Die Zeit eilt auf ihre eigene Weise, und wer sich Kinder zulegt, der
kennt es, dass sich manche (nicht alle!) Tage ziehen und doch die Jahre
vorbeifliegen. 2010 wurde unser zweites Kind geboren, der Herr Sohn, und
kaum ein Augenzwinkern später ist es ein Jahrzehnt später.
Wenn ich meine Kinder sehe, dann sehe immer jeweils drei Kinder.
Einmal der kleine, rosafarbene Säugling, der eben noch in unsere Welt
kam, mal fröhlich glucksend und mal weinend, mal nach Baby und Hoffnung
riechend, und mal nach vollen Windeln, bald brabbelnd und krabbelnd –
erst bangt man ja, ob sie je reden werden, wann sie stehen und gehen
werden, dann wäre man gern bereit, den Göttern des Olymp drei Ochsen,
vier Schafe und eine Herde Ziegen zu opfern, wenn nur der Nachwuchs
dafür für einen Augenblick die liebenswerte Klappe hält (und dann gehen
sie auf Klassenfahrt und man findet die Stille im Haus erst erholsam und
dann doch etwas bedrückend).
Zugleich sehe ich, heute natürlich noch unscharf, aber doch in ersten
Umrissen erkennbar, auch den Erwachsenen, der das Kind einmal sein wird
– ich „mache“ nicht den Erwachsenen aus dem Kind (und wenn ich das
glaubte, würde ich es gewiss nicht zugeben), doch ich gebe mein Bestes,
das werdende Kind daran zu hindern, ein Trottel zu werden. Und dann ist
da noch die Gegenwart, so instabil und flüchtig sie auch sein mag, das
Wesen also, dass das Kind heute ist – das Kind! – und wir
Eltern sind gut beraten, nicht den Szenenapplaus des Kindes zu suchen,
nicht nachzugeben um des dummen Friedens Willen, und doch wollen und
sollen wir für eine gute Kindheit sorgen, für eine Kindheit, auf welche
das Kind dereinst gern zurückblickt – Erziehung zwischen „Nein!" und
„Natürlich!".
Beginnt ein Jahrzehnt mit der Null, wie Programmierer ihre Listen ja
mit Null beginnen, oder beginnt es mit der Eins? Der Kinderreim beginnt
ja auch „Eins, Zwei – Polizei“, nicht etwa „Null, Eins – Meins“. Wir
hatten die Debatte ja schon ums Jahr 2000 (und 1997 schon bei Seinfeld, siehe YouTube). Wir werden uns jedoch gewiss schnell einig werden, dass das Land und damit unser Leben sehr anders sind als 2010.
Wenn wir den Blick heben, von unseren Lieben zu unseren Großen, vom
Wichtigen zum Einflussreichen, gibt es dann eine Szene, ein Bild, einen
Moment, der stellvertretend für „die 2010er Jahre“ stünde? Wer, wie ich,
noch immer stur an den Werten hängt, für die Deutschland mindestens
gefühlt bis eben noch stand, dem hat sich das schreckliche Bild ins
visuelle Gedächtnis eingebrannt, als die deutsche Kanzlerin sich nach
ihrem Wahlsieg 2013 ehrlich machte, auf offener Bühne ihrem damaligen
Generalsekretär die deutsche Flagge aus der Hand riss, diese fortwarf
und dann ein angeekeltes Gesicht machte, als wäre die Flagge der
Deutschen für sie wie gebrauchtes Toilettenpapier. Im Hintergrund stehen
CDU-Parteifunktionäre, unter anderem die stets gut beratene Frau Dr.
von der Leyen, und niemand hindert sie daran.
Die üblichen Gestalten, diese Leute mit „Haltung“, wo unsereins ein
Gewissen hat, verteidigten diese Szene, sie sei „aus dem Zusammenhang
gerissen“ und so, die üblichen Ausflüchte. Nun, der Zusammenhang
politischer Handlungen ist natürlich immer die Geschichte selbst, und
wir erkennen heute, dass Merkels angewidertes Fortwerfen der deutschen
Flagge ein Menetekel der kommenden Jahre sein sollte.
Auf das Wegwerfen der Flagge folgten, unter anderem, offene Grenzen,
Millionen von Euro in propaganda-artige Programme (mit so zynischen wie
orwellschen Gegenteil-Namen wie „Demokratie leben“) und ein
verfassungswidriges Zensurgesetz. Wir können froh sein, dass Merkel die
Flagge „nur“ fortwarf.
Was für eine Zeit diese 2010er doch waren! In Japan explodierte es
2011 in einem Atomkraftwerk, als Folge der Überschwemmungen durch einen
Tsunami, deshalb schaltet Deutschland aus Angst vor Pazifik-Flutwellen
moderne Atomkraftwerke ab – und importiert Atomstrom aus den
Atomkraftwerken der Nachbarn. Ein US-Immobilien-Unternehmer wollte etwas
Werbung für seine TV-Show machen, so erzählt man, und das geriet etwas
aus dem Ruder, und jetzt ist er der mächtigste Mann der Welt (und ja, ich hätte ihn gewählt).
Ein schwedisches Mädchen wollte, so wird gemunkelt, etwas unternehmen,
um sich von ihren Depressionen und anderen seelischen Herausforderungen
abzulenken, also beschloss sie „für das Klima zu streiken“ (was als
Konzept noch immer schräg ist), und jetzt ist sie das berühmteste
Mädchen der Welt und hilft Deutschland bei der PR-Arbeit für höhere
Steuern. Das ergibt alles keinen Sinn, da ergibt sich nur der Verstand.
Irre Zeiten fürwahr.
Kein Kind sucht sich aus, in welche Zeit es geboren wird. Wir
Erwachsene suchen uns unser Zeitalter auch nicht aus, und doch will ich
die sture Hoffnung nicht aufgeben, dass ich an der Zeit, in die ich
geboren wurde, etwas ändern kann – gewiss nicht allein und zum Glück
nicht nach jeder meiner Vorstellungen, aber etwas muss doch möglich sein.
Meine Eltern brachten mich in das Deutschland Helmut Kohls (erst mal
etwas Schmidt, aber bis wir uns einigermaßen eingelebt haben, hatte die
Ära Kohl begonnen). Es war eine Zeit, in der man glaubte, dass, wer sich
anstrengt, arbeitet und spart, auch ein gutes Leben haben wird. Meine
Kinder wurden in eine Zeit geboren, in welcher die Kanzlerin angewidert
die Flagge fortwirft, in der das Sparen bestraft wird und nicht mehr
Leistung und Charakter zählen, sondern „Haltung“ und (etwa an
Universitäten) immer mehr, der „richtigen“ „Minderheit“ anzugehören
(selbst wenn diese tatsächlich eine lokale Mehrheit stellt).
Warum sind die Männlein um Merkel herum nicht empört eingeschritten,
als sie die Flagge wegwarf, sondern klatschten unterwürfig grinsend ihre
Patschehändchen aneinander? Ach ja… wer für etwas Anstand auch seine
Karriere zu riskieren bereit wäre, würde der in die CDU gehen? Das
müssen die CDU-Politiker selbst vor dem Bürger und auch dem eigenen
Gewissen beantworten. Aus der CDU kommen ja immer wieder „Signale der
Hoffnung“ – und auf dem nächsten Parteitag gibt es dann wieder stehende
Ovationen für die zitternde Zerstörerin.
Die Zeit eilt auf ihre eigene Weise, um uns herum und mit uns darin.
Wenn ich Deutschland betrachte, wenn ich mich selbst betrachte, dann
sehe ich drei Deutschlande, drei Menschen. Ich sehe das kluge
Deutschland, in Verantwortung vor seiner Geschichte und vor der Zukunft
gleichermaßen, jenes Deutschland also, in das meine Eltern mich
brachten. Ich sehe das Deutschland der Gegenwart, wo die Debatte von
Journalisten und Gutmenschen angeführt wird, so dumpf wie unklug und
verlogen. Mit einem Betrunkenen am Sonntagmorgen in der Dorfkneipe, kurz
bevor dieser sich seinen Mageninhalt wieder durch den Kopf gehen lässt,
um sich draußen auf dem Gehsteig schlafen zu legen, lässt sich ein
klügeres Gespräch führen als mit einem, der glaubt, was der Staatsfunk
ihm erzählt. Das ist unsere Gegenwart. Und dann sehe ich das Deutschland
der Zukunft, ich sehe uns selbst in der Zukunft. Die Umrisse sind noch
unklar, und also will ich vorsichtig sein mit den Ausdeutungen – gewiss
gibt es mehr als eine Möglichkeit.
Die Meldungen aus Politik und Staatsfunk sind – zum Glück!! – nicht
die einzigen Meldungen, die ich in den vergangenen Jahren gehört habe!
Jeden Tag schreiben mir Leser, wie wichtig es ihnen ist, selbst zu
denken, alles zu prüfen – und sich schlicht einzugestehen, dass das wahr
ist, was sie mit eigenen Augen sehen (das ist keine
Selbstverständlichkeit, wenn die Realität als solche zu benennen einen
die Existenz kosten kann). Immer mehr Leser nehmen es ernst, selbst ihre
„relevanten Strukturen" zu bestimmen und ihre „Kreise zu ordnen“. Und ja, einige Leser bauen an ihrem „Innenhof".
Die Kanzlerin, die angewidert die Flagge ihres Landes wegwirft, und
die Gestalten an ihrer Seite, die unterwürfig klatschen statt
selbstbewusst einzuschreiten, das ist die Szene, die symbolisch für das
Deutschland der 2010er Jahre steht.
Welche Szene wird dereinst für die 2020er stehen? Die Drehbücher sind
(hoffentlich) noch nicht geschrieben und die Szenen noch nicht
gespielt, doch ich habe einen Wunsch, wofür die kommenden Jahre stehen
sollen – oder: stehen müssen, wenn wir nicht endgültig vor den Klippen untergehen wollen, an denen wir nun schon länger entlangschrammen.
Ich wünsche mir, dass die 2020er die Jahre werden, in denen die
Menschen sich von Staatsfunk und Propaganda abwenden, ebenso angewidert,
wie Merkel die deutsche Flagge fortwirft.
Ich wünsche mir, dass eine kritische Zahl von Menschen den Mut
aufbringen wird, sich ihres Verstandes zu bedienen und all den
Gutmenschen und Großmoralisten ins Gesicht zu lachen.
Ich wünsche mir, dass Sie und ich den Mut und die Kraft beibehalten,
weiter gegen den Irrsinn zu kämpfen, ein Argument und einen Tag nach dem
jeweils anderen. In zehn Jahren sind meine Kinder nicht mehr neun und
dreizehn Jahre alt sondern neunzehn und dreiundzwanzig. Gänsehaut läuft
meine Arme herunter, während ich dies schreibe, und meine Kehle schnürt
sich ein wenig zu. Lasst uns kämpfen – meine Motivation könnte nicht
größer sein!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
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