Altbundeskanzler Helmut Kohl hat demnach im Jahre 2002 eingeräumt, mit der Einführung des Euro gegen den Willen der Deutschen gehandelt zu haben. Für seine Dissertation „Bilanz einer gescheiterten Kommunikation. Fallstudien zur deutschen Entstehungsgeschichte des Euro und ihrer demokratietheoretischen Qualität“ hat der Journalist Jens Peter Paul neben vielen anderen auch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl befragt. Das Interview wurde am 14. März 2002 in Berlin geführt und erst jetzt durch die Veröffentlichung der Dissertation bekanntgeworden.
Kohl sagte, dass er gewusst habe, dass die Einführung des Euro in Deutschland nicht mehrheitsfähig sei. Es habe ihm an Mitstreitern gefehlt. In Ostdeutschland wäre der Euro schon deswegen abgelehnt worden, weil die Deutschen erst seit kurzem die D-Mark erhalten hatten, für die sie immerhin eine Revolution gestartet hätten.
Kohl zu den Chancen einer Volksabstimmung:
„Aber ich wusste, dass ich die Abstimmung
nie gewinnen kann in Deutschland. Eine Volksabstimmung über die
Einführung des Euro hätten wir verloren. Das ist ganz klar. Ich hätte
sie verloren. Eine Volksabstimmung hätte ich natürlich verloren, und zwar im Verhältnis 7 zu 3.“
Er sei jedoch davon überzeugt gewesen, dass es richtig sei, den Euro einzuführen – um zu verhindern, dass es in Europa jemals wieder Krieg
gibt. [Mitterands Erpressung ist wohl eine SPIEGEL-Legende]Kohl zu seiner Motivation, die Euro-Einführung ohne demokratische Legitimation durchzuziehen:
„Das politische Leben läuft so, repräsentative Demokratie kann nur erfolgreich sein, wenn irgendeiner sich hinstellt und sagt: ,So ist das.
Ich verbinde meine Existenz mit diesem politischen Projekt.′ Dann hast du automatisch in der eigenen Partei eine ganze Reihe von
Leuten, die sagen: ,Wenn der fällt, falle ich auch.′ Das ist dann nicht
das Thema Euro – das ist die Lebensphilosophie.“
Kohl sagte, dass er zwar von der Verfassung her nicht verpflichtet
gewesen sei, eine Volksabstimmung durchzuführen. Trotzdem hatte er
offenbar einiges Unbehagen:
„Das ist keine Frage, ob es die Verfassung verlangt oder nicht. Man hätte ja viele Möglichkeiten haben können. Die Ambivalenz war schon sehr stark.
Selbst wenn Sie in die FAZ hineinschauen, in den Wirtschaftsteil: Da
war ein Jein. Die Banker und so weiter – die sind dann alle umgekippt.“
Kohl sagte, er war überzeugt, dass er am Ende auch ohne demokratische
Legitimation siegen werde: „Es gibt die Kraft des Faktischen, die
mitreißt.“ Kohl galt stets als Tatmensch, der zupackt – auch wenn es
gegen Demonstranten geht, die auf ihn Eier werfen (siehe Video).Kohl sagte, dass die historische Dimension ihn dazu veranlasst habe, ohne Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung vorzugehen. Das sei seine Aufgabe als Bundeskanzler gwesen:
„Wenn einer Bundeskanzler ist, will etwas
durchsetzen, muß er doch ein Machtmensch sein! Und wenn er gescheit
ist, dann weiß er: Jetzt ist eine Zeit reif, um etwas durchzusetzen. Und
wenn er gescheit ist, dann weiß er: Es gibt Sachen, da muß ich warten.
Es ist mein volles Leben: In einem Fall war ich wie ein Diktator, siehe Euro,
in einem Fall war ich ein Zauderer, habe alle Probleme ausgesessen. Ist
immer noch der gleiche Helmut Kohl, von dem wir reden. Mit Machtmensch
hat das nichts zu tun. Der Euro ist ja nur ein Synonym für Europa.
Verstehen Sie: Für mich ist die Idee der Einigung Europas nicht irgend eine Sache wie dem Riester seine Rentenversicherung.
Das ist eine wichtige Sache, aber von der Qualifikation ist das ein
Nichts gegenüber dem Euro! Die Rentenversicherung wird jetzt geändert,
wird wieder geändert, wird noch einmal geändert. Aber Europa hat zum
ersten Mal keinen Krieg mehr. Das muß man doch einmal sehen! Das ist
doch ein historischer Bezug.“
Offenbar war der Altkanzler sehr enttäuscht, dass er am Tag der
Euro-Einführung aus Deutschland nicht die entsprechende Würdigung
erfahren hat:
„Am 1. Januar [2002 am ersten Tag des
Bargeldumtauschs] ging abends um zehn Uhr das Telefon, da hat kein
Deutscher angerufen. Die Deutschen haben ja verbreitet, das hätte der Schröder gemacht und der Eichel, in Deutschland hat sich gar keiner erinnert, aber ab zehn Uhr ging das Telefon. Von Jacques Chirac
die zwei, die da fotografiert sind, haben dieses Bild aufgenommen
unmittelbar zehn Minuten vor Beginn des weltberühmten Neujahrskonzerts
in Wien, der Prodi und der Schüssel, und dann haben alle möglichen alten Kollegen angerufen und gesagt: Das ist Dein Tag. Das war es ja auch. Und die kleinen Leute schicken ihre Euro-Scheine in großer Zahl, wo sie draufschreiben: ,Helmut Kohl – 1. 1. 2002‘.“
Kohl gab in dem Interview an, dass er Wolfgang Schäuble vor allem
wegen der Euro-Einführung nicht als Bundeskanzler inthronisiert hatte,
sondern lieber selber das Heft in Händen hielt. Auf die Frage, ob
Schäuble es denn geschafft hätte, den Euro einzuführen, sagte Kohl:
„Glaube ich nicht.“Er schildert Schäuble als zu schwach für eine derartig historische Entscheidung:
„Da gehört ja eine ganz andere Potenz dazu. Wissen Sie, das ist keine Sache für… Der Schäuble
ist ein hochbegabter Mann, das ist außerhalb jeder Diskussion, aber
dies war keine Sache mehr von einem Newcomer, das war schon… – da mußte jemand mit seiner vollen Autorität rein.
Auch mit Blick auf den eigenen Verein. Sie haben ja eben die Frage
gestellt: Wäre der überhaupt gewählt worden? Wir haben jetzt über das
Innenleben der Fraktion nicht geredet. Das hätte der Schäuble nicht gepackt.“ DWN
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