Dienstag, 13. September 2016
Wehret den Anfängen
Als sich vor ein paar Jahren in Dresden eine Vereinigung mit dem Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ gründete, fand ich das gar nicht so lächerlich. Viele halten Islamisierung ja für einen Mythos und verweisen auf den geringen Anteil an Muslimen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, weshalb der Name PEGIDA an sich schon ein großer Witz sei. Das ist interessant, denn diejenigen, die sich mit Jan Böhmermann und der heute-show über den Vorwurf der Islamisierung lustig machen, bekommen bei jedem völkischen Idioten Schnappatmung und beheulen den Untergang unserer bunten Gesellschaft. Dass sich allein die Zahl der Salafisten zwischen 2011 und 2015 von 3.800 auf 7.500 nahezu verdoppelt hat, scheint für diese Menschen hingegen kein Problem zu sein und schon gar kein Zeichen von Islamisierung. Dabei lässt sich ein Wertewandel weg vom Säkularen und hin zum Einfluss archaisch-religiöser Traditionen noch an allerlei anderen Dingen ablesen als an seinen radikalsten Verästelungen. Man muss nur richtig hinschauen.
Nachdem im Zuge der Burkadebatte bereits jedes Für und Wider ausgetauscht wurde, ohne dass man zu einem Konsens gekommen wäre, dachte man sich bei der ARD: Fragen wir doch einmal jemanden, der sich wirklich damit auskennt. Man bat Sheikh Khaled Omran zum Interview. Als Generalsekretär des Fatwa-Rates der Al-Azhar-Universität in Kairo zählt er zu den weltweit wichtigsten sunnitischen Gelehrten. Sein Wort wiegt schwer. Im ARD-Interview erklärt er dem Journalisten, dass der Gesichtsschleier religiös nicht gerechtfertig sei, sondern lediglich eine Tradition darstelle. Auch sei Bekleidung generell weitgehend Privatsache, was aber nur bis zu einem bestimmten Grad gelte. So seien Frauen angehalten, das Haar und den Körper zu bedecken; zudem dürfen sie keine körperbetonte Kleidung tragen. Dies zu hören, freute einige so sehr, dass die Nachricht schnell in allerlei Medien die Runde machte, von Die Welt bis hin zu Seiten wie dem staatlich geförderten Portal Qantara oder dem Migazin. Daniel Bax soll gar eine Runde Fair-Trade-Limonade aus dem Gazastreifen spendiert haben, so sehr freute man sich über die Schützenhilfe im Kampf gegen den islamophoben Mob. Endlich hatte man ein offziell abgesegnetes Statement, das die Toleranz und Vielfalt des monotheistischen Glaubens bezeugt – und das auch noch von der großen Al-Azhar-Universität!
Gemeinhin verändern sich Werte nicht über Nacht. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir zu der Erkenntnis gelangten, dass Frauen durchaus ein funktionsfähiges Gehirn haben, das es ihnen erlaubt, sich bei einer Wahl für die eine oder andere Partei zu entscheiden. Von da an war es ein langer Weg bis zur ersten Bundeskanzlerin, wozu mein Vater noch sagte, das sei ja eine Unverschämtheit. Bevor sich aber wirklich etwas ändert, gibt es kleine Hinweise. Diese Zeichen zu deuten, ist nicht schwer. Man muss nur einen Schritt zurücktreten und sich fragen, warum ausgerechnet dieses Thema Politik und Menschen bewegt oder warum das eine oder andere Thema allmählich aus dem Fokus gerät und Normalität wird. Raucher kennen das: Früher gab es extra Raucherabteile in den Zügen, dann wurde heftig um immer weitere Rauchverbote gestritten. Heute gelten Raucher generell als dumm, undiszipliniert und egoistisch, weil sie Müll produzieren, ihre Umwelt belästigen und obendrein die bösen Tabakkonzerne finanzieren. So schnell ändern sich die Dinge.
Um abzuschätzen, wie sehr wir uns von der Normalität des Säkularen verabschiedet haben, reicht ein einfacher Test. Jeder kann ihn zu Hause machen: Man nehme fünf große Medien und beobachte über einen Zeitraum von einem Monat die Anzahl der Beiträge, die mit dem Islam zu tun haben. Dann stelle man sich die Frage: Was habe ich mit dem Schund eigentlich zu tun, ich bin doch Atheist! Genau.
Das ist sie, die Entsäkularisierung der gesellschaftlichen Debatte im Namen der Toleranz gegenüber dem Islam. Man könnte auch sagen: Das ist sie, die Islamisierung, von der alle immer reden.
Offenbar ist die Landnahme des Religiösen in den säkularen westlichen Gesellschaften inzwischen so weit fortgeschritten, dass man es bei den staatlich finanzierten Medien für nötig hält, einen ägyptischen Geistlichen zu innenpolitischen Debatten zu befragen. Sonst beschäftigt sich der Fatwa-Rat übrigens mit so weltbewegenden Dingen wie der Erlaubnis von Oralsex in der islamischen Ehe oder der Rechtmäßigkeit des Fastenbrechens durch Profifußballer – alles natürlich aus religiöser Sicht, also weitgehend nicht vernunftbasiert.
Ich frage mich derweil, ob der Papst jemals Kleidungsempfehlungen an Deutschland richtete, etwa weil ihm weiße Tennissocken nicht gefielen? Die meisten Medien hätten dies sicher für einen gefundenen Lacher genommen, nicht aber für einen seriösen Vorschlag in einer gesellschaftlichen Debatte in einem säkularen Land.
Wenn es aber um den Islam geht, dann kommt man nicht umher, die ehrwürdige Al-Azhar-Universität zu befragen. Schließlich handelt es sich um ein bedeutendes Thema, das die islamophile Polit- und Medienelite mit purer Vernunft offenbar nicht allein zu klären imstande ist. In Kairo krümmen sich die Fundamentalisten derweil vor Lachen und freuen sich über unseren naiven Kulturrelativismus. Dort hält man das westliche Wertesystem mit seinen Individualfreiheiten ja ohnehin für verweichlicht – vielleicht haben sie damit sogar recht.
Das erinnert mich übrigens an eine weitere Sache, die mein Vater einmal sagte, als sich die nordafrikanischen Jungs vor unserem Haus mal wieder gegenseitig bekriegten: Die deutsche Polizei ist zu nett. Diese Jungs haben keinen Respekt, wenn man nett ist. Deutschland muss strenger sein.
Karim Dabbouz, Jahrgang 1987, lebt im Ruhrgebiet
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Karim Dabbouz neuem Blog
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