Lina Khodr ist eine mutige Frau. Die 29-jährige Essenerin hat
zusammen mit ihrer Freundin Zahra Kharroubi, 38, einen Aufschrei
libanesischer Mütter organisiert mit einer klaren Botschaft: „Es
reicht!" Die Frauen formieren zivilen Widerstand gegen ein Problem, das
sich in mehreren deutschen Großstädten derzeit dramatisch auswächst: die
Gewalt und Parallelgesellschaft arabischer Clans. Khodr und ihre
Kolleginnen stellen sich den Clans offen entgegen.
Sie sammeln
Unterschriften, schreiben Petitionen und rufen zu Rechtstreue und
Gewaltfreiheit auf – und sie riskieren damit ihr Leben. „Wir wollen ein
Signal setzen, dass wir diese Gewalt nicht möchten. Dass wir uns Sorgen
machen um unsere eigenen Kinder.“
Der Aufstand der Mütter erinnert an die Initiativen von Müttern
getöteter Mafia-Opfer aus Sizilien. „Wir haben inzwischen ähnliche
Verhältnisse in Deutschland. Die Clans organisieren Halbwelten des
Verbrechens und terrorisieren immer größere Stadtteile. Wir müssen uns
dem entgegen stellen“, heißt es aus dem Widerstandskreis der Frauen. Was
Polizei und Politik offenbar nicht ausreichend bewerkstelligen – die
Mütter wagen es auf eigene Faust: den Clans Grenzen setzen.
Es begann mit einem offenen Brief an die Bevölkerung von Essen:
„Liebe Essenerinnen und Essener“, so beginnt das Schreiben, 15
arabische Frauen haben ihn unterzeichnet, und seither gibt es eine
regelrechte Bewegung, die Stimme gegen die Gewalt zu erheben. Auslöser
des Appells war eine typische Gewalt- und Rache-Orgie der Clans mit
Schlägereien und Messerstechereien, die in einer Blutfehde und der
Erschießung eines 21-Jährigen mitten in der City Essens gipfelte, nur
weil der zum falschen Clan gehörte.
Seither haben die Mütter – angeführt von Lina Khodr – ihre Stimmen
erhoben. In ihrem Appell kündigt sie an: „Wir werden unseren Kindern
vermitteln, dass Sicherheit nur durch Anerkennung rechtsstaatlicher
Strukturen bestehen kann. Wir wollen und werden unseren Kindern
nahebringen, welch hohe Güter Freiheit, Demokratie und
Gleichberechtigung sind.“
Der Appell weist darauf hin, dass Täter- wie Opferfamilien bitter
leiden unter der Gewalteskalation in Deutschland: „Wir wollen die
Hoffnung, dass solche Konflikte und Vorfälle nicht mehr passieren, nicht
aufgeben. Unseren Teil der Verantwortung sehen wir in der Erziehung
unserer Kinder.“
Die muslimischen Mütter werden damit zu Kämpferinnen für Grundgesetz
und Rechtsstaat – und verblüffen das islamistische Milieu ebenso wie die
deutsche Politik. Denn die hat das Problem der Eskalation von
Clan-Gewalt offenbar unterschätzt, häufig sogar aus gut gemeinter
Rücksichtnahme auf den Ruf von Minderheiten klein geredet oder gar
verschwiegen. Die Polizei ist hingegen über den Mütterappell dankbar,
weil damit ein Kreislauf der Tabuisierung durchbrochen wird. Gerade von
dieser Schweigespirale würde die Clankriminalität profitieren. Der laute
Aufschrei sei daher eine „echte Hilfe“ und ein „wichtiger Denkanstoß",
erklärt der Essener Polizeisprecher.
Essen leidet wie Berlin, Hamburg, Bremen und Duisburg besonders unter
sprunghaft steigender Kriminalität der Clans mit weiträumigem Drogen-,
Menschen- und Waffenhandel, Prostitution sowie Schutzgelderpressungen.
„Die Grundproblematik ist, dass man in den Herkunftsländern unser
Rechtssystem nicht kennt und dann hier eine Parallel-Justiz betreibt“,
berichtet Essens Polizeisprecher Ulrich Faßbender der „Welt“. In Essen
handele sich vor allem um libanesische Clans.
In Berlin gibt es insgesamt zwei Dutzend arabische Großfamilien mit
insgesamt mit rund 10.000 Angehörigen. Sie bilden ein gegenüber der
deutschen Gesellschaft abgeschottetes System mit Stammesritualen,
Schweigegelübden und klaren Gewalthierarchien. Vor kurzem hat der
Berliner Senat eine Studie in Auftrag gegeben. Ergebnis: Die meisten
Konflikte werden nicht über das deutsche Rechtssystem, sondern über die
Clanjustiz von selbst ernannten Richtern geschlichtet, so
Justizsenator Thomas Heilmann.
Mit einer Reihe von Razzien zeigt die Berliner Polizei in diesem
Frühjahr deutlich Präsenz. Heilmann begründet das so: „Wir möchten
zusätzliche Brücken in diese Strukturen, arabische Familienclans aber
auch andere kriminelle Organisationen hinein bauen und insbesondere den
Betroffenen wie den Opfern den Weg zur Polizei und zur Staatsanwaltschaft
leichter machen.“
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen von der CDU sucht ebenfalls
Wege hinein in die Parallelgesellschaft der Clans. Er nennt die Bewegung
der libanesischen Mütter ein wichtiges Signal. „Frauen sind oft der
einzige Zugang zur kurdisch-libanesischen Community. Darauf sind wir
aber angewiesen“, sagte Kufen. Lina Khodr wird daher von der
Lokalpolitik inzwischen als tapfere Vorkämpferin des Rechts gewürdigt.
Die zweifache Mutter erzählt allerdings, dass ihr Motiv für die Essener
Friedensbewegung der anderen Art weniger politisch als menschlich war:
„Als das mit der Schießerei war, haben wir gesagt: Stopp, das reicht!" Wolfram Weimer
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