Ein Jahr nach Auflösung des Elsass als selbständiger französischer
Region per Diktat aus Paris fürchten Regionalisten um weitere Einbußen
bei regionalen und kulturellen Rechten der Elsässer.
Trotz
des dritten Platzes und mehr als zehn Prozent der Wählerschaft war es
der regionalistischen elsässischen Partei „Unser Land“ bei den
Regionalwahlen nicht gelungen, in den neuen Rat der Großregion „Grand Est“ Abgeordnete zu entsenden.
Entsprechend groß war auch die
Enttäuschung, trotz des Wahlerfolges. Auch während des abgelaufenen
Jahres mussten die regionalen Interessen zunehmend Abstriche hinnehmen.
Dabei konnte die neue Großregion „Grand Est“ , die aus dem Elsaß,
Lothringen und der Champagne willkürlich zusammengewürfelt wurde, unter
Weglassung des einstigen elsässischen Gebietes von Belfort, bislang auch
keine nennenswerte finanzielle Einsparungen einbringen – ein Argument,
mit dem die Gebietsreform einst verabschiedet worden war.
Viele
Elsässer, weit über die Wählerschaft von „Unser Land“ hinweg, sehen
jetzt ihre regionalen, kulturellen und sprachlichen Eigenarten in
Gefahr. Dafür gab es im Laufe des vergangenen Jahres einige fatale
Beweise.
Schon zum vorletzten Jahresende hatte Radio France seine
Sendungen über Mittelwelle eingestellt. Betroffen von diesem Schritt war
auch der Mittelwellensender Radio France Bleu Elsass im elsässischen
Schlettstadt. Dieser Sender war der letzte, der ein komplettes Programm
in elsässischer Sprache über das Radio France-Regionalstudio in
Straßburg sendete. Seit 1. Januar 2016 wird das Programm ausschließlich
über das Internet per Stream und Apps verbreitet. Gegen die nicht mehr
terrestrisch zu empfangenen Sendungen von France Bleu Elsass lief die
zumeist ältere Hörerschaft des Programms Sturm. Allerdings konnte der
französische Muttersender, der seine Sendungen in bretonischer,
korsischer und baskischer Sprache weiterhin terrestrisch ausstrahlt,
nicht zur Rücknahme seiner „Reformmaßnahme“ veranlasst werden. Er war
lediglich bereit, mit Werbekampagnen seine Hörerschaft vom Wechsel zu
informieren. Dabei haben im Elsass noch 60 Prozent der Bevölkerung einen
aktiven Bezug zum Elsässischen. Die letzte zweisprachige Tageszeitung,
die „Dernieres Nouvelles d’Alsace“ hat vor zehn Jahren schon ihre
zweisprachige Ausgabe eingestellt.
Ein für das elsässische
Identitätsbewusstsein vielleicht noch weitgehender Schlag war der
Wegfall der Nikolausfeiern an zwei Grundschulen der Gemeinde Hüningen im
Oberelsass an der Schweizer Grenze. Dort hatten erstmals in der
Geschichte des Landes zwei Schuldirektorinnen mit dem Argument der
Laizität Nikolausfeiern in der Schule verboten. Dabei gilt in
Elsass-Lothringen der Heilige Nikolaus als Patron der Schüler. Auch das
Verbot der Bezeichnung „Christkindelmärik“ für den Weihnachtsmarkt und
das Entfernen der Krippe auf dem Kleberplatz durch die Straßburger
Stadtverwaltung wurden mit ähnlichen Argumenten begründet. Auf dem
Straßburger Weihnachtsmarkt waren dann auch bis Heiligabend viele
Schilder mit der Aufschrift „Je suis Christ Kindel“ zu sehen. Die
Trennung von Kirche und Staat, die in Frankreich 1905 beschlossen wurde,
wurde in Elsass-Lothringen, das erst 1918 wieder zu Frankreich kam,
nicht vollzogen. So gilt in diesen drei Departementen das Prinzip der
Laizität überhaupt nicht.
Kein Wunder, dass immer mehr
Elsass-Lothringer diese Errungenschaft der Regionalbewegung von 1922,
als der Wiederstand der elsässischen Bevölkerung dazu geführt hatte,
dass die französische Zentralregierung sich gezwungen sah, die bereits
in Kraft gesetzte Trennung von Kirche und Staat wieder zurückzunehmen,
in Gefahr sehen. Das dadurch weiterbestehende Konkordat von 1801 führt
auch dazu, dass mit dem Karfreitag und dem zweiten Weihnachtstag in
Elsass-Lothringen zwei Feiertage erhalten blieben, die im übrigen
Frankreich bereits abgeschafft waren. 1922 hatten die elsässischen
Regionalisten auch erreicht, dass viele ihrer regionalen und lokalen
Sonderrechte aus der Zeit der Zugehörigkeit zum deutschen Kaiserreich
erhalten blieben.
Diese Sonderrechte betreffen vor allem einige
Bestimmungen aus dem Gewerberecht, dem (Kranken)-Versicherungswesen und
dem Katasterwesen. In den letzten Jahren waren mehr und mehr
Bestimmungen aus diesem elsässischen Lokalrecht zum Streitpunkt in
gleich mehreren Verfahren vor dem obersten französischen Gericht
geworden. Immer wieder betonten die Kläger vom Verein für die
Verbreitung des französischen Laizismus die Einheitlichkeit der
französischen Republik und die alleinige Gültigkeit der französischen
Sprache. Denn einige dieser Lokalgesetze, die noch aus deutscher Zeit
stammen, hatte man einfach vergessen, offiziell ins Französische zu
übersetzen. Während der deutschen Zeit von 1871 bis 1918 waren Gesetze
erlassen worden, die zum Teil auf der fortschrittlichen
Sozialgesetzgebung von Bismarck beruhten und 1918 nicht wieder
abgeschafft wurden. So übernimmt die gesetzliche Krankenkasse in
Elsass-Lothringen höhere Anteile als im übrigen Frankreich. Sozialhilfe
gibt es schon ab 16 statt ab 25 Jahren und die Lohnfortzahlung bei
unverschuldeter Abwesenheit des Arbeitnehmers ist großzügiger geregelt.
Auch bei Kündigungsfristen und -bestimmungen sind elsässische
Arbeitnehmer bis heute besser gestellt.
Bereits im März 2016 hatte
sich mit Paul Mumbach, Bürgermeister von Dannemarie im Südelsass, ein
Kandidat aus dem elsässischen Regionalisten-Milieu als
Präsidentschaftskandidat ins Rennen gebracht. Aber er hat bis heute die
nötigen 500 Unterschriften von öffentlichen Mandatsträgern nicht
gefunden. Aus diesem Grunde unterstützt „Unser Land“ den Kandidaten
aller französischen Regionalisten, den Bretonen Christian Troadec beim
Rennen um den Elysee-Palast im Mai 2017. Erfahrungsgemäß gehen die
Kandidaten aller großen Parteien vor den Präsidentschaftswahlen auch auf
die Anliegen der Regionalisten ein und versprechen die Anerkennung der
Europäischen Minderheitencharta, um sie dann nach ihrem Erfolg doch
nicht umzusetzen. Das ist bereits alte französische Tradition seit der
Schaffung dieser Minderheitencharta, die in den 1980er Jahren von fast
allen EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet wurde – mit Ausnahme von
Frankreich. Bodo Bost
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