Wenn man sein letztes Pulver verschossen hat, macht es beim nächsten
„Schuss“ nur noch leise Klick. Wo eben ein donnernder Feuerstrahl
herauskam, entweicht dann nicht mal mehr ein lauer Windhauch dem
erkalteten Rohr, Wirkung: null.
Daran wurden Medien und etablierte
Parteien soeben schmerzhaft erinnert.
Zunächst konnten sie ihren Fang
vor Glück kaum fassen: Jetzt habe die AfD ihre Maske fallen gelassen,
jauchzten sie. Mit der Dresdner Rede von Björn Höcke habe sich diese
Partei endgültig als rechtsextremer Verein entlarvt. Nachdem die
Bundesführung der „Alternative“ gar davor zurückschreckte, den Thüringer
Landeschef auszuschließen, verhängte der Kommentator von „Spiegel
online“ die Höchststrafe: „Der Nazi Björn Höcke darf in führender,
herausgehobener Funktion Mitglied der AfD bleiben. Das sagt alles über
die AfD und ab jetzt auch über jeden, der sie wählt.“
„Alles“ über
„jeden“! Keiner soll sich mehr herausreden dürfen. Wir kriegen euch!
Immerhin wird den zur AfD verirrten Wählern noch ein Fluchtweg
aufgezeigt aus dem Lager der Unberührbaren. „Ab jetzt“ bedeutet
schließlich: Wer diesen braunen Laden bislang unterstützt hat, bekommt
eine letzte Chance, zu den Guten zurückzukehren. Aber bitte dalli dalli!
Sonst schließt sich vor euch das Tor zum Land der Geläuterten für
immer.
Man sollte annehmen, dass diese ultimative Warnung vor ewiger
Verdammnis einen breiten Flüchtlingsstrom reuiger Falschwähler auslöst,
die mit niedergeschlagenen Augen beteuern, es nie wieder zu tun. Doch
weit gefehlt, das Gegenteil trat ein. Bei der ersten Umfrage nach dem
„Höcke-Skandal“ schoss die Partei des Übeltäters einen ganzen
Prozentpunkt nach oben. Im Insa-Wahltrend konnten sich die Blauen von
13,5 auf 14,5 Prozent verbessern.
Wie konnte das geschehen? Auf der
Suche nach der Antwort landen wir beim letzten Pulver und dem nächsten
Schuss. Der Nazi-Vorwurf gegen die AfD ist nämlich genauso alt wie die
Partei selbst und biegt bereits die Ränder hoch wie vertrockneter
Schinken. Schon der Parteigründer und Protagonist der ersten Stunde,
Bernd Lucke, wurde damit nach Kräften beharkt. Einmal hat er „entartet“
gesagt, woraufhin das „Das sagt alles“-Urteil erbarmungslos auf ihn
niederging. Zudem kursierte ein Foto, auf dem Lucke einer Menge zuwinkt.
Das Standbild erwischt genau den Moment, in dem der rechte Arm gerade
oben ist. Der Foto-„Gruß“ zeige, was von der AfD zu halten sei, schloss
ein bekannter Autor.
Als Lucke später die Partei verlassen hatte und
aus enttäuschter Liebe zum garstigen AfD-Kritiker mutiert war,
charakterisierten ihn die Medien plötzlich als „gemäßigten
Wirtschaftsliberalen“. Diese wundersame Wende dürfte manchem Bürger
sauer aufgestoßen sein. Trotzdem ging es munter weiter − Nazi, Nazi,
Nazi. Man war wohl der Meinung: Wenn wir das nur oft genug sagen, müssen
uns die Leute doch irgendwann abkaufen, dass Petry und Co. die
Wiedergänger Adolf Hitlers sind. Offenbar hat es nicht funktioniert,
wenn die Umfragen recht haben.
Was hat Höcke eigentlich gesagt in
seiner Selbstentlarvungsrede? Für ihn ist der NS-Judenmord eine Schande
und das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein Denkmal dieser Schande. Sieht
das jemand anders? Nein, natürlich nicht, aber man kann ja mal ein
bisschen an der Rede herummanipulieren, bis herauskommt, dass Höcke es
als Schande bezeichnet hat, dass wir der ermordeten Juden gedenken. Hat
er zwar nicht, lässt sich aber draus machen, wie wir dieser Tage gelernt
haben.
Weitaus rutschiger ist die Passage, wo er den „vollständigen
Sieg der AfD“ fordert, der Bündnisse nur mit Parteien erlaube, die
vorher durch ein Fegefeuer der Läuterung gegangen seien. Nun ist es zwar
das natürliche Traumziel jeder Partei, möglichst haushoch zu gewinnen.
Aber einen „vollständigen Sieg“, den gibt es in der Demokratie eben
nicht. Da fehlt immer etwas, da muss sogar etwas fehlen, sonst droht die
abschüssige Bahn.
Verständlicherweise ist diese Einsicht bitter. Vor
allem für Leute, die sich längst im Besitz der vollständigen Macht
wähnten und fest daran geglaubt haben, dass sie ihnen niemand mehr
entreißen darf.
Die bisherige Machtelite in den USA ist von ihrem
Machtverlust immer noch tief erschüttert. Obamas Außenminister John
Kerry tröstet sich mit der Erwartung, dass die Trump-Regierung in zwei,
drei Jahren vorüber sei. So reden entthronte Monarchen, die sich in
ihrer Selbstgefälligkeit gar nicht vorstellen mögen, dass der Pöbel ohne
sie einen Staat lenken könnte. Schon bald würden die dreisten
Umstürzler den Irrtum einsehen und ihnen die Krone zerknirscht
zurückbringen, ganz sicher. Wirklich? Meistens wurde nichts draus. Kerry
sollte seinen wohlverdienten Ruhestand genießen und stolz auf seine
Leistung als US-Chefdiplomat zurückblicken, die aus nichts als lauter
Fragezeichen hinter ungelösten Konflikten besteht.
Aber sollen wir
uns nun einfach abfinden mit vier Jahren Trump, nur weil „das Volk“ so
entschieden hat? Bei der Fragerunde im Anschluss an den ARD-„Presseclub“
vergangenen Sonntag wollte ein verzweifelter Anrufer wissen, wie man
die blonde Bestie vorzeitig aus dem Amt jagen könne. Tja, ein
offizielles Amtsenthebungsverfahren sei sehr schwierig, mussten die
versammelten Journalisten einräumen. Nur Josef Joffe hatte eine Idee:
„Mord im Weißen Haus, zum Beispiel“, phantasierte der
„Zeit“-Herausgeber.
Wer diese Szene gesehen hat, kann ermessen, wie
tief das Entsetzen der „Eliten“ ob ihres Machtverlustes reicht. Entweder
sehen diese Leute Gespenster oder es geht wirklich ums Ganze. Dann
handelt es sich bei dem, was in den USA passiert ist, tatsächlich um
eine Revolution von weltumspannender Bedeutung. Sigmar Gabriel wischt
sich den Schweiß von der Stirn und empfiehlt den deutschen und
europäischen Potentaten: „Wir müssen uns warm anziehen.“
Damit der
Bazillus nicht auf Europa übergreift, sollten wir ein paar
grundsätzliche Fragen klären. Zum Beispiel über die historische Rolle
des Volkes. Sogar Papst Franziskus hat sich in die Debatte eingeschaltet
und steht als guter Kirchenfürst den Herrschern zur Seite. Er warnt vor
„Populismus“ und erinnert daran, dass „ganz Deutschland“ Adolf Hitler
gewählt habe. Die Botschaft ist unübersehbar: Das „Volk“ mag ja ganz
nett sein, politisch aber ist es vor allem gefährlich, weil
unberechenbar. Die „Eliten“ müssen es unter Kontrolle halten.
Aber
Moment mal, „ganz Deutschland“? Vielleicht sollte Franziskus seinem
Vorgänger einen Besuch abstatten, damit der deutsche Papst im Ruhestand
seinem südamerikanischen Nachfolger ein halbes Stündchen Nachhilfe in
europäischer Geschichte erteilt.
Von der Entente cordiale und vom
Ersten Weltkrieg wird er da hören, von Versailles, Gebietsamputationen
und erdrückenden Reparationen zulasten Deutschlands und von der
maßlosen Demütigung des unterlegenen Reiches. Schließlich wird ihm
Benedikt vom Börsenkrach 1929 erzählen, der den Sargnagel für die
deutsche Republik lieferte.
Mit anderen Worten: Was Franziskus
erfahren wird, ist die Geschichte einer historisch beispiellosen Kette
von Elite-Versagen, an deren Ende jeder dritte Wähler eines
verzweifelten Volkes bei den letzten freien Wahlen im November 1932 die
NSDAP angekreuzt hat („ganz Deutschland“).
Sie sind überrascht?
Glaube ich Ihnen, denn aus dieser Perspektive wird die Geschichte
klugerweise nie erzählt. Würde sie es, könnte das Volk auf die riskante
Idee verfallen, seinen „alternativlosen“ politischen Machteliten weitaus
skeptischer zu begegnen als bislang üblich. Das kann zu ganz ungesunden
Schlussfolgerungen führen bis hin zur Anmaßung von „Volksherrschaft“.
Also: Wehret den Anfängen! Hans Heckel
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