Mit einem eigenen Goldpreis-Fixing
bricht China ein fast 100-jähriges Monopol der Londoner Börse. Damit
stärkt Peking seinen Weltmachtanspruch und steigert die globale
Bedeutung seiner Währung. Außerdem nimmt das Reich der Mitte ein
Instrument von erheblicher Wirkung in die Hand.
Nach einer gut dreijährigen Flaute nimmt der Goldmarkt wieder Fahrt auf. Im ersten Quartal 2016 ist die weltweite Nachfrage nach dem Metall auf den zweithöchsten Wert seit dem Jahr 2000 gestiegen, meldet die Schweizer „Handelszeitung“ mit Berufung auf den Branchenverband „World Gold Council“. Nur im vierten Quartal 2012, ein Jahr, nachdem der Goldpreis mit 1920 US-Dollar pro Unze (31,1 Gramm) sein bisheriges Allzeithoch erreicht hatte, war die Nachfrage noch höher.
Der neue Goldhunger dürfte mit der immer rabiateren Politik der großen Notenbanken zusammenhängen, die mittels Null- und Negativzinsen Sparer und Investoren aus dem Papiergeld treiben. Daneben gewinnt das gelbe Metall aber auch zunehmend strategische Bedeutung im Ringen großer Mächte um die Dominanz auf dem Erdball.
In China wurde 2015 mehr Gold abgesetzt als in irgendeinem anderen Land, fast 1000 Tonnen. Da die eigene Produktion bei 450 Tonnen lag (China ist heute der größte Goldproduzent der Welt), musste die Volksrepublik den Rest einführen, meist von westlichen Märkten. Damit setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort: Das Edelmetall wandert vom Westen des Globus in den Osten.
Beobachter sehen darin eine Strategie, die sich nahtlos in Chinas Weltmachtstreben fügt. Peking wolle die angelsächsische Dominanz auf dem Goldmarkt langfristig herausfordern. Hierzu passt ein Ereignis, das vordergründig betrachtet eher symbolischen als praktischen Wert zu haben scheint. Seit dem 19. April führt die Schanghaier Edelmetallbörse „Shanghai Gold Exchange“ (SGE) ein eigenes Goldpreis-Fixing durch.
Für Kenner des Goldmarktes war das ein historisches Datum. Zuvor war es für fast 100 Jahre der Londoner Börse allein vorbehalten gewesen, das Fixing, also die Ermittlung des dann weltweit gültigen Referenzpreises für Gold in US-Dollar pro Unze, zweimal am Tag vorzunehmen.
Für Privatkunden ist das Fixing weitgehend unbedeutend. Die Handelspreise ändern sich fortwährend im Sekundentakt, 24 Stunden am Tag, die gesamte Woche lang, ausgenommen das Wochenende. Goldhändler wie Degussa oder Pro Aurum passen danach ihre Preise wenn nötig mehrmals am Tag an. Beim Fixing wird nur zweimal am Tag ein Preis festgesetzt. Es ist aber entscheidend für große Geschäfte mit Gold oder Börsenpapieren, die auf dem Metall basieren. Hier bildet das aktuelle Fixing den Referenzpreis, der zu bezahlen ist.
Laut Experten steht die SGE unter direktem Einfluss der chinesischen Regierung, womit das dortige Fixing möglicherweise auch als politisches Instrument benutzt werden könnte, wenn nicht gar als Waffe im Wettstreit der Mächte. Zunächst einmal hat die Volksrepublik mit dem Schritt ihre Währung Yuan aufgewertet, denn das Schanghaier Fixing findet nicht wie das Londoner in US-Dollar statt, sondern in Chinas Heimatwährung. Zwar ist der Yuan noch immer nicht frei konvertierbar. Dennoch hat er damit einen weiteren Schritt in Richtung einer weltweit bedeutenden Devise gemacht.
Sehr viel gefährlicher für Chinas Rivalen im Westen könnte etwas anderes werden. Die großen Goldbörsen in New York und London basieren ganz überwiegend auf sogenanntem Papiergold, also goldbasierten Wertpapieren. Schätzungen zufolge überwiegt dieser „Goldpapier“-Handel jenen mit „richtigem“ Metall in Barren oder Münzen um mehr als das hundertfache.
Theoretisch steckt hinter jedem goldbasierten Wertpapier der Anspruch, es gegen reales Gold eintauschen zu können, das der Herausgeber des Papiers dann beschaffen muss. Praktisch vertraut das System aber darauf, dass dies so gut wie nie geschieht, sondern „Papiergold“ nur gegen anderes „Papiergold“ oder Geld gehandelt wird.
Was aber, wenn ein Ereignis eintritt, das Inhaber von „Papiergold“-Anlagen scharenweise dazu verleitet, ihren theoretischen Anspruch auf reales Gold praktisch einzuklagen? Im Schanghaier Handel ist der Anteil des „Papiergolds“ weit geringer als in London und New York, diagnostizieren Experten. In einer solchen Situation wären die Chinesen also klar im Vorteil, während sie den westlichen Goldbörsen das Genick brechen könnte, weil sich schnell herausstellen würde, das die milliardenschweren Papier-Ansprüche auf Sand gebaut waren, weil gar nicht so viel reales Gold da ist, um sie einzulösen.
Aber könnte die chinesische SGE, beispielsweise auf Veranlassung der Pekinger Regierung, einen solchen Ansturm tatsächlich auslösen? Pessimisten fürchten, dass sich China mit der Einführung des eigenen Fixings die Waffe dafür geschmiedet hat.
Würde die SGE ihr Fixing deutlich über dem in London festsetzen, könnten Anleger in großer Zahl geneigt sein, ihre „Papiergold“-Forderungen in London und New York fällig zu stellen, also reales Gold dafür zu fordern, um es nach Schanghai transportieren und für den höheren Preis verkaufen zu können.
Die Tresore der westlichen „Bullion Banks“ (Barren-Banken) wären in Windeseile geleert, die Inhaber von „Papiergold“-Scheinen blieben auf ihren Forderungen sitzen, das Vertrauen bräche zusammen und mit ihm die Finanzhäuser, die tief im Handel mit dem „Papiergold“ stecken. Vermutlich könnten die Regierungen mit ihrem Notenbankgold kaum aushelfen. Großbritannien hat nach umfangreichen Verkäufen kaum noch welches und die offizielle Angabe, dass die USA über mehr als 8000 Tonnen verfügten, wird von Experten seit Langem schwer in Zweifel gezogen.
Die Folge wäre ein gigantisches Beben im Finanzsystem, das weit über den Goldmarkt hinausreichte. Allerdings dürfte es genau das sein, was die Chinesen (vorerst?) vor einem solchen Schritt zurückschrecken lässt. Denn von den weltwirtschaftlichen Folgen eines solchen Einbruchs wäre der Exportriese China ebenfalls heftig betroffen. Hans Heckel
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