Es gibt keinen Gauland-Skandal, den gab es nie, es gab nur einen halbgelungenen Versuch der FAZ (FAS), einen solchen zu inszenieren.
Man muß sich den Vorgang als Szene aus dem Visconti-Film „Gewalt und Leidenschaft“ vorstellen: Gauland träte an die Stelle Burt Lancasters
und spielte den graumelierten, etwas weltfremden Professor, dem zwei
Galeristen ein Gemälde, von dem sie wissen, daß es ihn interessiert, zu
einem überteuerten Preis offerieren. Nachdem sie gegangen sind, wundert sich die zufällig anwesende Marchesa
Brumonti (hoheitsvoll und vulgär: Silvana Mangano) darüber, daß der
Professor diese Leute überhaupt in sein Haus gelassen hat, worauf er
sie zurechtweist: Ich bitte Sie, das sind die Inhaber der berühmten
Galerie so und so! Die Marchesa kann über diesen Einwand nur lachen:
Aber Professor, man sieht doch sofort, daß das zwei Ganoven sind, zwei
Hehler! – Leider endet die Parallele auf halber Szene. Gauland hatte
keine Marchesa an seiner Seite, als er sich mit den zwei FAZlern zum Hintergrundgespräch traf.
Wem das Mediengetöse um das aufgedrängte oder untergeschobene Boateng-Zitat mehr schadet oder nutzt, der AfD oder der FAZ, das ist keineswegs ausgemacht. Vieles spricht dafür, daß es die FAZ ist, die am Ende den Schaden davonträgt.
Doch erst einmal ist ihr ein sogenannter Scoop gelungen, eine
exklusive Meldung, ein allgemeiner Aufreger, den sie aber – und das
macht die Sache so halbseiden und am Ende auch wieder brüchig – selber
produziert hat, um sich anschließend in seiner öffentlichen Resonanz zu
sonnen.
Einher ging das, von der Überrumpelung ihres Opfers abgesehen, mit
einem Vertrauensbruch, mit der Verletzung der Verschwiegenheit, mit der
Aufkündigung zwischenmenschlichen Anstands. Gauland ist in dem Punkt
naiv gewesen, vertrauensselig, was den Betrachter wiederum sympathisch
berührt, während die zwei FAZ-Redakteure noch in ihren Ausreden an Winkeladvokaten erinnern, was ihr Handeln desto schmieriger erscheinen läßt.
Die inquisitorische Absicht, den Delinquenten vorzuführen, an den
Pranger zu stellen und der Partei zu schaden, ist offensichtlich, denn
sonst hätten sie es unternommen, den Sinn des hingeworfenen Satzes im
Kontext zu erschließen, was eine hermeneutische Selbstverständlichkeit
sein müßte unter Journalisten. Dann hätte sich seine Harmlosigkeit
herausgestellt. Sie aber wollten eine Medienhatz entfachen und sich an
die Spitze der Hetzmeute setzen. Das sind die traurigen Reste, die vom
Anspruch des einstigen politischen Leitmediums übrig sind.
Weil auch die einst elitäre FAZ mit den Zeiten leben muß,
hat sie die Entlarvungsaktion gar nicht mal ungeschickt mit einen Appell
an die Instinkte der Fußballnation verknüpft: Denkt Euch, der AfD-Mann
hat Jérôme, unseren Fußballhelden, beleidigt! Deutsche! Fußball-,
Jogi-Fans! Wollt ihr die tatsächlich wählen?
Das aber ist ein Niveau, das man den sozialen Netzwerken, der Bild-Zeitung, Spiegel- und selbst Zeit online nachsieht, weil es ihnen in den Genen liegt, der FAZ
jedoch auf die Füße fallen könnte. Sie ist zwar – vom Wirtschaftsteil
abgesehen – längst nicht mehr, was sie mal war, doch sie zehrt vom alten
Ruf, mit dem sich Seriosität und ein gewisser Komment verbinden. Dieses
soziale Kapital hat sich mit der Aktion wohl erschöpft, sie markiert
einen unwiederbringlichen Ehrverlust.
Wer zu solchen Praktiken greift, gibt zu, daß er sie nötig hat.
Woraus man schließen muß, daß die„Zeitung für Deutschland“
wirtschaftlich wohl noch schlechter dasteht, als gemunkelt wird. Da
liegt es nahe, Zusammenhänge herzustellen mit ihrer Profilierung als
Kampf- und Richtungsblatt, sei es in der Rußland-Frage oder eben in der
Haltung zur AfD. Die Zweifel an ihrer Seriosität, Unabhängigkeit und
Berechenbarkeit werden nun noch größer, die Abwärtsspirale wird eine
neue Drehung vollziehen.
Aber es geht nicht nur um eine materielle Krise, auch um die ideelle. Die FAZ
stand lange für geistige Souveränität und analytische Kompetenz, die
sich auf der Stilebene im Understatement, in reflexiver und ironischer
Distanz äußerte. Diese Vorzüge sind ihr weitgehend abhanden gekommen,
politische Berichte werden häufig auf Praktikantenniveau verfaßt, wirken
aggressiv und lassen dafür die Tiefenschärfe vermissen.
Anschaulich wird der Niveauverlust am Verfall der Begrifflichkeit, an
der unreflektierten und unkritischen Benutzung von Schlagwörtern wie:
extremistisch, islamfeindlich, populistisch, Vielfalt, völkisch,
Willkommenskultur. Das sind keine belastbaren Begriffe, die
Erscheinungen oder Gegenstände auf der Grundlage feststehender Merkmale
zusammenfassen, sondern Leerformeln, die modische Befindlichkeiten,
gedankliche Kurzschlüsse oder Interessen der Regierenden transportieren.
Der Qualitätsunterschied, den die FAZ bis weit in die
neunziger Jahre behaupten konnte, rührte daher, daß sie sich solchem
Geschwätz weitgehend verweigerte und Reflexions- und Erfahrungsräume
repräsentierte, die weit über die 68er Bundesrepublik hinausreichten.
Ihre Nivellierung bedeutet im Grunde eine Bundesrepublikanisierung: eine
politiktheoretische Horizontverengung, die im „Jargon der
Weltoffenheit“ (Frank Böckelmann) stattfindet.
Die politische Argumentation bewegt sich zwischen einem individuellen
Freiheitsbegriff und dem Menschenrechtsuniversalismus. Was dazwischen
liegt, muß notwendigerweise ausgrenzend, faschistisch, extremistisch,
menschenfeindlich, verfassungsfeindlich, völkisch sein. So besiegelt
auch die FAZ die fatalistische Feststellung Ernst Forsthoffs
aus dem Jahr 1965, „daß mit dem Nationalsozialismus und der
Kriegskatastrophe der Staat als nationale Lebensform eine
Diskreditierung erfahren hat, die von bleibender Dauer zu sein scheint“.
Das führt zu paradoxen Freund-Feind-Kennungen: Wer den individuellen
Freiheitsbegriff bejaht, bis auf weiteres aber den National- und
Rechtsstaat für seinen besten Garanten hält und auf dem Unterschied
zwischen den Rechten des Staatsbürgers und deklaratorischen
Menschenrechten besteht, gilt in der Gedankenwelt dieser Weltoffenen als
böse.
Wer hingegen den individuellen Freiheitsbegriff in Anspruch
nimmt, um eine vormoderne Religion im Land zu implementieren, deren
Herrschaftsanspruch darauf hinausläuft, die Voraussetzungen der
Freiheitsrechte zu zerstören, kann im Zweifelsfall darauf bauen, als
schutzwürdiges Opfer hofiert zu werden.
Wer sich dieses verquere Denkmuster zu eigen gemacht hat, empfindet
auch Vertrauensbrüche und Zitathehlerei nicht als ganovenhaft und
ehrlos, sondern verteidigt sie als engagierte und moralisch hochwertige
Handlungen! Das ist nur logisch. Dann aber gibt es keine Grundlage mehr,
auf der man sich in gegenseitiger Fairneß begegnet. Alexander Gauland,
bevor er sich das nächste Mal auf Hintergrundgespräche einläßt, wird
sich besser als bisher klarmachen müssen, mit wem er es zu tun hat. Ein
altehrwürdiges Firmenlogo besagt heute gar nichts mehr. Thorsten Hinz
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