Stationen

Sonntag, 19. Juni 2016

Hebbel

In Hebbels Tagebüchern auf die bezaubernde Wortschöpfung "Verschönerungsglas" gestoßen. Ich besaß selber mal eines (ich nannte es nur anders), habe es aber verlegt. Offen gestanden suche ich schon seit Jahren nicht mehr danach. Womöglich sollte ich es tun.

In besagten Tagebüchern liest man stets mit großem Gewinn. Etwa diese Sentenzen:
"Große Menschen sind Inhaltsverzeichnisse der Menschheit."
"Für meinen Nächsten würde oft dabei wenig herauskommen, wenn ich ihn liebte, wie mich selbst."
"Eben weil er fliegen kann, kann der Adler nicht gehen."
"Ein Wurm wird noch während des Weltuntergangs schmarotzen."
"Je winziger ein Individuum ist, desto stolzer ist es darauf, ein Mensch zu sein, und umgekehrt. Beides mit Recht und mit Grund."
"Die deutsche Nation verteilt ihre Lorbeeren wie Ophelia ihre Blumen."

Oder dies:
"’Eines Abends wurden alle meine Nachbarn gegen mich aufgebracht, klopften an Wände und Türen, drangen zuletzt in mein Zimmer und fragten mich, was das für ein Lärm sei, den ich mache. Beschämt freilich zogen sie ab, denn sie überzeugten sich, dass mein Herz so laut schlug, weil ich für die Freiheit erglüht war!’ Münchhausen."
Könnte auch Volker Beck gewesen sein. Oder Michel Friedmann. Oder Bono.

"Ich will aufhören, an Gott zu glauben, wenn ich sehe, dass ein Baum ein Gedicht macht, und ein Hund eine Madonna malt; eher nicht."
Statt Baum und Hund einsetzen: Roboter.

"In einem neuen Theaterstück (...) sind die Vieh- und Milchmägde, die auf der Senn-Alp wohnen, sogar über die Sonnenuntergänge entzückt. Für den Bauer ist die Sonne aber bloß eine Uhr, die dem Knecht immer zu langsam geht und dem Wirt immer zu schnell."
Vorweggenommener Luhmann.

"Ein Schriftsteller, wie Jean Paul, ist wie ein Tempel, in dem jeder Stein eine Zunge hätte; weil alles spricht, spricht nichts."
Ein kluger, aber enger Befund (der Dramatiker urteilt).
"Ich habe in letzter Zeit viel von Jean Paul gelesen und einiges von Lichtenberg. Welch ein herrlicher Kopf ist der Letzere! Ich will lieber mit Lichtenberg vergessen werden, als unsterblich sein mit Jean Paul!"

Und als Ausblick auf die finale Aufgabe der Literatur:
"Ich kann mir eine humoristische Weltgeschichte denken, aber nur das größte Genie kann und wird sie schreiben. Es ist die letzte Aufgabe der Poesie."   MK am 19. 6. 2016

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