Wir haben uns das anders
vorgestellt. Wir hatten einen Arbeitstitel. "Das Schloss" sollte dieser
Text heißen, denn wir stellten uns ein Schloss vor, wenn wir an das
Rittergut von Götz Kubitschek dachten. "Das Schloss", da wäre alles drin
gewesen, ein bisschen Kafka (kafkaesk,
passt immer), ein bisschen Stefan George (Castrum Peregrini, diese
Zeitschrift der George-Jünger, da ist das Schloss schon im Titel) – und
ja, wir dachten auch an die SS-Burgen und ganz allgemein an rechten
Dünkel, an Hochmut und Gutsherrentum.
Jetzt
sind wir in Sachsen-Anhalt, die Wiesen werden grüner, die Landschaft
leerer. Schnurgerade Alleen, ein Schützenverein, irgendwo vorher ging es
nach Merseburg. Wir sind auf dem Weg nach Schnellroda, in Schnellroda
leben und arbeiten Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza. Götz
Kubitschek ist die zentrale Figur der sogenannten Neuen Rechten und
gerade wollen alle mit ihm reden. Wir auch. Wir, das sind der Fotograf
und ich.
Jetzt enden die
Ortschaften vor allem auf "a", Brehna, Großkorbetha, irgendwann:
Schnellroda. In Schnellroda wohnen Kubitschek und Kositza auf einem
alten Rittergut, in Schnellroda hat Kubitschek seinen Verlag, den
Antaios-Verlag, und in Schnellroda hat das Institut für Staatspolitik
seinen Sitz, eine Art neurechte Denkfabrik. Die Verlagsräume von Antaios
befinden sich ebenfalls im Rittergut, ein weltanschauliches
Gesamtprojekt, dieses Gut.
Im
Antaiosverlag erscheinen Bücher mit Titeln wie "Zurüstung zum
Bürgerkrieg. Notizen zur Überfremdung Deutschlands". Ein bisschen Ernst
Nolte, natürlich. Auch Akif Pirinçci
(der mit der Verschwulung und den Katzen-Krimis) ist jetzt beim
Antaiosverlag, seitdem ihn sein alter Verlag rausgeschmissen hat, wegen
der ungünstigen KZ-Bemerkung, die er bei seinem Pegida-Auftritt gemacht
hat. Sein neuestes Buch heißt "Umvolkung".
Der
Antaios-Verlag, heißt es, floriert. Sein Symbol ist eine Schlange. Eine
Schlange, hat Ellen Kositza einmal gesagt, häutet und häutet sich,
bleibt aber gleich. Diese drei Institutionen bilden, was man das
Kraftzentrum der "Neuen Rechten" nennen muss. Hier finden regelmäßig
intellektuelle Schulungen statt, zweimal im Jahr gibt es Akademien, die
haben sehr schlichte Titel wie "Islam", "Heimat", "Geschichtspolitik"
oder, ja, "Widerstand".
Die
Teilnehmer übernachten dann in der Gaststätte "Zum Schäfchen", einem
der ersten Gebäude, die man sieht, wenn man in den Ort hineinfährt,
lehmfarbene Fassade, minimalistisch gezeichnetes Bausche-Schaf zwischen
Hasseröder-Werbung. Die Veranstaltungen sind oft ausgebucht.
Die
Kubitscheks machen ideologische Arbeit für eine Minderheit, die wächst.
Das
sind Burschenschaftler, die hier hinkommen, das sind AfD-Mitglieder,
Pegidisten, das sind wohl auch Neonazis, das sind Konservative, das sind
Rechte, das sind Studenten. Das sind sogenannte "politisch Heimatlose",
das sind sogenannte "normale" Menschen. Wobei die Fiktion des Normalen
ja nie den Einzelnen in seiner tatsächlichen Normalität meint, sondern
immer schon politisch konnotiert ist: ganz normale Menschen wie du und
ich. Auch die. Mittlerweile. Ja. Man sollte sich Sorgen machen. Sollte
man?
Wir
sind zu früh in Schnellroda. Das Rittergut ist ein großes, freundliches
Einfamilienhaus, ein wilder, wuchernder Garten, vor dem Eingang ein
gelber Rosenstock, eine Bank, Inlineskater, Skier, eine Lederkappe.
Kubitschek und Kositza haben das Gut 2001 gekauft und sind
hierhergezogen, sie machen alles selbst, schlachten Enten, backen Brot,
züchten Rote Beete. Kubitschek und Kositza haben sieben Kinder, das
gehört ganz fest zur Beschreibungsformel dazu, wenn man über Kubitschek
und Kositza schreibt, und es wird viel geschrieben in letzter Zeit über
Kubitschek und Kositza. Er Verlagsmann, Herausgeber, Ex-Soldat, sie
Autorin für "Sezession" und "Junge Freiheit", offen rechts, Mutter,
Hausfrau. Geistiger Austausch mit Rüdiger Safranski, politischer Anlaufpunkt für die, die irgendwie rechts sind in Deutschland, es scheinen immer mehr zu werden.
Man
will das ernst nehmen. Das heißt: Man will das nicht als deutsche
Gruselgeschichte erzählen. Aber man kommt da schwer raus. Denn es ist ja
so: Kubitschek und Kositza haben sieben Kinder, die sieben Kinder haben
alle mythologische, also altdeutsche und norwegische, Namen, die
Eheleute Kubitschek und Kositza siezen sich und backen ihr Brot selbst.
Und da ist man dann natürlich in der Beschreibung ganz schnell bei:
krasser Freak. Wohnt auf einem Rittergut, siezt seine Frau. Nicht ernst
zu nehmen. Oder: gefährlich, nicht ernst genug zu nehmen.
Wir sind zu früh in
Schnellroda und Kubitschek ist im Garten. Er kommt uns entgegen, er
trägt ein graues Hemd und dunkle Hosen. Die AfD wollte ihn noch vor
nicht allzu langer Zeit nicht haben, weil er, so die Begründung des
damaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke, bei seinen Pegida-Auftritten in
schwarzem Hemd und offener brauner Uniformjacke aufgetreten sei – eine
klare Anspielung auf faschistische Bewegungen der zwanziger und
dreißiger Jahre. Jetzt ist es ein erklärtes Ziel von Kubitscheks
Bewegung, seine Leute bei der AfD unterzubringen – durch die
unverhofften Wahlerfolge sind viele Stellen entstanden, die besetzt
werden wollen. Kubitschek hat eine Art von Körper, wie man sie für
ausgestorben hielt, also stramm, gerade von Kopf bis Fuß. Kubitschek ist
Oberleutnant der Reserve, er hat in Bosnien gekämpft, er wurde aus der
Bundeswehr ausgeschlossen wegen rechtsextremistischer Bestrebungen. An
einem Gatter im Garten steht "Sport und Gesundheit".
Kubitschek
meint das alles sehr ernst. Kubitschek ist sehr höflich, er streckt die
Hand aus. Er kommt aus Oberschwaben, hat in Hannover Philosophie und
Germanistik studiert. Auch das gehört zur Beschreibungsformel: die
Höflichkeit. Der Pflaumenkuchen später. Salonfaschist nennt man ihn dann
und dass seine Ansichten "salonfähig" geworden seien. Warum eigentlich
immer Salon?
Wir stehen
vor der Tür. "Kommen Sie mit, ja?", sagt er, er muss die Ziegen noch
wegbringen, zwei Ziegen und ein Zicklein, das Zicklein springt frei, die
Ziegen führt Kubitschek an der Leine, als seien sie Doggen, störrisch
und weiß. "Es gibt nichts Feineres für die als Laub", sagt Kubitschek
und zerrt sie weg, sie fressen von den Bäumen am Straßenrand. Die Euter
schwingen. "Zwei Mamas, ja?", sage ich und zeige auf die Ziegen, blöder
Gender-Witz, damit kriegt man ihn nicht, natürlich nicht. "Eine Mama und
eine Tante", korrigiert er. Man hat sich daran gewöhnt, bei Pegida und
AfD an irgendetwas zu denken, das vage mit den Wörtern "wütend" und
"Mob" zusammenhängt, und jetzt steht man hilflos vor dieser Neuen
Rechten und murmelt immer wieder, dass sich Rechtssein und
Intellektualität ja nicht ausschließen – als ob das dafür irgendetwas
erklären würde.
Der Pflaumenkuchen ist noch
warm, er wird im sogenannten "Rittersaal" serviert. Ellen Kositza sieht
aus, wie das Wort Rune klingt oder das Wort Alraune oder das Wort
Undine.
Nicht wegen des
Inhalts, sondern wegen des Klangs. Schmal, schön, selten, vielleicht ein
bisschen böse, fanatisch-apart. Sie sitzt sehr gerade. Sie raucht
Zigaretten der Marke "Power". Was wollen die eigentlich, für
Deutschland, für die Gesellschaft? Sie sagen es nicht. Sie wollen erst
einmal Kräfte sammeln, rechte Kräfte.
Über
die nach Deutschland geflüchteten Syrer sagt Kubitschek: "Ihr habt
Krieg, das hatten wir auch. Das ist das Schicksal eures Volkes. Ihr seid
junge Männer – nehmt eine Waffe in die Hand und kämpft." Die
Flüchtlinge wie Kinder zu behandeln sei das eigentlich Inhumane, sie in
Turnhallen vegetieren zu lassen. Ob es eine Vision für ihn gebe, eine
Utopie? Ostpreußen und Schlesien zurückzubekommen, davon habe man sich
verabschiedet. Vielleicht scherzt er.
Was
verfängt: die Pachtung des Anscheins der radikalen Ehrlichkeit, des
Aussprechens ungemütlicher Wahrheiten, gepaart mit dem militärischen
Ethos der Disziplin und einer eigentümlich ins Organische gewendeten
Sprache, die klingt, als sei sie von schicksalshaften
Gegenständlichkeiten diktiert. Er wolle erst einmal Ruhe für das
alternde deutsche Volk, sagt Kubitschek, das deutsche Volk habe keine
Kraft mehr auszugreifen. Die Flüchtlingspolitik führe in die
Totalkatastrophe, das sei kein gedeihlicher, kein maßvoller Umgang mit
den Dingen.
Als wir
zurückfahren, auf der Autobahn, fällt ein merkwürdiger Bann von uns ab.
Es war gemütlich, unheimlich gemütlich, im Rittersaal. Uns ist für eine
Zeit klar geworden, was das ist, diese Sehnsucht nach dem vermeintlich
Starken, dieses merkwürdige Raunen. Und dann setzen wir uns hin und
lesen die Sätze, die wir da mitgeschrieben haben. Hannah Lühmann
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