Meine Damen und Herren, liebe Freunde, lieber Mathias Döpfner,
eine Laudatio auf den eigenen Chef zu halten, ist ein riskantes
Unterfangen. Etwa so, als würde man bei der Feier zur Silbernen Hochzeit
den Gästen erklären, warum man vor 25 Jahren die eigene Frau geheiratet
habe. Ein falsches Wort, und man hat die nächsten 25 Jahre nichts zu
lachen.
Nun, in meinem Fall ist die Lage nicht ganz so dramatisch. Ich bin
vor etwas mehr als fünf Jahren zur WELT gekommen, in einem Alter, in dem
sich andere zur Ruhe setzen, um Kakteen zu sammeln oder auf einer Moto
Guzzi durch die Schorfheide zu rasen. Dass ich zu diesem
Zeitpunkt beschlossen habe, noch einmal durchzustarten und von einem
Wochenmagazin zu einer Tageszeitung zu wechseln, also von einem
Paddelboot auf ein Motorboot, hatte vor allem mit ihnen, lieber Herr
Döpfner, zu tun. Sie haben es geschafft, mich zu überreden, dass ich den
Stall wechseln soll und – mehr noch – sie haben meine Frau davon
überzeugt, dass es für Hilde besser wäre, wenn ich nicht weniger,
sondern mehr arbeiten würde.
Ich weiß bis heute nicht, wie Sie das gemacht haben, aber ich bin
Ihnen dafür sehr dankbar. Und jedes Mal, wenn ich einen Artikel von
Jakob Augstein auf Spiegel online oder im gedruckten Spiegel lese,
klettert meine Dankbarkeit wieder ein Stück höher auf der oben offenen
Doepfner-Skala. Nicht, dass ich beim Spiegel eine schlechte Zeit gehabt
hätte, ganz im Gegenteil. Nur der Gedanke, mit Jakob Augstein unter
demselben Dach zu arbeiten, ist beinah so schrecklich wie die
Vorstellung, mit Claudia Roth Börek zu backen.
So, das wollte ich loswerden, um zu erklären, warum ich hier stehe.
Der zweite Grund ist: Ich kannte Arno Lustiger und bewunderte ihn.
Vielleicht waren wir sogar befreundet, ich weiß es nicht. Wenn er mich
anrief, sprach er mich mit „Henryczku“ an, einem Diminutiv, der im
Polnischen dann gebraucht wird, wenn man der Person, die angesprochen
wird, mitteilen will, dass man sie mag. Ich konnte mich nicht
revanchieren, denn für „Arno“ gibt es im Polnischen keine Verkleinerung,
genau genommen gibt es Arno im Polnischen überhaupt nicht.
Die Gespräche mit Arno verliefen nach einer bestimmten Dramaturgie.
Zuerst wollte er wissen, wie es mir geht und was ich so machen würde.
Und ehe ich seine Frage beantworten konnte, erzählte er, wo er gerade
einen Vortrag gehalten oder wohin man ihn eingeladen hatte, demnächst
einen Vortrag zu halten. Es waren gute Adressen, Schulen, Universitäten,
Rotary-Clubs.
Es war so wie in dem Witz von den beiden Schauspielern, die sich in
einem Cafe treffen. „Ich habe gestern den Wilhelm Tell gespielt“, sagt
der eine, „es war phantastisch, die Leute haben gejubelt, wir hatten 12
Vorhänge“. Nach einer Weile hält er kurz inne und fährt fort.
„Entschuldige bitte, dass ich immer nur von mir rede. Nun zu dir. Wie
hat dir meine Vorstellung gefallen?"
Wenn ich Arno in Frankfurt besuchte, zeigte er mir voller Stolz seine
Bibliothek mit Büchern auf Deutsch, Polnisch, Jiddisch, Hebräisch und
Russisch. Die meisten hatte er tatsächlich gelesen, während ich es eher
mit Karl Kraus halte: „Ein ungelesenes Buch im Regal ist mir lieber als
ein ausgeliehenes gelesenes.“
Arno war ein Autodidakt, er hatte sich ein enormes Wissen angeeignet.
Vor allem auf zwei Gebieten: Juden im Spanischen Bürgerkrieg und Juden
im Widerstand gegen die Nazis. Er trat der weit verbreiteten Ansicht
entgegen, die Juden hätten sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen
lassen. Nein, sagte Arno, die Juden haben sich gewehrt, sie haben
gekämpft, um ihr Leben und um ihre Würde, nicht nur im Warschauer
Ghetto, auch in anderen Ghettos und Lagern. Ich kann mich noch gut an
die Kontroverse um sein Buch „Stalin und die Juden“ über „die tragische
Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der
sowjetischen Juden“ erinnern. Ausgerechnet deutsche, damals noch
westdeutsche Linke, die ihr eigenes Verhältnis zum Kommunismus nicht
aufgearbeitet hatten, warfen ihm vor, die Verbrechen der Nazis an den
Juden zu relativieren, indem er den Antisemitismus/Antizionismus
sowjetischer Prägung aufzeigte.
Arno nahm das gelassen hin. Er genoss es, die Zunft der
Berufshistoriker aufzumischen. Ein Privatgelehrter mit Herz und
Verstand, der begriffen hatte, dass Freiheit keine Wellness-Oase ist, in
der man sich ausruhen kann, sondern eine Arena, in der täglich gekämpft
wird.
Und hier, lieber Mathias Doepfner, ergibt sich die Schnittstelle zu
Ihnen. Sie sind - was nicht alle wissen - ein gelernter Musik- und
Theaterwissenschaftler, also jemand, der von Hause aus dem Musischen und
Musikalischen zugewandt ist. Dass Sie, ebenso wie Ludwig van Beethoven,
in Bonn geboren wurden und in Offenbach aufgewachsen sind, dem Ort, aus
dem die Familie von Jacques Offenbach stammt, dürfte ein Zufall sein,
er könnte Ihr Leben aber auch mehr bestimmt haben, als Sie ahnen. Über
Ihnen schweben Fidelio und die Pastorale, Hoffmanns Erzählungen und
Orpheus in der Unterwelt. Eine schöne Mischung aus E- und U-Kultur, die
Ihnen vermutlich den Weg gewiesen hat in ein Haus, in dem die WELT
und die BILD verlegt werden.
Das zentrale Leitmotiv Ihres Lebens aber ist, wie ich schon
angedeutet habe, die Idee der Freiheit. Eine sehr fragile Idee. In Ihrem
Buch „Die Freiheitsfalle“, das 2011 erschienen ist, beschreiben Sie das
Phänomen der „Freiheitsvergessenheit“ des Westens und schlagen dabei
einen weiten Bogen vom Mauerfall, dem 11. September und der Finanzkrise
zu Richard Wagner und der Musik, Thomas Mann und der Literatur und
Gustave Courbet und dem „Ursprung der Welt“ - und wieder zurück in die
Gegenwart, die vom Internet dominiert wird, das, wie Sie schreiben, eine
Freiheitschance und Freiheitsbedrohung zugleich ist.
Seitdem sind nur wenige Jahre vergangen, und ich fürchte, dass sich
das Equilibrium inzwischen in Richtung Freiheitsbedrohung verschoben
hat. Das ist nun mal die Dialektik des Fortschritts. Mit Hilfe der
beweglichen Lettern, die Johannes Gutenberg erfunden hatte, wurde es
möglich, die Bergpredigt und die Schriften von Heinrich Heine ebenso
unter die Massen zu bringen wie die Texte von Adolf Hitler und später
die Manifeste der Roten Armee Fraktion. Aus dieser Fortschritts-Falle
gibt es kein Entkommen.
Von Zeit zu Zeit melden Sie sich selbst zu Wort. Und dann läuten die
Glocken. Zuletzt haben Sie sich in einem Offenen Brief hinter den
Komödianten und Satiriker Jan Böhmermann gestellt, der mit einem
Spottgedicht auf den türkischen Präsidenten die Republik in eine
Staatskrise getrieben hatte. Man konnte in jenen Tagen überall lesen,
die Satire dürfe eigentlich alles, aber dieser Generalvollmacht folgte
immer ein Aber, ein dickes, fettes, verlogenes, verräterisches Aber. Die
Satire dürfe alles, aber sie müsse es nicht, Freiheit bedeute immer
Selbstbescheidung, Provokationen seien nicht zielführend, schon gar
nicht in der derzeitigen politischen Lage, da wir auf die Zusammenarbeit
mit dem türkischen Präsidenten angewiesen wären. Es war die übliche
bedingte Solidarität der kulturellen Angsthasen und Riesenzwerge, wie
wir sie schon gegenüber Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali und Kurt
Westergaard erlebt haben, wohlfeil und minimalistisch.
Und dann kam Mathias Doepfner. „Gut gemacht, Böhmermann!", rief er,
„dieser Präsident hat es verdient, verspottet zu werden!" Ohne Wenn und
Aber. Ohne taktische Rücksichtnahmen auf die deutsch-türkischen
Beziehungen. Denn nicht irgendein Präsident wurde verspottet, sondern
ein größenwahnsinniger Despot, der kritische Journalisten verfolgen,
Oppositionelle einsperren und friedliche Demonstranten zusammenschlagen
lässt, der Auslandstürken für sich mobilisiert und zugleich darauf
besteht, in keinem Land der Welt ginge es so freiheitlich und friedlich
zu wie in seinem Reich zu beiden Seiten des Bosporus. Ein Mann, der sich
jede Kritik an seiner Politik als Einmischung in die inneren
Angelegenheiten seines Landes verbietet und der sich nicht scheut, den
Bundestag und seine Abgeordneten unter Druck zu setzen.
Vor diesem Mann ist unsere Kanzlerin in die Knie gegangen und hat die
deutsche Justiz ermächtigt, gegen Jan Böhmermann ein Verfahren wegen
„Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ zu
eröffnen. Danach hat einer der Anwälte, die Erdogan inzwischen in
Deutschland beschäftigt, den Versuch unternommen, Ihnen einen Maulkorb
umzuhängen. Er hat eine Einstweilige Verfügung gegen Sie beantragt und
ist damit vor Gericht abgeblitzt. Das fand ich einerseits richtig so,
andererseits schade, nicht weil ich Sie in der Rolle des Beklagten vor
Gericht erleben wollte, sondern weil ich mich schon auf einen weiteren
Text von Ihnen gefreut habe. Am besten unter der Überschrift: „J’accuse!
Ich klage an!", eine Schlagzeile, die schon einmal für einen gewaltigen
Skandal gesorgt hat.
Lieber Mathias Doepfner, Sie bekommen heute den Arno-Lustiger-Preis. Arno wäre begeistert.
Er hätte bestimmt eine großartige Laudatio auf Sie gehalten. Mit
Zitaten von Heinrich Heine, Ludwig Börne, Moses Mendelssohn, Nathan dem
Weisen, Baruch Spinoza und - Wolf Biermann. Ich kann nur sagen: Es ist
die richtige Wahl. Und mir fällt niemand ein, der es mehr als Sie
verdienen würde, mit einem Preis, der den Namen von Arno Lustiger trägt,
geehrt zu werden. Beim nächsten Mal werden die Preisgeber es nicht
leicht haben, einen würdigen Preisträger zu finden.
Was mich allerdings irritiert, ist die Begründung: Mathias Doepfner
habe sich um das jüdische Leben in Deutschland und um die Verständigung
zwischen Deutschen und Israelis bzw. Deutschen und Juden verdient
gemacht. Ich kann nur hoffen, dass Sie nicht jeden Morgen gleich nach
dem Aufstehen darüber nachdenken, was Sie für das jüdische Leben in
Deutschland und die Verständigung zwischen Deutschen und Israelis tun
könnten; ich hoffe, dass Sie erst einmal den Wirtschaftsteil der FAZ
lesen und sich dann die Verkaufszahlen der BILD und der WELT vom Vortag
vorlegen lassen, wie es sich für den Vorstandsvorsitzenden eines großen
Verlagshauses gehört.
Es ist eine der Traditionen, die wir Juden liebevoll pflegen, dass
wir, wann immer es blitzt und donnert, Schutz unter einem großen,
starken Baum suchen. Seit dem Auszug aus Ägypten und dem Aufstand der
Makkabäer bis zu der Gründung des Staates Israel haben Juden sich immer
um ein gutes Verhältnis zur Obrigkeit bemüht, ein für eine Minderheit
sehr verständliches Verhalten, das aber tiefe Spuren in der kollektiven
Seele hinterlassen hat. Man könnte auch von einer Dhimmi-Mentalität
sprechen, die ihre eigenen historischen Bedingungen überlebt hat. Wir
fragen uns mehrmals am Tag: Ist es gut für die Juden oder ist es
schlecht für die Juden? Was könnte die Wahl von Marine Le Pen zur
Präsidentin von Frankreich für Juden bedeuten? Und wie steht Donald
Trump zu den Juden? Hat er nicht eine jüdische Tochter oder einen
jüdischen Schwiegersohn? Das lässt hoffen.
Ja, liebe Freunde, es ist einfacher, die Juden aus dem Ghetto zu holen als das Ghetto aus den Juden.
Viele von uns mögen oder können nicht begreifen, dass unser
Wohlergehen nicht vom Wohlwollen der jeweiligen Regierung, eines
Präsidenten oder eines Gerechten unter den Völkern abhängt, sondern von
der Durchsetzungskraft des Rechtsstaates, freien Wahlen,
Gewaltenteilung, Meinungs- und Glaubensfreiheit, wozu auch das Recht
gehört, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören und über Gott und seine
missratenen Kinder spotten zu können.
Ich glaube auch nicht, dass es partikulare jüdische Interessen gibt.
So wie es keine partikularen moslemischen oder katholischen Interessen
gibt. Das ist alles Humbug, um die Existenz von Interessenverbänden zu
rechtfertigen. Auch die Sicherheit Israels ist kein partikulares
jüdisches Interesse. Wenn unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird,
wie es Peter Struck mal gesagt hat, dann wird sie auch am Jordan, auf
den Golanhöhen und an der Grenze zu Gaza verteidigt. Und je näher der
islamische Terror kommt, je gefährlicher es mitten in Europa wird, ein
Konzert, ein Cafehaus, einen Supermarkt oder ein Fußballspiel zu
besuchen, umso klarer wird es, dass Appeasement gegenüber dem
Terrorismus nichts nutzt.
Ein Appeaser, so hat es Winston Churchill mal gesagt, ist jemand, der
ein Krokodil füttert in der Hoffnung, es werde ihn als Letzten fressen.
Mir macht auch der alltägliche normale Antisemitismus keine Sorgen.
Jürgen Möllemann, seligen Andenkens, von der FDP, Martin Hohmann von der
CDU, Wolfgang Gedeon von der AfD – die Antisemiten kommen und gehen,
der Antisemitismus bleibt. Viel schlimmer - und auf die Dauer
bedrohlicher - finde ich, wenn Margot Käßmann sagt, auch Terroristen
seien „das Ebenbild Gottes“, wir sollten ihnen mit „Beten und Liebe“
begegnen.
Ich kann nur hoffen, das Gott kein Ebenbild von Margot Käßmann ist.
Auch die Nazis waren wohl die Ebenbilder Gottes, trotzdem werden wir den
Alliierten ewig dankbar sein, dass sie darauf keine Rücksicht genommen
haben. Ebenso unsäglich und unerträglich finde ich das Werben um die
Gunst von Despoten unter dem Banner der Kultur und des Wandels durch
Annäherung.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat eine Zusammenarbeit mit dem
Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst vereinbart. Einige
Kunstwerke aus der Sammlung des Museums, die noch nie im Iran gezeigt
wurden, sollen demnächst in Berlin gezeigt werden. Der Direktor der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat den Direktor des Teheraner Museums
für zeitgenössische Kunst eingeladen, ebenfalls nach Berlin zu kommen.
Der ist zuletzt dadurch aufgefallen, dass er im
Holocaustkarikaturen-Wettbewerb, der in diesem Jahr zum zweiten Mal in
Teheran veranstaltet wurde, die Preise an die Gewinner überreicht hat.
Auf eine diesbezügliche Anfrage meines Kollegen Gunnar Schupelius von
der BZ hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
geantwortet, man habe bei Unterzeichnung des Vertrages „keine Kenntnis
darüber gehabt, dass ein iranischer Holocaustkarikaturen-Wettbewerb
veranstaltet wird und welche Rolle Herr Mollanoroozi dabei spielen
würde“. Nun weiß man es, denkt aber trotzdem nicht daran, die Einladung
rückgängig zu machen, denn, so die für Kultur zuständige
Staatsministerin Monika Grütters, die geplante Ausstellung sei „ein
wesentliches Element des kulturellen Dialoges zwischen dem Iran und dem
Westen“.
Dass dieser großartige Dialog auf der iranischen Seite von den
Schergen eines Regimes geführt wird, das den letzten Holocaust leugnet
und zugleich den nächsten plant, scheint weder den Präsidenten der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz noch die Kulturstaatsministerin zu
stören. Ein dreifach Hoch auf die zivilisatorische Kraft der Kultur!
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, lieber Mathias Döpfner; das war’s, was ich heute sagen wollte. Zitternd vor Kühnheit habe ich es auch im Namen von Arno Lustiger getan, und bis zum letzten Tintentropfen.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Mathias Döpfner, der Kampf geht weiter!
Und bitte vergessen Sie nicht: Kentucky Fried Chicken wartet auf uns. Henryczku
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