Kultur zuständige Staatsministerin Monika Grütters, die geplante Ausstellung sei „ein wesentliches Element des kulturellen Dialoges zwischen dem Iran und dem Westen“.
Dass dieser großartige Dialog auf der iranischen Seite von den Schergen eines Regimes geführt wird, das den letzten Holocaust leugnet und zugleich den nächsten plant, scheint weder den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz noch die Kulturstaatsministerin zu stören. Ein dreifach Hoch auf die zivilisatorische Kraft der Kultur!
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, lieber Mathias Döpfner; das war’s, was ich heute sagen wollte. Zitternd vor Kühnheit habe ich es auch im Namen von Arno Lustiger getan, und bis zum letzten Tintentropfen. Herzlichen Glückwunsch, lieber Mathias Döpfner, der Kampf geht weiter! Und bitte vergessen Sie nicht:  Kentucky Fried Chicken wartet auf uns.  Henryczku

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