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Montag, 27. Juni 2016

NATO, Amerika und Russland

Es wäre naiv, sich über Spionage zu beklagen, denn dieses Geschäft betreibt jede Macht. Doch in der  aktuellen strategischen Situation gewinnen die gehäuften Spionageaktivitäten der USA eine neue Qualität. Erstens stehen sie im offensichtlichen Zusammenhang mit der Aufrüstung der Nato nicht nur an Russlands Westgrenze. Zum anderen widersprechen sie den üblichen Gewohnheiten in diesem eigentlich verdeckt arbeitenden Gewerbe.

Ort und Umstände wären eines Spionage-Reißers würdig: Die Generalkonsulin der USA in Wladiwostok im Fernen Osten Russlands, Mary Gunn, reitet mit zwei Gefährten durch ein militärisches Sperrgebiet der Halbinsel Kam­tschatka. Damit aber die Spannung steigt, wird sie von den russischen Sicherheitsbehörden gestellt. Dann allerdings findet die Geschichte ein unspektakuläres Ende. Die Konsulin weist sich aus, erklärt, sie sei als Privatperson unterwegs gewesen und wird entlassen. Ihr Konsulat schweigt zu dem Vorfall.
Zwischenfälle dieser Art aus dem Spionagewesen sind gut für die Unterhaltung und dafür, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Geschehnissen abzuwenden. Tatsächlich nämlich steigern sich die Spionagetätigkeiten der USA in demselben Maße, wie die Nato an Russlands Grenzen aufrüstet. So kam es in jüngster Zeit allein an Russlands Ostseeküste zu verschiedenen Zwi­schenfällen.

Am 10. Mai stiegen russische Jets auf, weil sich ein US-Aufklärungsflugzeug bedrohlich der Basis Königsberg genähert hatte. Derselbe Vorgang wiederholte sich an anderen Küstenabschnitten am 15. Mai, am 16., am 18. und am 23. Mai.

Es war jedes Mal derselbe Ablauf: Annäherung einer US-Maschine vom Typ RC 135, russische  Jets drängen sie ab, woraufhin die USA Vorwürfe wegen gefährlichen Verhaltens seitens der Russen im Luftraum erheben. So erklärte Pentagon-Sprecher Mark Wright nach einem Zwischenfall am 7. April: „Das unprofessionelle Abfangen in der Luft kann für die Besatzung beider Maschinen gefährlich sein.“

Doch das geschieht beileibe nicht nur über der Ostsee. Vom Nördlichen Eismeer bis hinunter zum Schwarzen Meer und weit in den Fernen Osten zum Pazifik – überall dasselbe Bild. Kamtschatka wird ebenso ausspioniert wie die Kurilen. Hier gibt es Waffenfabriken, dort liegt ein Zielgebiet für Probeflüge von Interkontinentalraketen. Nicht anders in der Arktis, wo Russland neue Basen mit Raketenabwehrsystemen errichtet. Wo es die Lage eines Zielgebietes erfordert, werden die US-Spione sogar von Tankflugzeugen begleitet.

Das Spionagegewerbe ist eigentlich so ausgerichtet, dass es seinerseits möglichst nicht beobachtet wird. Nicht so die US-Spionageflüge, die ganz offen geschehen und bei denen keine Bemühung um Geheimhaltung erkennbar ist. Das hat seinen Grund in einem zweiten Zweck der Aktivitäten: Neben dem Sammeln von Informationen liegt dieser darin, ständigen militärischen wie auch politischen Druck auszuüben, wobei Zwischenfälle billigend in Kauf genommen werden. Denn Russland zu einer unbedachten Reaktion zu verleiten, gehört ganz wesentlich zur Taktik des Bündnisses, egal wo.

Drittens müssen sie auch im Zusammenhang mit einer der jüngsten Äußerungen des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg gesehen werden. Dieser nämlich hatte im Vorfeld der Nato-Tagung in Warschau erklärt, das Bündnis werde in Zukunft Cyber-Angriffe ebenso behandeln wie solche mit klassischen Waffensystemen. Das heißt, die Nato kann im Falle einer Hacker-Attacke den Bündnisfall ausrufen. Zu solchen digitalen Attacken seitens Russlands kann es aber im Zuge der Abwehr von Spionageangriffen sehr leicht kommen. Das heißt, die Nato erhöht die Drohkulisse ganz wesentlich und sucht sich gleichzeitig mehr Freiraum im Duell der Computer zu verschaffen.

Eine andere Arena des Kräftemessens ist diejenige der Diplomatie. Vor Kurzem wurde in Mo­s­kau der Militärattaché der US-Botschaft ins russische Verteidigungsministerium einberufen. Dort wurde er auf unprofessionelles Vorgehen eines US-Aufklärungsflugzeugs RC-135 am 22. Mai am Himmel über dem Japanischen Meer hingewiesen. Der Vorfall unterschied sich insofern von den zahlreichen anderen dieser Art, als er eine Kollisionsgefahr mit Flugzeugen ziviler Fluglinien geschaffen hatte. Die russische Luftabwehr habe über dem Japanischen Meer die US-Maschine lokalisiert, die mit abgeschaltetem Transponder unweit der russischen Grenze spioniert habe, so das russische Verteidigungsministerium. Dabei sei der US-Jet in einem Höhenbereich geflogen, nämlich rund 11000 Meter, der vom regulären zivilen Luftverkehr genutzt wird. Fluglotsen der Flugsicherung seien darüber nicht informiert gewesen. Um Unheil abzuwenden, mussten die Flugrouten einer KLM-Maschine und einer der Swissair kurzfristig verändert werden. Beide Maschinen befanden sich jeweils auf dem Linienflug zurück zu ihren Heimatflughäfen.

Die auf einer vierstrahligen Boeing-Transportmaschine basierenden RC-135 bilden ein zentrales Element der strategischen US-Luftaufklärung. Sie verfügen über  Möglichkeiten zur strategischen radioelektronischen Aufklärung, Funkaufklärung sowie zur Verfolgung von Aktivitäten auf dem Boden, im Meer und in der Luft. Die entsprechenden Daten können direkt an den US-Präsidenten, den Verteidigungsminister Ashton Carter und hochrangige Militärs übermittelt werden. 32 solcher Maschinen. überwachen regelmäßig den russischen Luftraum.  Florian Stumfall

 Vor die Entscheidung gestellt, ob er seine Sympathien eher Amerika oder eher Russland schenken solle, entschied er sich nach langem Überlegen schließlich für das Land, welches verlässlich die besseren Pianisten produziert.  MK am 27. 6. 2016

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