PAZ: Nach jahrzehntelanger CDU-Mitgliedschaft und als
Parlamentarierin im Deutschen Bundestag mit hohem nationalen und
internationalen Bekanntheitsgrad aus der Union auszutreten, das konnte
Ihnen nicht leicht gefallen sein. Dennoch erschien der Austritt Ihnen
als unausweichlich, warum?
Erika Steinbach: Eine solche
Entscheidung kann nicht leicht fallen. Nach über 40 Jahren in einer
Partei, nach zahllosen Wahlkämpfen bei Wind und Wetter, geht man so
einen Schritt nicht leichtfertig. Die CDU galt immer als „Hüterin des
Rechtsstaates“, das hat sich verändert. Bei mittlerweile vielen großen
Politikfeldern, sei es der Atomausstieg nach der Katastrophe von
Fukushima über die Euro-Rettungspakete und die Griechenland-Hilfen bis
hin zur Flüchtlingspolitik, wurden gewichtige Entscheidungen der
Bundesregierung ohne vorherigen Beschluss des Deutschen Bundestages oder
gegen geltende Verträge getroffen. Die Fraktionen wurden bei
bedeutenden Entscheidungen nicht mehr eingebunden, beziehungsweise sie
haben nur noch abgeknickt. Das schmerzt mich insbesondere, da die
Rechtsstaatlichkeit für mich ein Garant unserer Demokratie ist. Mein
Vertrauen ist erschüttert, denn ich bin mir nicht mehr sicher, dass
Entscheidungen nicht auch in Zukunft am Gesetz vorbei getroffen werden.
PAZ:
Sie gehörten dem „Berliner Kreis“ innerhalb der Union an, der ja Front
zu machen versuchte gegen den zunehmenden Linkskurs der Merkel-CDU.
Alles vergeblich?
Steinbach: Der Berliner Kreis in der Union ist
eine Gruppe in der CDU, die es sich zur Aufgabe gemacht hat,
wertkonservative Anliegen wieder in das Bewusstsein der eigenen Partei
zu rücken. Es ist das große Verdienst von Christean Wagner, unermüdlich
daran zu arbeiten, dass die langjährige wertkonservative Ausrichtung in
der CDU nicht vollständig unter die Räder kommt. Anhand der Reaktionen
aus der Bevölkerung, aber auch aus der CDU, kann man erkennen, dass es
ein Bedürfnis danach gibt. Die mehr oder weniger unverhohlene
Nichtachtung seitens der CDU-Spitze gegenüber dieser Initiative hat
meinen Entschluss zum Parteiaustritt mit befördert.
PAZ: Von
Adenauer bis Kohl: Alle früheren Parteivorsitzenden achteten darauf,
dass neben dem christlichen und liberalen auch der rechte Flügel in der
Union klar erkennbar war. Angela Merkel verzichtete jedoch auf ihn und
begünstigte damit die Entstehung der AfD. Ein unglückliches Eigentor
oder ein bewusstes Manöver hin zu einer anderen Union?
Steinbach:
Es ist erkennbar, dass die CDU diesen Trend ganz bewusst fördert. In
der Erkenntnis, dass dadurch Zustimmung auch seitens der Grünen und in
Teilen sogar der Links-Partei erreicht werde kann, lässt man das
elementare wertkonservative Element der CDU tatsächlich links liegen. Im
Grundsatzprogramm der CDU sind die elementaren drei Wesensmerkmale der
CDU – christlich-sozial, liberal und wertkonservativ - zwar noch
enthalten, in der Realität aber wurde das Wertkonservative immer mehr
marginalisiert, ja stigmatisiert. Durch die gesellschaftspolitische
Anpassung an rot/grüne Gesellschaftsmodelle, bei der die behauptete
Mitte weiter nach links verschoben wurde, ist inzwischen ein
gesellschaftspolitisches Vakuum entstanden, das Raum für neue Parteien
geschaffen hat. Langjährige Positionen wurden schlichtweg geräumt. Hier
erinnere ich nur an eine Rede Angela Merkels aus dem Jahr 2003, als sie
sagte: „Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in
der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil
wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von
Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der
Gipfel der Verlogenheit und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den
Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir
auch weiterhin eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung
fordern.“ Und im Wahlprogramm 2013 der Union steht werbend zu lesen:
„CDU und CSU treten dafür ein, dass die entfallenen Grenzkontrollen im
Schengen-Raum weiterhin durch geeignete Maßnahmen ausgeglichen werden,
wie etwa durch anlassunabhängige Kontrollen entlang der Grenze ...“.
Dafür habe ich 2013 Wahlkampf gemacht. Leider wurde deutlich erkennbar
mit der Massenzuwanderung das glatte Gegenteil in dieser
Legislaturperiode durch die Bundesregierung praktiziert. Nicht nur an
einem Wochenende, sondern über Monate hinweg.
PAZ: Insbesondere
das von der Bundeskanzlerin herbeigeführte Flüchtlingschaos trug zu
Ihrem Abschied aus der CDU bei. Sie sprechen dabei schwerwiegend sogar
von „Gesetzesbruch“. Können Sie ihn präzisieren?
Steinbach: In
dieser Beurteilung befinde ich mich in bester Gesellschaft. Der frühere
Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hat davon gesprochen,
dass „die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit noch nie so tief wie
derzeit“ gewesen sei und die „Leitplanken des deutschen und europäischen
Asylrechts gesprengt“ worden seien. Zahlreiche Aspekte der
Flüchtlingspolitik sind hiervon betroffen, wie beispielsweise das
Aussetzen der Dublin-Regelung. In der Flüchtlingspolitik entsteht
insbesondere der Eindruck, dass nun ein Laissez-faire für Unrecht
akzeptiert wird und selbst staatliche Institutionen sich über das Recht
hinweg setzen. Wenn tausende gefälschte Pässe und Dokumente im Bundesamt
für Migration festgestellt werden, ohne dass Strafanzeige gestellt wird
und ohne, dass die vorgeschriebenen Konsequenzen gezogen werden, dann
ist das entgegen unserer gesetzlichen Regelungen. Nach unserer
Gesetzeslage stehen bis zu fünf Jahre Haft auf Fälschung solcher
Dokumente. Zudem wäre damit das Anrecht auf Asyl verwirkt. Für
kriminelle Migranten bedeutet das, dass sich Gesetzesbruch in
Deutschland lohnt, denn die illegale Einreise wird mit Aufnahme,
Versorgung und Taschengeld belohnt, die Verschleierung der wahren
Identität durch Wegwerfen und Fälschen von Pässen oder
Mehrfach-Registrierung wird nicht sanktioniert. Selbst Serientäter, die
bereits mehrfach kriminell in Erscheinung getreten sind, haben kaum mit
Folgen zur rechnen. Unsere Bürger sind erkennbar dadurch heute einem
höheren Sicherheitsrisiko ausgesetzt und haben vielfach das Vertrauen in
den Staat als Garanten ihrer Sicherheit verloren.
PAZ: Als
weitere Kritikpunkte für Ihre CDU-Flucht nennen Sie den Atomausstieg und
den Eurokurs der Kanzlerin. Was trieb Merkel zu diesen Entscheidungen,
die doch mit erheblichen Finanzbelastungen für Deutschland verbunden
sind?
Steinbach: In der Tat bedeuten all die von Ihnen genannten
Politikbereiche eine erhebliche ökonomische Belastung für Deutschland.
Aber noch gravierender ist für mich die Tatsache, dass es sich auch
dabei um Entscheidungen am Recht beziehungsweise an Verträgen vorbei
handelt. Deutschland fordert mit ziemlicher Hartnäckigkeit immer wieder
die Einhaltung von Recht und Gesetz von anderen Staaten ein, ohne sich
selbst dieser grundlegenden demokratischen Maxime gemäß zu verhalten.
PAZ:
Aber auch auf anderen Politikfeldern ließ die CDU-Chefin kein
wertkonservatives Profil erkennen. Stichworte dazu: Homo-Ehe,
Wehrpflicht und das kulturrevolutionäre Projekt „Gender-Mainstreaming“.
Wie konnte es dazu kommen?
Steinbach: Keine Gesellschaft ist
statisch, sie entwickelt sich weiter. Brüche entstehen dann, wenn
elementare Grundlagen aufgegeben werden. Die CDU hat deutlich erkennbar
in den vergangenen Jahren in gesellschaftspolitischen Fragen
weitestgehend kapituliert. Ja, sie hat sich zu häufig regelrecht
gescheut, für ihr grundlegendes Gesellschaftsmodell – zum Beispiel den
Wert von Ehe und Familie – zu fechten.
PAZ: In Ihrem
Kritik-Katalog sparen Sie interessanterweise vertriebenenpolitische
Belange aus. Hier scheint die CDU-Vorsitzende Pluspunkte gesammelt zu
haben, oder?
Steinbach: Die Bundeskanzlerin war für wichtige
Anliegen des Bundes der Vertriebenen aufgeschlossen und hat auch
mehrfach am Tag der Heimat gesprochen. Für ihre Unterstützung, eine
dauerhafte Gedenkeinrichtung in Berlin zu errichten, die das Schicksal
insbesondere der deutschen Heimatvertriebenen in die historische
Erinnerungskultur unseres Landes aufnimmt, und die Unterstützung meines
Anliegens, einen nationalen Gedenktag auch für das Schicksal der
deutschen Heimatvertriebenen zu implementieren, habe ich sie zum
Abschluss meiner BDV-Präsidentschaft mit einer extra für sie
geschaffenen Sonderanfertigung der Ehrenplakette unseres Verbandes aus
Überzeugung ausgezeichnet. Meine Entscheidung, aus der CDU auszutreten,
habe ich jedoch nicht als ehemalige Präsidentin des BdV getroffen,
sondern als Bundestagsabgeordnete, die als Mitglied des Parlamentes die
Aufgabe hat, die Bundesregierung zu kontrollieren.
PAZ: Sie werden
ab sofort als fraktionslose Abgeordnete dem Parlament angehören. Mit
welchen Aktivitäten haben wir von Ihnen zu rechnen?
Steinbach:
Als fraktionsloses Mitglied des Deutschen Bundestags werden mir einige
Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Dazu gehört beispielsweise das
Recht auf Akteneinsicht oder auch, Einzelfragen zur mündlichen oder
schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Das mir
zustehende Rederecht im Plenum werde ich verantwortungsvoll, aber nicht
exzessiv wahrnehmen, sofern ich es für erforderlich halte.
PAZ:
Merkel hat in der Fraktionssitzung nach Ihrem Austritt ein Schreiben von
Ihnen zitiert, in dem Sie die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik
gelobt haben sollen.
Steinbach: Angela Merkel zitierte aus einem
Schreiben, das ich ihr als Vorsitzende der Jury zur Verleihung des
Franz-Werfel-Menschenrechtspreises zukommen ließ. Unsere Jury-Sitzungen
waren und sind streng vertraulich. Auch das Schreiben an die Kanzlerin
ist bislang niemals öffentlich geworden. Da aber durch das Zitieren aus
diesem Schreiben ein ganz bestimmter Eindruck erweckt werden sollte,
habe ich mich inzwischen genötigt gesehen, selbst öffentlich Stellung zu
nehmen. Der Personalvorschlag, Angela Merkel zur Preisträgerin 2016 zu
machen, wurde innerhalb der Jury so kontrovers diskutiert, dass er
beinahe zum Abbruch unserer Sitzung geführt hätte. Ich gehörte zu denen,
die gegen diesen Vorschlag waren. Als Vorsitzende und Demokratin habe
ich aber selbstverständlich das schließliche Mehrheitsvotum mit dem von
der Bundeskanzlerin zitierten Schreiben umgesetzt. Wobei von
Flüchtlingspolitik darin mitnichten die Rede war, sondern von „Mitgefühl
für Flüchtlinge“ – und wer hätte das nicht. Natürlich sollte durch das
Zitieren aus diesem Schreiben in der Fraktion ein ganz bestimmter
Eindruck erweckt werden, der der Unglaubwürdigkeit. PAZ
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