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Freitag, 3. Juni 2016

Die schleichende Einführung der Eurobonds

In der langen Serie fauler Griechenland-Kompromisse hat man sich auf ein neues faules Ei eingelassen. Griechenland bekommt eine weitere Finanz-Tranche von 10,3 Milliarden Euro aus dem laufenden Hilfspaket und wird bis zum Herbst weiter über Wasser gehalten. Im Gegenzug soll Athen endlich die zugesagten Reformen, Einsparungen und Privatisierungen anschieben, die schon mehrfach versprochen, aber immer noch nicht umgesetzt sind. So weit, so euro-üblich, so unerfreulich.
Doch diesmal liegt neben dem faulen Dauer-Rettungs-Ei noch ein zweites dickes Ding. Um den IWF an Bord der fragwürdigen „Rettungspolitik“ zu halten, hat die Bundesregierung diesmal einem gewaltigen Schuldenschnitt (im diplomateneuropäisch heißt das „Wiederherstellung der griechischen Schuldentragfähigkeit“) zugestimmt.

IWF-Europachef Poul Thomson verkündet unmissverständlich, alle Euro-Staaten teilten nun die IWF-Einschätzung, dass die griechische Staatsschuld nicht tragfähig sei und es alsbald zu einer umfassenden Lösung des Schuldenproblems komme. Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos jubelt bereits: „Das ist ein wichtiger Moment für Griechenland, nach so langer Zeit.“ Es sei nun möglich, den Teufelskreis aus schrumpfender Wirtschaft und Sparmaßnahmen zu durchbrechen und wieder für Investitionen zu sorgen.
Für die deutsche Öffentlichkeit ist die Nachricht freilich ein mittleres Erdbeben, denn der Schuldenschnitt träfe vor allem deutsche Steuerzahler. Sie müssten letztlich dafür zahlen, dass Griechenland jahrelang Misswirtschaft und Täuschungspolitik betrieben hat – und am Ende auch noch dafür belohnt wird.

Daher hat die Bundesregierung den Schuldenschnitt bislang immer abgelehnt. Nun nicht mehr. Jetzt wird nurmehr auf Zeit gespielt. Der Kompromiss mit dem IWF sieht vor, dass der Schuldenschnitt im Jahr 2018 kommen soll. Das Kalkül der Bundesregierung – damit wird das Thema aus dem Bundestagswahlkampf 2017 herausgehalten.

Wenn die Bundesregierung aber glaubt, dass sie mit diesem billigen Ablenkungsmanöver durchkommt, dann schätzt sie die Stimmung in Deutschland grotesk falsch ein. Schon jetzt, unter dem Eindruck der Migrationskrise, rücken immer größere Teile der Wählerschaft von den Volksparteien ab, weil sie das Vertrauen in deren Politik verlieren. Das Thema Schuldenschnitt kann man nicht beschließen, die Debatte aber vertagen und hoffen, dass es niemand merkt. In Wahrheit wird der Griechenland-Elefant, der im deutschen Wohnzimmer zwischengeparkt und zum Schweigen gebeten wird, damit nicht kleiner. Nun hat die AfD eine neue Steilvorlage für den Wahlkampf.
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) schwadroniert nach der Kabinettsklausur im Meseberg zwar von einem „sehr guten Ergebnis“ der Griechenlandgespräche: „Ich glaube, wir können alle miteinander froh sein, dass wir in dem herausfordernden Monat Juni in der Europäischen Union nicht ein weiteres Thema als Problem hinterlassen bekommen haben.“ In Wahrheit hat man genau das getan – das Problem buchstäblich hinterlassen, hinter die Bundestagswahl nämlich.

Kein Wunder also, dass es im Wirtschaftsflügel der Union rumort. Man ahnt, dass man so unmöglich glaubwürdig in den Wahlkampf ziehen kann. Christian von Stetten (CDU), Chef des Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion, warnt vor einem „Taschenspielertrick, der das Vertrauen in die europäischen Institutionen weiter zerstört“. Carsten Linnemann (CDU), Chef des Wirtschaftsflügels, mahnt: „Die neuerlichen Forderungen des IWF zeigen, dass die Rettungsstrategie in Griechenland nicht aufgeht.“ Auch EU-Parlamentsvize Alexander Graf Lambsdorff (FDP) äußert Kritik: „Die Zustimmung der Bundesregierung zur Freigabe weiterer Tranchen für Griechenland gleicht einer Realitätsverweigerung.“ Athens Reformprogramm sei ein Papiertiger. „Seit Beginn der Finanzhilfen wurden 74 Prozent der mit den europäischen Partnern vereinbarten Reformen nicht umgesetzt.“
Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt wie ein letzter Aufrechter vor dem Schuldenschnitt für Griechenland, dem Land sei schon sehr weit entgegen gekommen worden, ohne dass es sich ernsthaft auf den Weg einer nachhaltigen Sanierung begebe. „Jetzt weitere Schuldenerleichterungen anzubieten, wäre ein Fehler.“ Die Zusagen, die Griechenland im Sommer 2015 gemacht habe, seien nicht umgesetzt worden. „Erst wenn das geschehen ist, einschließlich der Privatisierungen, sollte man darüber reden, ob bei den Schulden weitere Konzessionen notwendig sind.“ Eine Umkehr dieser Reihenfolge läuft darauf hinaus, Reformverschleppung zu belohnen, warnt Fuest.
Berlin mag noch politische Nebelkerzen werfen, doch in Wahrheit ist nun klar, dass Deutschland viele Milliarden seiner Rettungshilfen abschreiben muss. Und schlimmer noch: Die Griechenlandkrise wird auch damit nicht beigelegt sein, weil das Land sich seiner fehlenden Wettbewerbsfähigkeit nicht wirklich stellt. Es zeigt sich, dass ein (vorübergehender) Austritt Athens aus der Euro-Zone, so wie es Schäuble einst wollte, der klügere Weg für alle Seiten gewesen wäre. Nun ist jede Menge Geld verspielt worden – und Glaubwürdigkeit dazu. Der vermeintlich clevere Trick mit dem Schuldenschnitt nach den Wahlen hellenisiert obendrein die politische Moral Deutschlands. Es handelt sich schlichtweg um schlechte Politik. Merke: Schlechte Politiker denken nur an die kommenden Wahlen, gute aber an die kommende Generation.  Wolfram Weimer

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