Stationen

Dienstag, 7. Juni 2016

So kanns gehen

Als ich Florenz zum ersten Mal sah, war ich neunzehn Jahre alt. Ich war gerade seit drei Tagen in Italien, meine magere Reisekasse war schon zur Hälfte geplündert, und ich konnte einfach nicht begreifen, warum jeder, der mich sah, mich grundlos zu hassen schien. Ich stand auf dem Campingplatz hoch oben am Piazzale Michelangelo, ein Gewitterregen von Dantesken Ausmaßen prasselte auf meinen Backpack nieder, und man weigerte sich aus purer Bosheit und/oder Faulheit, mich auf den Platz zu lassen.
Da war mir klar, dass ich dieses miese Land mit seinen durch und durch verkommenen Bewohnern augenblicklich verlassen musste. Nach einer durchwachten Nacht auf dem Florentiner Bahnhof im Wartesaal II. Klasse machte ich allerdings einen folgeschweren Fehler: Da der nächste Zug nach München (Insider-Tipp: Nicht wundern, wenn dieses Reiseziel in Italien „Monaco“ heißt) erst um neun Uhr morgens ging, hatte ich noch satte vier Stunden Zeit totzuschlagen. Warum also nicht Florenz ansehen, wo man schon mal da war? Das, was in der Morgenstille so rosig angehaucht im Arnotal lag, war so atemberaubend schön, dass ich beschloss, doch noch eine Nacht dazubleiben. Ich blieb zwölf Nächte, und seitdem hänge ich an Italien mit der ungesunden Dummheit, mit der eine hörige Frau an einem kaltherzigen, brutalen Idioten hängt.
Seitdem ist viel Wasser den Arno hinuntergeflossen und die Florentiner haben enorm dazugelernt. Zufriedene Touristen lassen sich so viel besser melken als unzufriedene, und seitdem hat sich die Zahl der Florenzbesucher in etwa verzwanzigfacht. Mit zahlreichen öffentlichen Toiletten, klimatisierten Supermärkten, bezahlbaren und flotten Restaurants, Cafès und Pizzerien mit unglaublicherweise sowohl freundlichem als auch kompetenten Personal hat sich die Renaissanceperle in die Jetztzeit katapultiert. Da berappt man auch gern mal ohne weiteres fünf Euro, nur um durch einen Kreuzgang zu latschen.
Inzwischen habe ich auch gelernt, dass die Italiener den gemeinen Touristen nicht als solchen hassen, sondern nur die Tatsache, dass er nicht fließend italienisch spricht. Noch heute ist es symptomatisch, dass das englische Vokabular von italienischen Kellnern, die seit fünfundzwanzig Jahren fast ausschließlich mit Ausländern zu tun haben, und das bis zu zwölf Stunden täglich, im besten Fall aus den zwei Schlüsselwörtern „driiink“ und „griiill“ besteht.
Ein Crashkurs in der Landessprache ist daher dringend empfohlen, schon als Notwehrmaßnahme. Zu den ersten Sätzen, die ich in klingendem Italienisch sprechen lernte, gehörten die allernötigsten: Das Wechselgeld stimmt nicht! Das hier habe ich nicht bestellt und ich werde es auf keinen Fall bezahlen! Ich hole gleich die Polizei!
Diese neu erworbene Fähigkeit änderte meine Italienurlaube von Grund auf. Einmal schenkte mir im Zug zwischen Bologna und Venedig eine Signora spontan zehntausend Lire, weil sie so begeistert von meinen in nur drei Monaten erworbenen Kenntnissen war. So durfte ich das kleine Wunder erleben, dass mir italienische Herzen zuflogen und ich meinerseits auch mal die Italiener um ihr Geld erleichtern konnte.
Inzwischen ist Florenz nicht mehr die große Welt für mich, so wie früher, aber die Stadt ist immer noch eine zauberhafte, bis an den Rand mit Kunstschätzen prall gefüllte Wundertüte, die jeder gebildete Mensch wenigstens einmal im Leben geöffnet haben sollte. Im Hochsommer ist der Besuch nichts für Weicheier – Temperaturen um 35 ° sind dann keine Seltenheit. Um das Schlangestehen vor den Galerien der Uffizien und dem Palazzo Pitti zu vermeiden, sollte man am besten das Online-Ticket-Verfahren nutzen. Schattig und dazu noch gratis parkt man unterhalb der hoch gelegenen Kirche San Miniato al Monte. Das atemberaubende Panorama lässt den Besucher schnell vergessen, dass er später auch wieder hinaufsteigen muss, und dazu, wenn er schon längst nicht mehr kann, will und mag. Das beste Eis gibt es seit vielen Jahrzehnten in der Gelateria Vivoli ,Via dell’Isola delle Stinche, unweit von Santa Croce. Unbedingt besuchen sollte man den wunderbaren Spezialitätenhandel Pegna, ein Traditionsgeschäft beim Dom, das die Herzen von Schlemmern höher schlagen lässt und überdies mit einem Schlag jedwedes Mitbringselproblem lösen wird. Toskanische Produkte wie Weine und Olivenöle, getrocknete Steinpilze und senesische Lebkuchen sowie nie gesehene Schokoladenspezialitäten und außerhalb Italiens praktisch unbekannte, hervorragende Kosmetik- und Körperpflegeprodukte lassen keinen Wunsch offen.
Zuerst auf https://antjesievers.wordpress.com/

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