Im
Jahr 2017 erwarten wir national und international tiefgreifende
politische Umwälzungen. Sie folgen einer gesellschaftlichen
Klimaveränderung, die an diesem Jahreswechsel mit Händen zu greifen war.
Früher galten die „Tage zwischen den Jahren“, zwischen Weihnachten und
Neujahr – im katholischen Süden einschließlich Heilige Drei Könige – als
friedlichste Zeit. Seit den Kölner Silvesterübergriffen vom Vorjahr und
dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz
vom Dezember 2016 verwandelten sich Fußgängerzonen der Städte dieses
Silvester teils in Hochsicherheitsbereiche, die mit Betonelementen
verbarrikadiert wurden.
Langsam schleicht sich der Ausnahmezustand ein in den Alltag und wird
zum Normalfall. Es überrascht nicht, daß das Thema Innere Sicherheit
und Terrorabwehr die Wahlkämpfe dieses Jahres bestimmen wird.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) machte dies jetzt in einem
flammenden Appell für einen „starken Staat“ deutlich.
Das ist erfreulich zu hören, nur preisen sich hier diejenigen als
Retter des Rechtsstaates und der öffentlichen Ordnung, die den
Kontrollverlust des Jahres 2015 politisch zu verantworten haben.
Wie ein
Langfinger, der am lautesten „Haltet den Dieb!“ ruft, um von sich
abzulenken, empfiehlt sich die Regierung Merkel als der Arzt, der eine
Krankheit therapieren will, die er selbst verursacht hat. Ist das
Gedächtnis der Deutschen so kurz?
Drei Landtagswahlen werden in diesem Jahr zu Testwahlen, die den
Trend zur Bundestagswahl im Herbst vorgeben: Den Auftakt bildet im März
das Saarland, gefolgt im Mai von Schleswig-Holstein und
Nordrhein-Westfalen. Besonders vom bevölkerungsreichsten Bundesland NRW,
wo fast ein Viertel der Bundesbürger lebt, geht eine besonders starke
Signalwirkung aus – eine Woche zuvor findet die Stichwahl um das
französische Präsidentenamt statt, wo die Rechte führt.
„Merkel muß weg!“ ist der auf Pegida-Demonstrationen geborene
knallige Slogan, der landauf, landab bei vielen regierungskritischen
Demonstrationen gerufen wird und zeitweise beinahe konsensfähig geworden
ist. Es verblüfft nun, daß keine deutliche Wechselstimmung aufkommen
will und die Kanzlerin in den Beliebtheitswerten wieder steigt.
Es ist nicht unrealistisch, daß die CDU-Chefin im Herbst erneut die
Union bei 40 Prozent plus über die Ziellinie führt. Merkel könnte mit
ihrer stur fortgesetzten Politik und dem anhaltenden Linkskurs der CDU
Stimmenverluste nach rechts auf Kosten der weiter schwächelnden SPD
kompensieren. Diese kann bis dato für einen personalisierten Wahlkampf
keinen Spitzenmann präsentieren, dem die Deutschen größere
Führungsqualitäten zutrauten als Merkel.
Die CDU-Wahlkampfstrategen werden uns Merkel als menschenfreundliche
Mutter der Nation, als einen von Wind und Wetter gestählten Kapitän in
einer stürmischen Welt im Umbruch präsentieren, die erfahren und
unerschütterlich Kurs hält – obwohl sie tatsächlich dabei ist, das
Schiff auf Grund zu setzen.
Die derzeitigen Umfragen sehen die in Fragen von Asyl- und
Euro-Rettungspolitik oppositionelle AfD auch im Bund als drittstärkste
Kraft stabil zwischen 12 und 15 Prozent. Vor allem die desaströse
Asylpolitik trieb der AfD Wähler anhaltend in Scharen zu – die
Umfragewerte können aber nicht überdecken, daß die Partei krisenanfällig
ist und sich noch immer nicht personell und programmatisch konsolidiert
hat.
Der Einzug der AfD in den Bundestag im Herbst wird aber zweifellos
zur historischen Umwälzung der bundesdeutschen Parteienlandschaft
führen. Ohne den Erfolg der AfD und drohende Wählerverluste käme es
nicht zu den wenn auch zaghaften Anpassungsbewegungen der Großen
Koalition in der Asyl- und Sicherheitspolitik.
Der Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar und der Kurswechsel
der Supermacht USA wird das neue Jahr weltpolitisch prägen. Vorbei die
Zeit, als die liberale politische Klasse nach dem Prinzip ex occidente
lux über eine simple transatlantische Agenda verfügte.
Neben einem eisigen Verhältnis zu Rußland sehen sich die
EU-Regierungschefs und Nato-Partner nun auch noch einer abgekühlten,
positiv gesagt, wieder interessegeleiteten und realpolitischen Beziehung
zur westlichen Führungsnation gegenüber. Daß die USA ihren
missionarischen, weltbeglückenden Eifer zurückschrauben, könnte helfen,
einige Konflikte pragmatischer multilateral zu entspannen – vorneweg den
Syrienkrieg.
Zurück zur Innenpolitik: Auf den staatlichen Kontrollverlust des
Jahres 2015 und den Zusammenprall von illusionären Utopien mit der
harten Realität wird ein neues Bewußtsein folgen für den Ernstfall, daß
Frieden ohne Fähigkeit und Bereitschaft zum Krieg nicht gesichert werden
kann, daß nur souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet,
daß ein Staat aufhört zu existieren, der nicht mehr Herr über Drinnen
und Draußen ist.
Die Beton-Barrieren in den Innenstädten, die hohen Absperrzäune um
Volksfeste, dauerhaft mit geladenen Maschinenpistolen bewaffnete
Polizisten auf Patrouille in Fußgängerzonen, die Ausweitung von
Videoüberwachung öffentlicher Plätze – das ist die schizophrene
Kehrseite einer Politik offener Grenzen, deren Stunde jedoch geschlagen
hat.
Das Jahr 2017 sollte Remedur schaffen bei einer von Kapitalinteressen
diktierten und von postnationalen Utopien fehlgeleiteten Politik
überdehnter Globalisierung. Eine lebendige, kontroverse Debatte ohne
Tabus wird geführt werden müssen über einen Teil-Rückbau der EU.
Streiten wir über mehr nationale Bescheidenheit statt postnationalen
Größenwahn, eine Rückkehr zu mehr Demokratie und weniger Bevormundung
sowie über die Frage, ob nicht Heimatbewußtsein, Identität und Kultur
wichtige Voraussetzungen für Solidarität und Zusammenhalt einer
Gesellschaft sind, in der wir künftig leben wollen. 2017 wird ein Jahr
der Entscheidung über unsere Zukunft. Dieter Stein
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