Zu den absonderlichen Ritualen dieses Landes gehört, dass sich die
wenigen konservativen Publizisten, die inmitten ihrer meist
sozialistischen, rotgrünen, staatsfrommen Kollegen ein so kärgliches wie
verdienstvolles, wenngleich womöglich alibihaftes Dasein, wie man sagt,
fristen, unfehlbar und mit einer gewissen Regelmäßigkeit irgendein
Abgrenzungsritual gegen „rechts“ zu verrichten gezwungen sehen. Sie tun
dies, um es sich nicht ganz mit den Guten zu verscherzen und von deren
Partyeinladungslisten zu verschwinden. Seht her, rufen sie, so schlimm
bin ich doch gar nicht, immerhin distanziere ich mich vom Bösen
(Putinrussland, Brexitengland, Orbanungarn, Dunkeldeutschland, Trump,
katholische Kirche, SVP etc. pp.), ich bin ein letztlich milieukonformer
Dissident, ich veranstalte mein subversives Tänzchen auf dem rutschigen
diskursiven Parkett, ohne auch nur eine der roten Linien zu berühren,
von denen es heißt, dass verflucht und verstoßen sei, wer sie übertrete.
Dieser
Tage meldete sich der moderate Quertreiber Harald Martenstein mit
seiner bislang eindrucksvollsten Version temporären
Wiederliebseinwollens zu Wort. In einem Tagesspiegel-Kommentar
unter der Überschrift „Die AfD ist tot - sie weiß es nur noch nicht“
schrieb er, die AfD sei Geschichte. „Denn was im heutigen Deutschland
nicht geht, und darauf darf man ruhig stolz sein, ist eine
Antisemitenpartei. Und die AfD ist antisemitisch.“
Das ist starker Rauschtrank. Die AfD ist antisemitisch. Nicht ein paar Platt- und Wirrköpfe in ihr. Man kennt die Diktion: Die
Juden sind unser Unglück. Wer sich schon mal in die deutsche und
österreichische Parteiengeschichte des spätesten 19. Jahrhunderts
verirrt hat, weiß ungefähr, was unter einer Antisemitenpartei zu
verstehen wäre. Vereine wie die Deutsche Reformpartei (DRP), gegründet
als Antisemitische Volkspartei (AVP), organisierten sich weit obsessiver
um ihr zentrales Aversionsthema als die frühe AfD gegen den Euro. Keine
dieser Parteien erlangte eine erwähnenswerte politische Bedeutung.
Bleibt zum Vergleich also wohl nur die NSDAP. Was für ein Zirkelschluss
des Zeitgeistes: In der AfD findet sich ein Mensch namens Wolfgang
Gedeon, der vor ein paar Sündenjährchen ein unverdauliches und komplett
unbeachtetes Buch über den Weltlauf geschrieben hat, dessen offenbar
struktureller oder jedenfalls inhärenter Antisemitismus nun zu einer
Diskussion über seinen Parteiausschluss führte – begleitet von zugegeben
etwas ungeschickten Versuchen, jenen in die Tat umzusetzen –, und schon
bringt ein absolutionssehnsüchtiger Teilzeit-Mutiger die gesamte Partei
mit dem übelsten politischen Gelichter in Verbindung. Aufgemerkt nun
also und Trommelwirbel: Es betritt die erste Antisemitenpartei die
Manege, die raffinierterweise Antisemiten ausschließen will.
„Er
(Gedeon) hat ein Buch geschrieben, in dem sich Sätze wie diese finden:
‚Die Versklavung des Restes der Menschheit im messianischen Reich der
Juden ist also das eschatologische Ziel der talmudischen Religion.’“
Wenn das kein Antisemitismus sei, so Martenstein, dann sei A. Hüttler
auch kein Antisemit gewesen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Herr
Gedeon, der Ex-Maoist, der sich selbst Antizionist nennt, hat in der AfD
nichts zu suchen, er hat in keiner konservativ-freiheitlichen Partei
etwas zu suchen, für seinesgleichen hat der Verfassungsschutz die NPD
auserkoren wenn nicht gar miterschaffen. Was an Gedeons Büchern
antisemitisch ist und warum sich die AfD seiner Mitgliedschaft
entledigen muss, hat der stellvertretende AfD-Sprecher von
Baden-Württemberg, der Philosoph Marc Jongen, hier
ausführlich dargelegt; mehr ist dazu nicht zu sagen. Wer sich freilich
bei der allzu plakativen und allzu allgemeinen Aburteilung des Gegners
in zeitgeistgeschützter Innerlichkeit allzu sicher fühlt und meint, eine
genauere Kenntnis des Streitgegenstandes sei entbehrlich, es genüge,
irgendeinen Passus zu zitieren, wo einem selber ein Hui! durchs
Gekröse fährt, gibt den Antisemiten nur Futter. Wie verhält es sich mit
der Aussage, die Martenstein so eminent hitleresk dünkt?
„Die
jüdische Tradition setzt voraus, daß unter der Messias-Herrschaft bzw.
Gottesherrschaft die Völker ihre angestammten Kulte preisgeben (müssen)
und zur Anerkennung der Autorität der Torah gezwungen sein werden, ohne
die Torah selber zu studieren oder gar halten zu dürfen. Sie haben
vielmehr unter Anerkennung des Gottes Israels als des alleinigen Gottes
und der Torah als höchster Offenbarungsautorität unter Androhung der
Todesstrafe sich auf die Praktizierung der sieben ‚noachidischen Gebote’
zu beschränken und erwerben sich so den ihnen geziemenden Anteil am
endgültigen Heilszustand.“ Schreibt Gedeon? Nein, das steht so bei Johann Maier, „Geschichte der jüdischen Religion“, Herder Verlag 1992.
Maier war Gründer und Direktor des Martin-Buber-Instituts der
Universität Köln, an der er von 1966 bis 1996 als Professor für
Judaistik lehrte.
Die Texte liegen nun mal vor, die Tradition
existiert, aber nur Narren oder Fundamentalisten nehmen das alles noch
wörtlich, und der Politischen Korrektheit schaudert’s an der falschen
Stelle. In Rede stehen Phantasien eines kleinen, von den damaligen
Großmächten an die Peripherie gedrängten und teilweise versklavten
Völkchens, die natürlich von Vergeltungsgelüsten und
Kompensationsbedürfnissen durchsetzt sind (hier sind sowohl Nietzsches
schöpferisches Ressentiment als auch Odo Marquards Homo compensator
am Wirken), eines Volkes, dessen heilsgeschichtlichen Optimismus man
übrigens nur bestaunen kann, das sich mit bewundernswerter
Beharrlichkeit seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren in der Geschichte
hält, obwohl ihm die Umstände zwischen (evtl.) Nebukadnezar II., Titus
und Hitler mehrfach den Garaus hätten bereitet müssen und das, weil es
dem Boden entrissen wurde, in dem es wurzelte, stattdessen im Himmel der
Gottesfurcht und der Verheißung Luftwurzeln schlug, um ein Bild
Heinrich Heines zu plagiieren.
Und genauso wie Krone und Wurzel hat sich
auch die Richtung des Ressentiments umgekehrt – die Juden verwandelten
sich in dessen Zielscheibe. Dass dieses unbedeutende, in alle Welt
zerstreute, permanenter Verfolgung ausgesetzte Völkchen heute einen
Staat besitzt und Einfluss und Atomwaffen im Megatonnenbereich – Geist
und Geld besitzt es ja seit Olims Zeiten –, dass es jenes Jerusalem
wiedererobert hat, welches ihm in Zeiten der Demütigung als Verheißung
immer vor Augen stand – „Und nächstes Jahr in Jerusalem!“ lautete der
uralte Abschiedsgruß –, das gilt den Antisemiten natürlich als Beweis
für seine weltherrschaftsplanende Teufelsbündnerei, während es für
unsereinen bloß ein Beleg dafür ist, was ein intelligentes, Intelligenz
gezielt produzierendes und förderndes, starkes, an sich glaubendes
Kollektiv – eine „Rasse“ im Sinne Spenglers, Rasse hat man, Rasse ist
man nicht – gegen alle Widerstände zuwege bringen kann, mögen auch
viele seiner Angehörigen an Diabetis und Unmanierlichkeit und manche an
einer grässlichen Chuzpe leiden.
Apropos Atomwaffen und
Wehrhaftigkeit: Zusammen mit meiner Frau besuchte ich einmal ihren alten
Klavierlehrer, der am Rande Jerusalems – oder, wie ich lieber sage: Urushalims
– ein Grundstück besitzt, auf dem er einen kleinen Konzertsaal mit zwei
Flügeln und Porträts der großen Komponisten an den Wänden gebaut hat.
Der alte Mann kam begleitet von einem respektgebietenden Pitbull an das
Tor, und als er es öffnete, erblickte ich die Auschwitz-Häftlingsnummer
an seinem Unterarm. Die Tätowierung, der Zaun und der Kampfhund: Was für
ein rundes, stimmiges, schönes Bild!
Zurück zu dem
„Antizionisten“ Gedeon, der niemandem in Israel, aber einigen Leuten in
Deutschland den Schlaf raubt. „In einer neuen Partei suchen auch
Wirrköpfe eine Heimat, das ist normal. Bei den Grünen war es auch so.
Die schließt man dann aus, fertig“, schreibt Martenstein. „Dass ein
Parteimitglied menschenfeindliche Thesen verzapft, lässt sich bei
tausenden Mitgliedern nicht vermeiden, so etwas kommt bei jeder Partei
hin und wieder vor. In der AfD aber halten nicht Einzelne, sondern viele
die jüdische Weltverschwörung für eine Idee, die man ernsthaft
diskutieren sollte.“
Soso, da hat der Herr Martenstein wohl
persönlich nachgezählt. Wie viele mögen „viele“ sein? Fünf?
Achtundachtzig? Ab wann ist die kritische Masse erreicht? Und wo
befindet sich diese Masse? Nein, der Punkt ist ein anderer, die AfD ist
sehr dünnhäutig, wenn es um die Meinungsfreiheit geht, denn man sieht
ja, wohin fehlende Dünnhäutigkeit führt, wenn man sich die anderen
Parteien anschaut.
Das umständliche, politisch naiv wirkende Prozedere
um Herrn Gedeon und dessen unappetitliche Thesen gilt der Suche nach
einem Verfahrensmodus, der der Öffentlichkeit zweierlei zeigt: Wir
schließen Judenfeinde aus, aber wir tun dies nicht auf Knopfdruck und
pawlowschen Reflex, wir sind und bleiben als Partei ein Schutzraum der
freien Rede, die mit einer gewissen Notwendigkeit die dumme, bösartige
Rede einschließt.
Besser eine freie dumme Rede als die gemaßregelte,
limitierte, in spanische Stiefel geschnürte dumme Rede der Etablierten.
Besser ein ungeschickter Parteiausschluss als ein allzu geölter.
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