In den fünfziger Jahren bauten einige Forscher der amerikanischen
Firma Bell, damals führend im Bereich wissenschaftlicher Innovation und
so bewundert wie später Apple unter Steve Jobs, ein wundersames Gerät.
„The ultimate machine“ war ein Lederkoffer mit einem Ein-Aus-Schalter.
Schaltete man die Maschine ein, fuhr aus dem Koffer eine hölzerne Hand,
die den Schalter auf „Aus“ stellte, sich in den Koffer zurück- und den
Deckel zuzog.
Der Ulk illustrierte ein Paradox: Daß nämlich die perfekte Maschine
autonom sein, also potentiell die Freiheit haben müsse, sich dem
Tätigkeitsverlangen ihrer Schöpfer zu widersetzen. Doch ist „die
ultimative Maschine“ auch anders zu deuten: Als Gleichnis, daß
Wissenschaft durchaus bereit sein kann, sich selbst abzuschalten.
Diese Entwicklung läßt sich derzeit beobachten: Daß Wissenschaft auf
freier Rede beruht, auf dem Austausch von Argumenten, hat immer weniger
Verteidiger. Vielmehr herrscht an Universitäten und
Forschungseinrichtungen oftmals der gegenteilige Geist, wird die
Beurteilung von Theorien und Sachverhalten persönlichen
Befindlichkeiten, dem Einfluß forschungsfremder Dritter oder all dem
geopfert, was als Politische Korrektheit firmiert.
Wo über das Für und Wider von Ideen gestritten werden soll, werden
„safe spaces“ (sichere Räume) eingerichtet, in die sich Studenten
zurückziehen können, die ihre persönliche Weltsicht gerade nicht zur
Debatte stellen möchten. Frauen wollen nicht mit Männern über Fragen des
Feminismus sprechen, Farbige nicht mit Weißen über die Rückständigkeit
Afrikas, Muslime nicht mit Andersgläubigen über antidemokratische oder
antipluralistische Aspekte des Koran; selbst über die Werke Shakespeares
oder Kafkas wollen manche Studenten nur diskutieren, wenn alle
brutalen, misogynen oder sonst für sie verstörenden Passagen nicht zur
Sprache kommen.
Professoren, die sich solchen Zumutungen widersetzen, werden
niedergeschrien, ihre Vorlesungen boykottiert, nicht selten begleitet
von anonymen Verleumdungskampagnen im Netz. Und fast immer schweigt die
Universitätsleitung.
Es ist das Schweigen von Verrätern ihrer eigenen Profession. Denn mit
solchen Rücksichtnahmen stirbt jede Debatte, jede Möglichkeit der
Falsifizierung und damit auch jede Chance auf wissenschaftliche
Objektivität. Wer sich unter Hinweis auf Herkunft, Glauben, Geschlecht,
Rasse oder Nation dem Fundament aller Wissenschaft entzieht, der freien
Rede und der binären Formel von richtig und falsch, betreibt nicht
Forschung, sondern bekämpft sie. Er will keine Wissenschaft, er will
Ideologie.
Wie es dazu kommen konnte, ist öfters beschrieben worden. Die
Vermassung der Universitäten spielt dabei ebenso eine Rolle wie die
akademische Nobilitierung unwissenschaftlicher Fächer wie
Genderforschung oder Erziehungswissenschaften. Auch die Abhängigkeit der
Forschungseinrichtungen von Drittmitteln, also Geldern von Industrie
oder Interessengruppen, untergräbt den zentralen Anspruch der
Wissenschaft – daß sie nicht interessengeleitet sei. Doch von einem
saudisch finanzierten „Center for Islamic Studies“ ist sowenig
Objektivität zu erwarten wie von An-Instituten, die von Lebensmittel-
oder Pharmakonzernen getragen werden. Sie alle beschädigen die Idee des
nicht-kommerziellen, absichtsfreien Forschens.
Vor allem aber leidet die Wissenschaft am modischen Relativismus; sie
ist insofern ein Spiegel der Gesellschaft. Daß es objektive Wahrheiten
gibt, wird heute in vielen Fachbereichen als geradezu frivole Behauptung
betrachtet. Nicht nur das biologische Geschlecht sei eine Konstruktion,
auch Gesellschaft und Realität. Alle Erkenntnis sei bedingt: sozial,
ökonomisch, kulturell. Eine unabhängig vom Betrachter existierende
Wirklichkeit gebe es nicht, und so auch keine allgemein gültige Aussage
über die reale Welt. Objektivität sei eine Chimäre, Wahrheit relativ.
Dahinter verbirgt sich weit mehr als nur die Verstiegenheit des
Wissenschaftsbetriebes; es ist das Ende der europäischen Geisteskultur.
Denn diese beruht auf der Idee, daß Erkenntnis möglich ist, also auf der
Trennung von richtig und falsch. Das ist nicht nur die Basis aller
wissenstheoretischen Arbeit, sondern auch zentraler politischer wie
moralischer Maßstäbe.
Erst die gleichsam kritische Prüfung machte aus christlichen Geboten
universelle Vorgaben, erst aus „richtig und falsch“ folgte die Idee der
individuellen Menschenrechte, erst daraus wiederum das Gebot politischer
Kontrolle. Wer dagegen die Realität für ein Konstrukt und objektive
Erkenntnis für ausgeschlossen erachtet, kann die Gleichberechtigung der
Frauen ebenso bestreiten wie das Lebensrecht von Homosexuellen,
Behinderten oder Juden.
Daß alle Wahrheit relativ sei, ist daher nichts weniger als eine
Kampfansage an die europäische Zivilisation. Wo Positionen unter Verweis
auf subjektive Befindlichkeiten immunisiert werden, ist offener Diskurs
undenkbar – und gleichzeitig die offene Gesellschaft. Wie die
„ultimative Maschine“ will auch die wissenschaftliche Forschung sich
selbst abschalten.
Unverständlich bleibt, warum die Politik diesem Treiben zuschaut.
Längst hätte sie eingreifen, die Universitäten an ihren Grundauftrag und
die Verteidigung der freien Rede erinnern müssen – gestützt auf scharfe
Sanktionen.
Denn die Kapitulation der Universitäten vor der Politischen
Korrektheit führt auch deren Lehrauftrag ad absurdum. Doch bisher ist
nicht einmal ansatzweise eine Debatte erkennbar. Auch hier entziehen
sich Politik und Parteien der politischen Willensbildung.
Vor den Studenten, die von solchen Universitäten kommen und in
Zukunft dieses Land maßgeblich gestalten wollen, muß man wohl Angst
haben. Nicolaus Fest
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