Stationen

Dienstag, 10. Januar 2017

Was zu tun ist


Herr Professor van Creveld, Kanzlerin Merkel hat nach dem Anschlag von Nizza versprochen, daß wir den Terror in Europa besiegen werden.
Martin van Creveld: Wissen Sie, da fallen mir die Worte des katholischen Theologen Johannes Eck ein, die dieser 1517 in Worms an Martin Luther gerichtet haben soll: „Das ist ein schwerer Weg, den du da gewählt hast, kleiner Mönch!“
Frau Merkel wird dieses Versprechen nicht halten können?
Creveld: Eben, das bezweifele ich doch sehr. Eher werden die Zustände noch schlimmer werden – bevor sie einmal besser werden, wenn überhaupt.
Warum verspricht die Kanzlerin dann so etwas?
Creveld: Was fragen Sie mich das? Fragen Sie das Frau Merkel!
Welche Strategie müßte die deutsche Regierung verfolgen, wenn Sie wenigstens versuchen wollte, dieses Versprechen einzulösen?
Creveld: Nun, obwohl ein wirklicher Sieg über den Terrorismus nur schwer vorstellbar ist, kann doch einiges getan werden: Versiegeln Sie Ihre Grenzen und setzen Sie der unkontrollierten Einwanderung ein Ende! Postieren Sie Wachleute und Durchleuchtungsgeräte vor jedem Einkaufszentrum, Lichtspielhaus, jeder Sportstätte und so weiter und so fort! Erlauben Sie ihren Bürgern, sich zu bewaffnen – natürlich nur nach einer angemessenen Sicherheitsüberprüfung der Person! Gründen Sie sogenannte „Neighbourhood watch“-Initiativen – bei denen sich Nachbarn zusammentun, um Wachsamkeit gegenüber verdächtigen Vorgängen im Viertel zu praktizieren! Schaffen Sie eine paneuropäische Aufklärungsbehörde, um den Kampf gegen Terrorismus über die nationalen Grenzen hinweg zu koordinieren! Und um sensible Einrichtungen zu schützen sollten Sie die Methode des „Profiling“ nutzen – auch wenn „Profiling“ keine sehr demokratische Methode ist. Aber sie funktioniert!
Israel kämpft schon seit Jahrzehnten gegen den Terror. Warum gelingt es Ihnen nicht, diesen zu besiegen? Die Frage stellt sich übrigens auch für Länder wie die USA, Rußland oder die Türkei.
Creveld: In der Tat bekämpft Israel den Terror bereits seit Dekaden. Allerdings, auch wenn es nicht den Anschein haben mag – wir haben uns dabei nicht schlecht geschlagen. Zugegeben, diesen Kampf zu gewinnen, dazu waren wir nicht in der Lage. Aber wir haben ihn auch nicht verloren! Nun, der Alltag in Israel geht weiter – und der Schekel ist so stark, daß wir gar nicht wissen, wie ihn ausgeben.
Israel hat also gelernt, mit dem Terror zu leben – droht uns das jetzt auch in Europa?
Creveld: Ja, aber das hat auch eine positive Seite?
Wie bitte?
Creveld: Ja, natürlich. Zu lernen, mit dem Terrorismus zu leben, ist der erste Schritt zu lernen, mit ihm umzugehen.
Das müssen Sie erklären.
Creveld: Ich würde sagen, es bleibt Ihnen nur der Weg, zu lernen, sich nicht allzusehr über den Terrorismus aufzuregen, ihm nicht zu erlauben, den Alltag zu sehr einzuschränken. Sowie alle durch ihn angerichteten materiellen Schäden so schnell wie möglich zu reparieren. Über allem aber gilt: Nicht zuzulassen, sich allzusehr durch Terror provozieren zu lassen!
Sie selbst nennen als positive Beispiele für Staaten, denen es gelungen ist, den Terror zu besiegen, das Syrien von Hafiz al-Assad – Vater des heutigen Staatschefs Baschar al-Assad – und Großbritannien in Nord-irland. Was haben diese Länder richtig gemacht? Und warum können wir Europäer deren Erfolgsrezepte nicht einfach kopieren?
Creveld: Syrien und Großbritannien, diese beiden Länder haben in der Tat jeweils einen von zwei unterschiedlichen, möglichen Wegen gewählt. Der, den der damalige Staatschef Hafiz al-Assad beschritt, bestand darin, 1982 seine Armee eine ganze Stadt – Hama im Nordwesten Syriens und Hochburg der Muslimbrüder – vollständig zerstören zu lassen, wobei 25.000 bis 30.000 Menschen den Tod fanden, und so zum „Ermutiger der Nation“ zu werden. Die Briten wählten dagegen in Nordirland den Weg, extreme Zurückhaltung und Selbstbeschränkung zu üben. Folge war allerdings, daß bei dieser Methode, den Terror auszutrocknen, dreimal so viele britische Soldaten wie Terroristen starben. Welchen der beiden Wege man aber auch immer wählt – das Entscheidende ist, daß man diesen dann konsequent durchzieht. Sobald man beginnt, einen Zickzackkurs zwischen Härte und Zurückhaltung zu steuern, so wie das die meisten westlichen Staaten machen, hat man verloren – das funktioniert nicht.
Kritiker sagen, der westliche „Krieg gegen den Terror“ habe erst dazu geführt, daß wir heute diese Dimension des Terrorismus – Stichwort Islamischer Staat – erleben. Stimmt das?
Creveld: Nein. Auch wenn es richtig ist, daß Krieg eine interaktive Aktivität ist. „A“ tut etwas. „B“ reagiert darauf. Daraufhin reagiert „A“ darauf – und so weiter und so fort.
Auffällig ist, daß Frankreich ein sehr viel stärkeres Terrorproblem hat als Großbritannien oder Deutschland. Wie läßt sich das erklären?
Creveld: Ich wäre mir da nicht so sicher. Vielleicht liegt es daran, daß Frankreich viel mehr Moslems hat, die schon lange im Land leben. Sie kennen die Schwächen ihrer Gast-Gesellschaften und wie man diese am besten ausnutzen kann. Aber täuschen Sie sich nicht: Terrorismus kann an jedem Ort und zu jeder Zeit ausbrechen.
Der renommierte deutsche Terrorismus-Experte Guido Steinberg nennt als Grund für die große Terrorgefahr in Frankreich  – und die vergleichsweise geringe in Deutschland –, daß in Frankreich „viele Nordafrikaner leben“, aus denen sich die Terroristen rekrutierten. Hat die Terrorgefahr also etwas mit der Einwanderung zu tun?
Creveld: Ich will es mal so sagen: Nicht alle Einwanderer sind Terroristen, aber fast alle Terroristen sind Einwanderer. Nun, damit wären wir wieder beim Thema „Profiling“ ...    Martin van Creveld


Seitdem der Islamische Staat im Frühjahr 2014 erstmals auf der internationalen Bühne erschien, ist viel Tinte über sein Verhältnis zur Mutterorganisation al-Qaida vergossen worden. Ebenso über seine besondere Fähigkeit, muslimische Freiwillige von überall her in der Welt zu rekrutieren. Das Gleiche gilt für seine Methoden – dieselben, die Mohammed und seine Anhänger in ihren Anfängen von Terror und Eroberung anwandten. Dazu gehören Enthauptungen, Kreuzigungen und Versklavungen. Wen das genauer interessiert, der möge die einschlägige Forschungsliteratur konsultieren. Ich möchte hier das wichtigste Problem ansprechen: Wie kann der Islamische Staat bekämpft und besiegt werden?
Vier verschiedene Schlachtfelder müssen unterschieden werden:

1. Syrien und der Irak

Der Islamische Staat ist essenziell das Produkt der törichten amerikanischen Invasion im Irak. Wie von dem früheren ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak vorhergesagt, wurden hierdurch die „Tore der Hölle geöffnet“. In eben diesen Ländern bildete sich der Islamische Staat heraus, und in diesen Ländern konzentrieren sich auch die meisten seiner Kämpfer. Das Grundproblem ist gleichwohl ein politisches. Die Präsidenten Obama, Putin und Erdoğan müssten sich endlich entscheiden, wer ihr Hauptfeind ist, und dann müssten sie sich endlich zu einer Zusammenarbeit entschließen. Auch wenn das bedeutet, dass man Präsident Assad an seinem Platz lassen müsste, zumindest vorübergehend.
Die USA, Russland und die Türkei müssten eine gemeinsame Luftoffensive gegen den Islamischen Staat auf die Beine stellen, die auf die Kräfte der Terroristen in Syrien abzielte sowie auf die Ölfelder im Irak, aus denen der Islamische Staat seine finanziellen Ressourcen schöpft. Indes haben über ein Jahr Luftschläge von Kampfflugzeugen und Drohnen allzu deutlich gezeigt, dass Luftoperationen allein nicht die Lösung sein können. Hierfür wird die Unterstützung von Syriens Bodentruppen benötigt. Will man sichergehen, so bedeutet dies also, dass man sich mit einigen ziemlich unappetitlichen Typen und Ländern verbünden muss. Nur welche andere Alternative gibt es? Solange Führung und Hauptstreitmächte des Islamischen Staats nicht zerschlagen sind, wird der Terrorismus weitergehen. Wenn nicht hier, dann dort; wenn nicht dort, dann hier.

2. Frankreich und Europa

Hört auf herumzueiern und fangt an, die Einwanderung zu kontrollieren, mit allen erdenklichen Mitteln! Ziel muss es sein, ihr Einhalt zu gebieten. Auch auf See, um Libyen unter Kontrolle zu halten. Keine passiven Abwehrmaßnahmen. Das bedeutet: Wachen, Metalldetektoren und Überwachungskameras an jedem Parkhaus, jedem Einkaufszentrum, Theater, jeder Universität, jeder Schule und so weiter. Sofern als nötig erachtet, sind die Wachleute zu bewaffnen und in Selbstverteidigung auszubilden. Derartige Maßnahmen müssen nicht so kostspielig sein, wie sie klingen. Europa hat viele Arbeitslose. Diese sollten sich glücklich schätzen, einen Job zu bekommen. Und ihren Sold kann man mit der Unterstützung verrechnen, die sie derzeit erhalten. An den sensibelsten Einrichtungen wie etwa Flughäfen sollte gerastert werden, das heißt, Leute müssen nach bestimmten Merkmalen unterschieden werden, um diejenigen zu identifizieren, die als besonders gefährlich eingestuft werden können. Dann unterzieht man sie einer gesonderten Untersuchung.
Profiling, also Rastern, mag vielleicht nicht so demokratisch sein. Aber die Erfahrung zeigt, dass sie wirksam ist. Freiwillige Nachbarschaftspatrouillen müssen aufgestellt werden. Niemand kennt die Nachbarschaft besser als die Menschen, die darin leben. Rüstet sie mit einer guten Kommunikationstechnik aus, damit sie, wenn notwendig, Verstärkung rufen können, und lasst sie eng mit der örtlichen Polizei zusammenarbeiten! Diese Methode hat den zusätzlichen Vorteil, dass man die Bevölkerung mit einbindet und ihr das Gefühl gibt, sie könnte etwas tun, um zu helfen. Repariert so schnell wie möglich jeden Schaden, den die Terroristen verursachen, damit der normale Fortgang des Alltags wiederhergestellt und gewährleistet ist!

3. Die Geheimdienste

Passive Maßnahmen allein sind unzureichend. Nötig ist eine hoch qualifizierte Einrichtung, die fähig ist, Terroristen zu identifizieren, sie zu verfolgen und ihre Pläne im Voraus zunichtezumachen, indem sie die Terroristen festnimmt oder notfalls tötet. Desgleichen muss sie in der Lage sein, die finanziellen Ströme auszutrocknen, von denen die Terroristen abhängen. Also vergrößert eure Geheimdienste! Stattet sie mit der modernsten Überwachungstechnik aus und erlasst Gesetze, die es ihnen erlauben, diese Technik auch zu benutzen! Nehmt die Kommunikationsströme der Terroristen ins Visier! Indem man es den Terroristen und ihren Unterstützern erschwert, miteinander zu kommunizieren und zu kollaborieren, legt man schon einen Großteil dieses Sumpfes trocken.
Innerhalb der nationalen Grenzen ist zu gewährleisten, dass die verschiedenen Sicherheitsorgane zusammenarbeiten. Man sollte außerdem sichergehen, dass die nationalen Grenzen nicht den Informationsaustausch behindern. Mit anderen Worten: Es muss sichergestellt sein, dass die Dienste mit ihren Gegenübern in anderen Ländern sowie mit der Polizei eng zusammenarbeiten. Eine paneuropäische Geheimdienstaufsicht, welche für die Gesamtkoordination zuständig ist, wäre bestimmt nützlich. Oder sollten etwa politische Zwistigkeiten den Aufbau einer solchen Behörde zu unmöglichem Wunschdenken verkommen lassen? In dem Fall, umso schlimmer.

4. Die Gerichte

Ein essenzieller Teil jeder Antiterrorkampagne ist die Abschreckung. Deswegen muss gewährleistet sein, dass die Richter über die notwendige Amtsgewalt verfügen, damit sie tun können, was getan werden muss. Die Einrichtung eines Sondergerichts mit Zusatzbefugnissen für den Notfall sollte in Betracht gezogen werden. Die Bestrafung der Schuldigen sollte angemessen sein und der Verhaftung der Terroristen unmittelbar folgen. Die Urteile sollten weithin öffentlich bekannt gemacht werden.

Dos und Don’ts

Die oben angeführten Aspekte sind die Hauptelemente jeder erfolgreichen Antiterrorkampagne. In Ergänzung zu den Geboten seien abschließend auch einige Verbote aufgeführt:
1. Es muss um jeden Preis vermieden werden, dass der Mob der verdächtigten oder tatsächlichen Terroristen habhaft wird und diese ohne ordentliches Gerichtsverfahren lyncht. Sei es aus Unwissenheit oder aufgrund fehlender Führung – derartige Attacken können eklatantes Unrecht in Form von Identitätsverwechslung oder Ähnlichem bedeuten. Schlimmer noch, sie werden jene Milieus, aus denen die Terroristen stammen, dazu verleiten, sich zusammenzuschließen und zurückzuschlagen. Dies könnte letztlich dazu führen, dass man genau das auslöst, was man zu vermeiden sucht, also einen Bürgerkrieg.
2. Aus demselben Grund ist von kollektiver Bestrafung abzusehen. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese kontraproduktiv sein könnte.
3. Und schließlich: Der Krieg gegen den Terror wird nicht schnell gewonnen werden. Daher erwarte man keine schnellen Ergebnisse. Auch darf man sich keine Entmutigung bei möglichen Rückschlägen erlauben. Um dies bei der Bevölkerung sicherzustellen, ist eine nachhaltige PR-Kampagne vonnöten, in der erklärt wird, warum alle diese Maßnahmen unerlässlich sind. Die Nachteile, die sie unvermeidlich mit sich bringen, muss man in Kauf nehmen.  Martin van Creveld

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