Ihr Parteiaustritt ist ein Fanal, das dem Exodus der letzten Konservativen aus der Union, der sich lange im stillen vollzogen hat, eine neue Dynamik verleiht. Der Zerfall der CDU als Vollendung des Zerstörungswerks ihrer Parteivorsitzenden ist als reale Option ein gutes Stück näher gerückt.
Das hämische Nachtreten der Merkel-Nomenklatura ist ein Gradmesser für die wachsende Panik und bestätigt, wie genau die scharfe Abrechnung Erika Steinbachs mit der Partei, für die sie sich mehr als vier Jahrzehnte eingesetzt hat, getroffen hat.
Während Generalsekretär Peter Tauber die wohlbegründete Kritik Steinbachs an den multiplen Rechtsbrüchen und der Kaltstellung und Selbstentmachtung des Parlaments bei Eurorettung, Energiewende und Einwanderungskrise mit gewohnter Arroganz wegzuwischen versucht – getreu dem Motto: Widerspruch gegen die Ratschlüsse der Großen Vorsitzenden ist per se „maßlos“ und „unberechtigt“, darüber wird gar nicht erst diskutiert –, läßt die offene Zustimmung aufhorchen, die der einstigen langjährigen Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV) aus unterschiedlichen Winkeln der Union entgegengebracht wird.
Der Tenor der Ehrenerklärung des scheidenden rheinischen Konservativen Wolfgang Bosbach und gleich mehrerer jüngerer Abgeordneter aus Sachsen und Brandenburg ist brisant: Inhaltlich stimmen sie Steinbachs Generalabrechnung zu, lediglich ihre Konsequenz daraus wollen sie selbst nicht ziehen. Vorerst. Veronika Bellmann, Bettina Kudla und Saskia Ludwig strafen die offizielle Linie, die Steinbach als isolierte und nicht ernstzunehmende Abweichlerin hinstellen will, Lügen. Ihr Unbehagen an Merkels Opportunismus und ihrer diktatorischen Alternativlosigkeits-Attitüde teilen offenkundig nicht wenige in der CDU.
Die Beschwerden, die Steinbach in Interviews und in der ausführlichen Begründung ihres Austritts vorträgt, sind die Fragen und Vorwürfe, mit denen auch die Parteibasis Funktionäre und Mandatsträger immer lauter konfrontiert. Und von der Erfahrung, wieder und wieder gegen Wände aus Ignoranz und eisiger Ablehnung zu laufen beim Versuch, innerhalb der Partei konservative Positionen durchzusetzen, innerhalb der Strukturen zu überzeugen und den Kurs zu korrigieren, können auch ihre Fürsprecher ein Lied singen.
Wie kaum jemand in der CDU ist Erika Steinbach diesen Weg bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus gegangen. Beispiellos die Anfeindungen, Demütigungen und Zurücksetzungen, die sie loyal ertragen hat in der Hoffnung, dadurch ihr Anliegen eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ zur Erinnerung an die Leiden der deutschen Heimatvertriebenen doch noch zu verwirklichen – nur um zu erleben, daß das Projekt am Ende unter linksgrünem Dauerbeschuß bis zur Unkenntlichkeit verwässert und bis zur Parodie verzerrt werden sollte.
Um so grotesker die Vorwürfe von Merkel-Paladinen wie Peter Tauber oder dem baden-württembergischen Landeschef Thomas Strobl, Steinbach habe sich nicht eingebracht, nicht das „direkte Gespräch“ gesucht, keinen „demokratischen Diskurs“ geführt.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn selbst eine Erika Steinbach angesichts der fortgesetzten arroganten Diskursverweigerung resigniert und den Bettel hinwirft, ist das ein mächtiges Signal an die letzten Konservativen, die noch in der Union überwintern: Es hat keinen Zweck mehr, die Zähne zusammenzubeißen, Kröten in Serie zu schlucken und auf bessere Zeiten zu hoffen, eine Kurskorrektur im Guten und von innen heraus ist mit dieser Parteiführung und ihrem nibelungentreuen Kader nicht zu erreichen.
Deren Bezugsrahmen ist offenkundig eher der feixende linksrotgrüne Beifall für Steinbachs Abschied. Die Parteivorsitzende hätte sie längst selbst hinauswerfen sollen, keift es aus der noch schneller schrumpfenden SPD hämisch hinterher. So wie schon viele konservative Identifikationsfiguren vor ihr. Steinbach war in der Unions-Architektur nicht irgendwer: Sie hielt das Gros der Heimatvertriebenen bei der Stange, einst sichere Unions-Klientel, jetzt marginalisiert und als entbehrlich mißachtet.
Erika Steinbachs Parteiaustritt markiert Höhepunkt und Vollendung der Merkelschen Verengung der CDU von einer Volkspartei mit konservativem Anspruch in eine Machtmaschine der Beliebigkeit, die Stammwähler, die einst ihren Markenkern ausmachten, ausgrenzt und ihnen nicht einmal die Illusion läßt, mit ihren Anliegen noch vertreten zu sein.
Solange es trotzdem noch Machtperspektiven, Mandate und Pfründe zu verteilen gab, machte die entkernte CDU das Spiel ihrer Vorsitzenden mit, sich als die besseren Grünen und Roten zu präsentieren. Doch der Zeitgeist dreht sich, und die Gegenkräfte wachsen. Die Strategie, mit propagandistischer und repressiver Unterstützung der Inhaber der Diskurshoheit auch gegen jene Teile des Volkes zu regieren, die man einst als Stammwähler gepflegt hatte, indem man sie von medialer und politischer Vertretung fernhält, geht nicht mehr auf. Erika Steinbach braucht sich keiner anderen Partei anzuschließen, um trotzdem für jedermann sichtbar zu machen, daß Alternativen zum Linksruck der CDU möglich sind.
Spätestens wenn die nächsten Wahlniederlagen zeigen, daß Opportunismus auch nicht mehr mit Mandaten belohnt wird, werden ihr nicht mehr nur überzeugte Konservative in Scharen den Rücken kehren. Das Ende der Ära Merkel wäre dann das Ende der CDU als bestimmender Kraft in der deutschen Politik. Michael Paulwitz
Erika Steinbachs Sitz |
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