In der langen Serie fauler Griechenland-Kompromisse hat man
sich auf ein neues faules Ei eingelassen. Griechenland bekommt eine
weitere Finanz-Tranche von 10,3 Milliarden Euro aus dem laufenden
Hilfspaket und wird bis zum Herbst weiter über Wasser gehalten. Im
Gegenzug soll Athen endlich die zugesagten Reformen, Einsparungen und
Privatisierungen anschieben, die schon mehrfach versprochen, aber immer
noch nicht umgesetzt sind. So weit, so euro-üblich, so unerfreulich.
Doch diesmal liegt neben dem faulen Dauer-Rettungs-Ei noch ein
zweites dickes Ding. Um den IWF an Bord der fragwürdigen
„Rettungspolitik“ zu halten, hat die Bundesregierung diesmal einem
gewaltigen Schuldenschnitt (im diplomateneuropäisch heißt das
„Wiederherstellung der griechischen Schuldentragfähigkeit“) zugestimmt.
IWF-Europachef Poul Thomson verkündet unmissverständlich, alle
Euro-Staaten teilten nun die IWF-Einschätzung, dass die griechische
Staatsschuld nicht tragfähig sei und es alsbald zu einer umfassenden
Lösung des Schuldenproblems komme. Der griechische Finanzminister Euklid
Tsakalotos jubelt bereits: „Das ist ein wichtiger Moment für
Griechenland, nach so langer Zeit.“ Es sei nun möglich, den Teufelskreis
aus schrumpfender Wirtschaft und Sparmaßnahmen zu durchbrechen und
wieder für Investitionen zu sorgen.
Für die deutsche Öffentlichkeit ist die Nachricht freilich ein
mittleres Erdbeben, denn der Schuldenschnitt träfe vor allem deutsche
Steuerzahler. Sie müssten letztlich dafür zahlen, dass Griechenland
jahrelang Misswirtschaft und Täuschungspolitik betrieben hat – und am
Ende auch noch dafür belohnt wird.
Daher hat die Bundesregierung den
Schuldenschnitt bislang immer abgelehnt. Nun nicht mehr. Jetzt wird
nurmehr auf Zeit gespielt. Der Kompromiss mit dem IWF sieht vor, dass
der Schuldenschnitt im Jahr 2018 kommen soll. Das Kalkül der
Bundesregierung – damit wird das Thema aus dem Bundestagswahlkampf 2017
herausgehalten.
Wenn die Bundesregierung aber glaubt, dass sie mit diesem billigen
Ablenkungsmanöver durchkommt, dann schätzt sie die Stimmung in
Deutschland grotesk falsch ein. Schon jetzt, unter dem Eindruck der
Migrationskrise, rücken immer größere Teile der Wählerschaft von den
Volksparteien ab, weil sie das Vertrauen in deren Politik verlieren. Das
Thema Schuldenschnitt kann man nicht beschließen, die Debatte aber
vertagen und hoffen, dass es niemand merkt. In Wahrheit wird der
Griechenland-Elefant, der im deutschen Wohnzimmer zwischengeparkt und
zum Schweigen gebeten wird, damit nicht kleiner. Nun hat die AfD eine
neue Steilvorlage für den Wahlkampf.
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) schwadroniert nach der
Kabinettsklausur im Meseberg zwar von einem „sehr guten Ergebnis“ der
Griechenlandgespräche: „Ich glaube, wir können alle miteinander froh
sein, dass wir in dem herausfordernden Monat Juni in der Europäischen
Union nicht ein weiteres Thema als Problem hinterlassen bekommen haben.“
In Wahrheit hat man genau das getan – das Problem buchstäblich
hinterlassen, hinter die Bundestagswahl nämlich.
Kein Wunder also, dass es im Wirtschaftsflügel der Union rumort. Man
ahnt, dass man so unmöglich glaubwürdig in den Wahlkampf ziehen kann.
Christian von Stetten (CDU), Chef des Parlamentskreises Mittelstand in
der Unionsfraktion, warnt vor einem „Taschenspielertrick, der das
Vertrauen in die europäischen Institutionen weiter zerstört“. Carsten
Linnemann (CDU), Chef des Wirtschaftsflügels, mahnt: „Die neuerlichen
Forderungen des IWF zeigen, dass die Rettungsstrategie in Griechenland
nicht aufgeht.“ Auch EU-Parlamentsvize Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
äußert Kritik: „Die Zustimmung der Bundesregierung zur Freigabe weiterer
Tranchen für Griechenland gleicht einer Realitätsverweigerung.“ Athens
Reformprogramm sei ein Papiertiger. „Seit Beginn der Finanzhilfen wurden
74 Prozent der mit den europäischen Partnern vereinbarten Reformen
nicht umgesetzt.“
Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt wie ein letzter Aufrechter vor dem
Schuldenschnitt für Griechenland, dem Land sei schon sehr weit entgegen
gekommen worden, ohne dass es sich ernsthaft auf den Weg einer
nachhaltigen Sanierung begebe. „Jetzt weitere Schuldenerleichterungen
anzubieten, wäre ein Fehler.“ Die Zusagen, die Griechenland im Sommer
2015 gemacht habe, seien nicht umgesetzt worden. „Erst wenn das
geschehen ist, einschließlich der Privatisierungen, sollte man darüber
reden, ob bei den Schulden weitere Konzessionen notwendig sind.“ Eine
Umkehr dieser Reihenfolge läuft darauf hinaus, Reformverschleppung zu
belohnen, warnt Fuest.
Berlin mag noch politische Nebelkerzen werfen, doch in Wahrheit ist
nun klar, dass Deutschland viele Milliarden seiner Rettungshilfen
abschreiben muss. Und schlimmer noch: Die Griechenlandkrise wird auch
damit nicht beigelegt sein, weil das Land sich seiner fehlenden
Wettbewerbsfähigkeit nicht wirklich stellt. Es zeigt sich, dass ein
(vorübergehender) Austritt Athens aus der Euro-Zone, so wie es Schäuble
einst wollte, der klügere Weg für alle Seiten gewesen wäre. Nun ist jede
Menge Geld verspielt worden – und Glaubwürdigkeit dazu. Der
vermeintlich clevere Trick mit dem Schuldenschnitt nach den Wahlen
hellenisiert obendrein die politische Moral Deutschlands. Es handelt
sich schlichtweg um schlechte Politik. Merke: Schlechte Politiker denken
nur an die kommenden Wahlen, gute aber an die kommende Generation. Wolfram Weimer
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