Stationen

Freitag, 9. September 2016

Die Scharte von Rostock

1. Akt: Das Flüchtlingsmädchen

Es begann damit, dass Angela M. vor einem Jahr den falschen Knopf drückte. Man kennt das von diesen aus dem Ruder gelaufenen Facebook-Partys: ein Jugendlicher will 20 Freunde zum Geburtstag einladen, doch dann stehen 2.000 Feierwillige vor seiner Tür, die nur die von den Eltern gerufene Polizei wieder zerstreuen kann.
Auch die Bundeskanzlerin rief die Polizei – um die Straßen für die heranströmenden Massen räumen zu lassen. Ihre Selfies mit den ungeladenen Gästen verbreiteten sich in der arabisch-muslimischen Welt rasend schnell und signalisierten: „Jetzt geht die Party erst richtig los!" Als Zweifel laut wurden, das eigene Haus könne dem Ansturm nicht gewachsen sein, forderte sie die Nachbarn auf, ebenfalls alle Türen zu öffnen und mitzufeiern.
Den Bruch des europäischen Dublin-Abkommens rechtfertigte sie mit humanitären Gründen. Nun herrschte im Sommer 2015 weltweit kein Mangel an Elend, Syrien war nur einer von vielen Katastrophen-Hotspots. Unter humanitären Gesichtspunkten hätte Deutschland ebenso gut eine halbe Million vertriebener Ostukrainer aufnehmen oder eine Luftbrücke in den gleichermaßen vom Bürgerkrieg verwüsteten Südsudan einrichten können. Aber die Aufmerksamkeit von Medien und NGO´s fokussierte sich vor allem auf Syrien und das Mittelmeer. Das war der entscheidende Faktor.

Erinnern wir uns an die schlechte Presse nach ihrer Begegnung mit dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem, wenige Wochen zuvor in Rostock: Angela M. hatte gesagt, Deutschland könne unmöglich alle Flüchtlinge aufnehmen. Darauf war Reem vor laufenden Kameras in Tränen ausgebrochen, und die Kanzlerin stand als herzlose Bürokratin da. Nun boten die Tagesschau-Bilder von den vor dem Budapester Hauptbahnhof lagernden Flüchtlingen eine gute Gelegenheit, die Scharte von Rostock auszuwetzen, sich nach bewährtem Rezept („Energiewende“) an die Spitze einer momentanen Empathiewelle zu setzen und die eigenen Umfragewerte zu verbessern.

2. Akt: Die Welle

Die Entscheidung, das Dublin-Verfahren für Syrer auszusetzen und alle in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aufzunehmen, wurde im gesamten Islambogen von Marokko bis Pakistan als großherzige Einladung aufgefasst und löste einen weltweiten Sog aus. Angela M. wurde zur „Mutter aller Gläubigen“ verklärt. Schlepper streuten Gerüchte, die ähnlich klangen wie die Forderungen glühender Zuwanderungsbefürworter hierzulande: die Deutschen bräuchten jede Menge kinderreicher Migranten und würden für deren Wohnraum und Lebensunterhalt aufkommen. Eine Welle von Hunderttausenden bewegte sich auf die deutschen Grenzen zu, täglich strömten bis zu 10.000 Menschen weitgehend unkontrolliert ins Land, auf den Bahnhöfen von Aktivisten mit Beifall und Stoffteddys empfangen, untergebracht in eilends zu Notunterkünften umfunktionierten Turnhallen.
Das Medienecho war euphorisch. Angela M. habe Mut bewiesen, Gefühle gezeigt, endlich ihr Lebensthema und damit sich selbst gefunden, wurde gejubelt, als gehe es um das Coming-out in einer Therapiegruppe und nicht um verantwortungsvolles Handeln für ein 82-Millionen-Land. Wunschdenken und Größenwahn verbanden sich zur „Willkommenspolitik“, das „freundliche Gesicht“ wurde Staatsräson und Deutschland humanitäre Weltmacht!

Redaktionen, die die Politik der Kanzlerin bis dahin kritisch begleitet hatten, fielen reihenweise um und machten sich das Motto der linksextremistischen „No border“-Bewegung zu eigen, deren Ziel es ist, alle Grenzen und Nationen in der westlichen Welt abzuschaffen: „Refugees welcome!"
 Eine solche – freiwillige – Gleichschaltung sämtlicher politischer und medialer Einflussträger hatte das Land seit über acht Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Alle etablierten Parteien zogen nach dem 4. September 2015 an einem Strang, und die großen Kirchen zogen mit, nicht ganz uneigennützig, denn überall wurden nun Träger für Heime und Integrationsmaßnahmen gesucht. Wem angesichts der über die Balkanroute in Richtung Deutschland strömenden Menschenmassen angst und bange wurde, der musste sich Kleinmütigkeit und Engherzigkeit vorwerfen lassen. Endlich war Deutschland ein richtiges Einwanderungsland – nur ohne das Recht der klassischen Einwanderungsländer, sich die für die eigene Gesellschaft nützlichen Einwanderer auch auswählen zu dürfen.

Als offenbar wurde, welch gigantische Welle sie losgetreten hatte, hätte die Bundeskanzlerin das Ruder mit einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede noch herumreißen können: „Wir leisten Nothilfe in einer einmaligen Situation für diejenigen, die wirklich vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet sind. Das wird teuer und schwierig, aber mit vereinten Kräften schaffen wir es. Alle, die aus anderen Ländern und Motiven auf diesen Zug aufspringen, werden wir zurückschicken. Das deutsche Asylrecht darf nicht zum Einfallstor für ungeregelte Zuwanderung aus der ganzen Welt werden!" Mit solch klarer Kante hätte sie zwar ihren Heiligenschein verloren, doch die breite Unterstützung der Bevölkerung gewonnen. Sie entschied sich für den Heiligenschein, die Pose der Weltenretterin. Und flugs hingen alle in ihrem Schlepptau, die schönen Ideologien stets den Vorrang geben vor der schnöden Wirklichkeit. „Wir bekommen Menschen geschenkt!", frohlockte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt. „Deutschland wird sich drastisch verändern, und ich freue mich darauf!"

3.Akt: Das Chamäleon

Das Chamäleon ändert seine Farbe, je nachdem, welches Wort gesagt wird. Bei dem Wort „geflüchtete Menschen“ schillert es in bunten Regenbogenfarben, ruft jemand „Obergrenze!" zeigt es ein hässliches Braun. Man würde es gern näher untersuchen, doch durch seine Glitschigkeit entwindet es sich jedem Einfangeversuch.

Das Chamäleon ist der wichtigste Verbündete der Kanzlerin. Erst forderte es Mitmenschlichkeit gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen.
Als herauskam, dass viele der vermeintlichen Syrer ganz woanders her stammen, in ihrer Heimat weder verfolgt noch bedroht sind, sondern vom deutschen Sozialsystem angezogen werden, wechselte es flink die Argumentationsebene und versprach, die Neuankömmlinge würden in Deutschland den Fachkräftemangel beseitigen und das Rentenproblem lösen.
Als warnende Stimmen auf den hohen Anteil an Analphabeten hinwiesen und prophezeiten, die Mehrheit der Zuwanderer würde über Generationen auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein, plusterte sich das Chamäleon bedrohlich auf und verspritzte moralisches Gift: Kein Mensch sei illegal, jeder habe das Recht, sich im Land seiner Wahl niederzulassen, im Übrigen seien „unser“ Kolonialismus, Waffenhandel und Ausbeutung an den Problemen schuld, vor denen die Menschen jetzt fliehen müssten.
Es empörte sich auch über vorsichtig geäußerte Zweifel, unter die Migranten auf der Balkanroute könnten sich Terroristen gemischt haben, vom IS beauftragt, Anschläge in Europa zu verüben. Mit dieser ungeheuerlichen Verdächtigung würden Flüchtlinge „unter Generalverdacht“ gestellt.
Als herauskam, dass einige der Attentäter von Paris über die Balkanroute nach Westeuropa gelangt waren, als gar im Juli 2016 zwei Flüchtlinge erstmals Anschläge in Deutschland verübten, wies das Chamäleon darauf hin, dass die Gefahr, durch Autounfälle zu sterben, viel höher sei, als bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen.

Das Chamäleon hat ein großes Maul und kleine Ohren. Auch zum Jahrestag der Grenzöffnung trompetet es unverdrossen: „Alle unsere Entscheidungen waren richtig, jederzeit würden wir wieder genauso handeln!" Dabei ärgert es sich über lästige Insekten, die herumschwirren und hetzerische Fragen stellen: „Warum haben fast alle Flüchtlinge ihre Pässe verloren, aber ihre Handys behalten?" Blitzschnell lässt das Chamäleon seine lange Zunge ausfahren: Schlapps, hat es den Brummer erwischt! Da kommt schon der nächste: „Werden die Flüchtlinge nach Ende des Bürgerkrieges nicht dringend in ihrer Heimat für den Wiederaufbau gebraucht?" Schlapps! Unerträglich, die Fliegen, es werden immer mehr: „Sind alle anderen europäischen Länder, die ihre Grenzen verstärken, auf dem Holzweg, nur die Deutschen haben recht?" Schlapps, Schlapps, Schlapps!

4.Akt: „Nun sind sie halt da“

„Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin“, soll der Bundeskanzlerin in einer Kabinettssitzung herausgerutscht sein. „Nun sind sie halt da.“ So ein flapsiger Nach-mir-die-Sintflut-Spruch passt nicht zum Bild der menschenfreundlichen Weltenretterin. Aber dass „sie“ da sind, ist in der Tat unübersehbar. Auch in Klein-Posemuckel und Hintertupfingen trotten jetzt schwarz verhüllte Frauengestalten mit reicher Kinderschar hinter ihrem Pascha her. Auf jeder Dorfkirmes, jedem Kiezfest, Open-Air-Konzert, an jedem Badesee Gruppen junger Männer aus Afghanistan, Pakistan, Somalia oder Marokko, im Bauch den Erlebnishunger gleichaltriger Westeuropäer, im Kopf den lebensfeindlich-rigiden Verhaltenskodex ihrer Religion. Was privaten Wachdiensten, Herstellern von Pfefferspray und anderen Branchen einen ungeahnten Aufschwung beschert.
Überhaupt wird seit Öffnung der Grenzen in Deutschland wieder heiß über die Rolle der Religion in unserer Gesellschaft diskutiert. Wobei „Religion“ in 99,9 Prozent der Fälle „Islam“ bedeutet. Durch seine normative Kraft des Faktischen ist der Islam auf allen Kanälen dauerpräsent: die Terroranschläge, die angeblich nichts mit ihm zu tun haben, der „sogenannte Islamische Staat“, Vollverschleierung, Burkini, Kinderehen, Gebetsräume in Schulen und Universitäten, Geschlechtertrennung, Schweinefleisch, Ramadan etc.pp.
„Der Islam gehört zu Deutschland“ hatte einst Bundespräsident Wulff verkündet. Momentan gewinnt man den Eindruck, Deutschland sei dem Islam mit Haut und Haaren verfallen.

Eine vorgebliche „Friedensreligion“, von Tabus und Kritikverboten umstellt, heuchlerisch umworben von Parteien, Medien und Kirchen, denen die Angst vor dem dieser Religion innewohnenden Gewaltpotential aus allen Poren quillt – das weckt Befremden und Abneigung in weiten Teilen der alteingesessenen Bevölkerung, die ihre gewohnten Freiheiten schätzt.
 Vielleicht wird ja der nächste Bundespräsident die längst überfällige Ansage machen: „Der Islam gehört in demselben Maße zu Deutschland wie die Kritik an ihm. Beides ist in unserem Land untrennbar miteinander verbunden.“

5.Akt: Der Teilchenbeschleuniger

Angela M. hat den Teilchenbeschleuniger eingeschaltet und dabei den falschen Knopf gedrückt. Entfesselte Zentrifugalkräfte setzen die träge Masse in Bewegung und drücken sie an die Ränder, wo es nur noch schwarz und weiß, gut und böse, edle Flüchtlingshelfer und rassistische Hetzer gibt. Dafür sind in der Mitte schwarze Löcher entstanden, die sich stetig vergrößern: Unsicherheit, Ängste und Misstrauen.
Vielleicht hat es die Kanzlerin nur gut gemeint. Wollte Deutschland und Europa einen Modernisierungs- und Globalisierungsschub verpassen, der ihr eigenes Land auf einen Schlag nachholen lässt, wozu multikulturelle Staaten wie Frankreich und Großbritannien viele Jahrzehnte gebraucht haben. Eines hat sie unbestritten geschafft: das Land in Bewegung zu bringen.

Im Sog der von ihr unwiderruflich in Gang gesetzten Dynamik rutschen alte Gewissheiten weg, formen sich neue Ideen und Kräfte. Wer die eigene Politik für „alternativlos“ erklärt, darf sich nicht beklagen, dass andere doch „Alternativen“ formulieren. Egal wie man zu der Partei gleichen Namens und ihren Vertretern stehen mag: ihr Aufstreben ist ein Zeichen dafür, dass die Demokratie noch funktioniert. Dies – wider Willen – aufgezeigt zu haben, ist auch ein Verdienst von Angela M.  Oliver Zimski

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