Stationen

Donnerstag, 12. Januar 2017

Der neue Klerus

Miteinander reden, im Gespräch bleiben, achtsam umgehen ist wichtig. Für Christen, für evangelische, für deren Geistliche zumal. Im Prinzip. Aber es gibt auch Ausnahmen. Die AfD zum Beispiel. Mit der redet man nicht, mit der will man nicht im Gespräch bleiben, von Achtsamkeit keine Spur.

Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm hat „klare Kante“ gegen rechts verlangt, der Berliner Bischof Dröge festgestellt, daß Christen „in der AfD nichts verloren“ haben. Regelmäßig wurde und wird von den Kanzeln gegen die „Populisten“ gepredigt und gegen alle, die das Volk „vergötzen“, so der hannoversche Landesbischof Meister in seiner Neujahrsbotschaft. Der Pastor im Ruhestand, der für die Alternative kandidiert, sieht sich von seiner eigenen Kirche attackiert, die Antifa darf dagegen regelmäßig auf Unterstützung durch Gemeindegruppen rechnen. Und wohlweislich hat man die AfD-Führung vom Kirchentag ausgeladen. Die evangelische Führung betrachtet sie als Paria, als „Unberührbaren“, der Kontakt verunreinigt, quasi kultisch.

Man wird dem Präses der Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, zugestehen müssen, daß er diese Haltung nicht teilt. Er hat geredet, mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry über das Verhältnis von Kirche und Partei. Die Bilanz des Gesprächs, das auf Einladung von ideaspektrum in der vergangenen Woche stattfand, ist rasch gezogen: Rekowski bemüht, Petry überlegen, der Präses ganz offenbar gewohnt, im innerkirchlichen Raum zu agieren, nicht darauf gefaßt, daß ihn jemand argumentativ kontert, die Vorsitzende mit einer ebenso klugen wie sachlichen Argumentation. Es gibt kein einziges Feld, das Rekowski tatsächlich behaupten konnte.
Daß ihm das zu denken gegeben hat, wird man bezweifeln müssen. Seine nachfolgenden Äußerungen sprechen dagegen. Verwunderlich ist das nicht. Denn Rekowski gehört zur Führungsgruppe der evangelischen Kirche, eine Art neuer Klerus, nicht nur in dem Sinn, daß es sich um eine relativ geschlossene soziale Formation handelt, sondern auch in dem Sinn, daß die Glieder auf eine besondere Doktrin eingeschworen sind. Es geht um eine theologisch-politische Lehre, deren Hauptsätze endlos repetiert werden.

Nehmen wir Rekowskis Hinweis auf das „christlich-jüdische Menschenbild“. Eine Leerformel, mehr nicht, ohne Grundlage in der Tradition oder der Bibel, nur eine sentimentale Vorstellung von dem, was unsere Gattung ausmacht, deren Glieder alle „gleichwertig“ sind und deren Typus unproblematisch erscheint. Decken soll das der Verweis auf die Gottesebenbildlichkeit. Aber die hat den „Fall“ des Menschen eben nicht unbeschädigt überstanden.
Deshalb spricht das Alte Testament mit radikaler Schärfe von der Schlechtigkeit des Menschen: das „Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21); die Sünde „lauert vor der Tür“ (1. Mose 4,7) wie ein wildes reißendes Tier, und der Mensch wird ihrer kaum Herr. Nirgends hat Jesus von Nazareth diese Auffassung in Frage gestellt.

Seine Äußerung, daß Gott die Sonne aufgehen läßt „über Gute und Böse“ (Matthäus 5,45), spricht lediglich für ein hohes Maß an Gelassenheit, allerdings nicht dafür, daß er zwischen den einen und den anderen keinen Unterschied macht. Rekowskis „Niemand wird ausgegrenzt“ und „Man unterscheidet nicht zwischen Menschen“ wäre ihm nie über die Lippen gekommen.
Die Botschaft des Neuen Testaments errichtet vielmehr hohe Grenzen: gegen die Unbußfertigen, gegen alle, die die Ohren vor dem Evangelium verschließen. Und sie unterscheidet scharf: zwischen dem Selbstgerechten und dem Reuigen, zwischen den Gotteskindern und den Teufelskindern, dem „Natterngezücht“ (Matthäus 23,33).
Das paßt natürlich nicht zur geistlich inspirierten Politik, die Rekowski und seinen Amtsbrüdern wie -schwestern vorschwebt, eine Art Weltverbesserungsplan, an dem alle Menschen guten Willens teilnehmen: zum Ende der Planet erlöst, neu geordnet mit Hilfe von Brot für die Welt, Grundrechten, allgemeiner Freizügigkeit und dem Anspruch von jedermann auf alles zu jeder Zeit.

Da fehlt schon lange, was man biblischen Realismus genannt hat, die Einsicht, daß wir „Arme allezeit“ (Johannes 12,8) um uns haben werden, daß, „wer nicht arbeiten will, … auch nicht essen“ (2. Thessalonicher 3.10) soll, daß man dem Kaiser geben muß, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist (Matthäus 22,21), daß „ein Reich, das mit sich selbst uneins ist, … zerfallen“ (Matthäus 12,25) wird.
Der heutige Protestantismus scheut die Auseinandersetzung mit so bitteren Wahrheiten. Statt dessen pflegt er einen Jargon, dessen Vokabular er aus Psychotherapie, Selbsterfahrungsgruppe und linker Ideologie zusammengesucht hat. Unverdrossen reklamiert man das „Wächteramt“ der Kirche gegenüber dem Staat, aber was den Staat ausmacht und wozu er gut ist, davon weiß man wenig.
Um so wichtiger im Reformationsjahr daran zu erinnern, was einmal für jeden Evangelischen zu Tage lag; mit den Worten Luthers: „die Welt nach dem Evangelium regieren und alles weltliche Recht und Schwert aufheben“ das heißt „den wilden bösen Tieren die Bande und Ketten auflösen, daß sie jedermann zerrissen und zerbissen“.  Karlheinz Weißmann

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