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Samstag, 28. Januar 2017

Der Höcke-Skandal

Wenn man sein letztes Pulver verschossen hat, macht es beim nächsten „Schuss“ nur noch leise Klick. Wo eben ein donnernder Feuerstrahl herauskam, entweicht dann nicht mal mehr ein lauer Windhauch dem erkalteten Rohr, Wirkung: null.
Daran wurden Medien und etablierte Parteien soeben schmerzhaft erinnert.

Zunächst konnten sie ihren Fang vor Glück kaum fassen: Jetzt habe die AfD ihre Maske fallen gelassen, jauchzten sie. Mit der Dresdner Rede von Björn Höcke habe sich diese Partei endgültig als rechtsextremer Verein entlarvt. Nachdem die Bundesführung der „Alternative“ gar davor zurückschreckte, den Thüringer Landeschef auszuschließen, verhängte der Kommentator von „Spiegel online“ die Höchststrafe: „Der Nazi Björn Höcke darf in führender, herausgehobener Funktion Mitglied der AfD bleiben. Das sagt alles über die AfD und ab jetzt auch über jeden, der sie wählt.“
„Alles“ über „jeden“! Keiner soll sich mehr herausreden dürfen. Wir kriegen euch! Immerhin wird den zur AfD verirrten Wählern noch ein Fluchtweg aufgezeigt aus dem Lager der Unberührbaren. „Ab jetzt“ bedeutet schließlich: Wer diesen braunen Laden bislang unterstützt hat, bekommt eine letzte Chance, zu den Guten zurückzukehren. Aber bitte dalli dalli! Sonst schließt sich vor euch das Tor zum Land der Geläuterten für immer.
Man sollte annehmen, dass diese ultimative Warnung vor ewiger Verdammnis einen breiten Flüchtlingsstrom reuiger Falsch­wähler auslöst, die mit niedergeschlagenen Augen beteuern, es nie wieder zu tun. Doch weit gefehlt, das Gegenteil trat ein. Bei der ersten Umfrage nach dem „Höcke-Skandal“ schoss die Partei des Übeltäters einen ganzen Prozentpunkt nach oben. Im Insa-Wahltrend konnten sich die Blauen von 13,5 auf 14,5 Prozent verbessern.
Wie konnte das geschehen? Auf der Suche nach der Antwort landen wir beim letzten Pulver und dem nächsten Schuss. Der Nazi-Vorwurf gegen die AfD ist nämlich genauso alt wie die Partei selbst und biegt bereits die Ränder hoch wie vertrockneter Schinken. Schon der Parteigründer und Protagonist der ersten Stunde, Bernd Lucke, wurde damit nach Kräften beharkt. Einmal hat er „entartet“ gesagt, woraufhin das „Das sagt alles“-Urteil erbarmungslos auf ihn niederging. Zudem kursierte ein Foto, auf dem Lucke einer Menge zuwinkt. Das Standbild erwischt genau den Moment, in dem der rechte Arm gerade oben ist. Der Foto-„Gruß“ zeige, was von der AfD zu halten sei, schloss ein bekannter Autor.
Als Lucke später die Partei verlassen hatte und aus enttäuschter Liebe zum garstigen AfD-Kritiker mutiert war, charakterisierten ihn die Medien plötzlich  als „gemäßigten Wirtschaftsliberalen“. Diese wundersame Wende dürfte manchem Bürger sauer aufgestoßen sein. Trotzdem ging es munter weiter − Nazi, Nazi, Nazi. Man war wohl der Meinung: Wenn wir das nur oft genug sagen, müssen uns die Leute doch irgendwann abkaufen, dass Petry und Co. die Wiedergänger Adolf Hitlers sind. Offenbar hat es nicht funktioniert, wenn die Umfragen recht haben.
Was hat Höcke eigentlich gesagt in seiner Selbstentlarvungsrede? Für ihn ist der NS-Judenmord eine Schande und das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein Denkmal dieser Schande. Sieht das jemand anders? Nein, natürlich nicht, aber man kann ja mal ein biss­chen an der Rede herummanipulieren, bis herauskommt, dass Höcke es als Schande bezeichnet hat, dass wir der ermordeten Juden gedenken. Hat er zwar nicht, lässt sich aber draus machen, wie wir dieser Tage gelernt haben.
Weitaus rutschiger ist die Passage, wo er den „vollständigen Sieg der AfD“ fordert, der Bündnisse nur mit Parteien erlaube, die vorher durch ein Fegefeuer der Läuterung gegangen seien. Nun ist es zwar das natürliche Traumziel jeder Partei, möglichst haushoch zu gewinnen. Aber einen „vollständigen Sieg“, den gibt es in der Demokratie eben nicht. Da fehlt immer etwas, da muss sogar etwas fehlen, sonst droht die abschüssige Bahn.
Verständlicherweise ist diese Einsicht bitter. Vor allem für Leute, die sich längst im Besitz der vollständigen Macht wähnten und fest daran geglaubt haben, dass sie ihnen niemand mehr entreißen darf.
Die bisherige Machtelite in den USA ist von ihrem Machtverlust immer noch tief erschüttert.     Obamas Außenminister John Kerry tröstet sich mit der Erwartung, dass die Trump-Regierung in zwei, drei Jahren vorüber sei. So reden entthronte Monarchen, die sich in ihrer Selbstgefälligkeit gar nicht vorstellen mögen, dass der Pöbel ohne sie einen Staat lenken könnte. Schon bald würden die dreisten Umstürzler den Irrtum einsehen und ihnen die Krone zerknirscht zurückbringen, ganz sicher. Wirklich? Meistens wurde nichts draus. Kerry sollte seinen wohlverdienten Ruhestand genießen und stolz auf seine Leistung als US-Chefdiplomat zu­rückblicken, die aus nichts als lauter Fragezeichen hinter ungelösten Konflikten besteht.
Aber sollen wir uns nun einfach abfinden mit vier Jahren Trump, nur weil „das Volk“ so entschieden hat? Bei der Fragerunde im Anschluss an den ARD-„Presseclub“ vergangenen Sonntag wollte ein verzweifelter Anrufer wissen, wie man die blonde Bestie vorzeitig aus dem Amt jagen könne. Tja, ein offizielles Amtsenthebungsverfahren sei sehr schwierig,  mussten die versammelten Journalisten einräumen. Nur Josef Joffe hatte eine Idee: „Mord im Weißen Haus, zum Beispiel“, phantasierte der „Zeit“-Herausgeber.
Wer diese Szene gesehen hat, kann ermessen, wie tief das Entsetzen der „Eliten“ ob ihres Machtverlustes reicht. Entweder sehen diese Leute Gespenster oder es geht wirklich ums Ganze. Dann handelt es sich bei dem, was in den USA passiert ist, tatsächlich um eine Revolution von weltumspannender Bedeutung.  Sigmar Gabriel wischt sich den Schweiß von der Stirn und empfiehlt den deutschen und europäischen Potentaten: „Wir müssen uns warm anziehen.“
Damit der Bazillus nicht auf Europa übergreift, sollten wir ein paar grundsätzliche Fragen klären. Zum Beispiel über die historische Rolle des Volkes. Sogar Papst Franziskus hat sich in die Debatte eingeschaltet und steht als guter Kirchenfürst den Herrschern zur Seite. Er warnt vor „Populismus“ und erinnert daran, dass „ganz Deutschland“ Adolf Hitler gewählt habe. Die Botschaft ist unübersehbar: Das „Volk“ mag ja ganz nett sein, politisch aber ist es vor allem gefährlich, weil unberechenbar. Die „Eliten“ müssen es unter Kontrolle halten.
Aber Moment mal, „ganz Deutschland“? Vielleicht sollte Franziskus seinem Vorgänger einen Besuch abstatten, damit der deutsche Papst im Ruhestand seinem südamerikanischen Nachfolger ein halbes Stündchen Nachhilfe in europäischer Geschichte erteilt.
Von der Entente cordiale und vom Ersten Weltkrieg wird er da hören, von Versailles, Gebietsamputationen und erdrückenden Reparationen zulasten Deutschlands   und von der maßlosen Demütigung des unterlegenen Reiches. Schließlich wird ihm Benedikt vom Börsenkrach 1929 erzählen, der den Sargnagel für die deutsche Republik lieferte.

Mit anderen Worten: Was Franziskus erfahren wird, ist die Geschichte einer historisch beispiellosen Kette von Elite-Versagen, an deren Ende jeder dritte Wähler eines verzweifelten Volkes bei den letzten freien Wahlen im November 1932 die NSDAP angekreuzt hat („ganz Deutschland“).
Sie sind überrascht? Glaube ich Ihnen, denn aus dieser Perspektive wird die Geschichte klugerweise nie erzählt. Würde sie es, könnte das Volk auf die riskante Idee verfallen, seinen „alternativlosen“ politischen Machteliten weitaus skeptischer zu begegnen als bislang üblich. Das kann zu ganz ungesunden Schlussfolgerungen führen bis hin zur Anmaßung von „Volksherrschaft“. Also: Wehret den Anfängen!  Hans Heckel

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