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Dienstag, 20. September 2016

Wir brauchen keine Kinder und schon gar keine Migranten


„Wenn die Gesellschaft keine Kinder hervorbringt, dann hat das einen gesellschaftlichen Sinn. Die Gesellschaft braucht die Kinder nicht, die nicht geboren werden." Das ist nüchtern formuliert, aber nicht so brachial gemeint, wie es klingen mag. Während in biologischen Systemen Wachstum per se zählt, verhält es sich bei Gesellschaften anders. Hier zählt das Vermögen, möglichst effektiv auf neue Probleme zu reagieren.

Eine entscheidende Realität ist der Erfolg des westlichen, von Aufklärung, Wissenschaft und Technik geprägten Lebensmodells: Es geht den Menschen besser, und sie werden deutlich älter als früher. Karl Otto Hondrichs Vater, der mit der Wartung von Maschinen zu tun hatte, begann mit 14 Jahren seine Lehre, mit 65 ging er in Rente, im Alter von 74 Jahren starb er. Er arbeitete 50 Jahre, Kindheit, Jugend und Ruhestand machten zusammen 25 Jahre - also halb so viel wie das Arbeitsleben - aus. Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt: Nach langer Ausbildung und verlängerter Adoleszenz folgen vielleicht 30 Berufsjahre, an die sich, auch nach der Rente mit 67, deutlich mehr als zehn Jahre des Ruhestands anschließen. Die Nichtarbeitszeit ist etwa doppelt so lang wie die Arbeitszeit.

Es ist also nicht so, wie die Propheten der demografischen Katastrophe sagen, dass immer weniger Junge immer mehr Alte ernähren müssen. Vielmehr muss die mittlere Generation für die Jungen, für die Alten und für sich selbst aufkommen. Auf diese gestiegene Belastung reagiert die Gesellschaft einerseits mit dem Vorhaben, die Altersgrenze nach oben zu verschieben - vor allem aber mit, wenn man so will, der Reduktion der Zahl derer, die durchgebracht werden müssen. Da sie das - aus ethischen Gründen übrigens, die eherne Kraft haben - nicht bei den Alten tun kann, tut sie es am anderen Ende, bei den Jungen: Es kommen weniger von ihnen auf die Welt. Selbsterhaltung trotz und durch Verkleinerung.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat uns mit seinen Barbareien gelehrt, kein Vertrauen in Menschen und Gesellschaften zu haben. Diese Ansicht dürfte Hondrich, was die Menschen angeht, geteilt haben. Was Gesellschaften angeht, ist er jedoch entschieden anderer Meinung. Er sieht sie als Systeme, die sich selbst steuern (und an denen auch deswegen die Wendeaufrufe von Bußpredigern jedweder Couleur einfach abprallen). Gesellschaften haben ihre Eigenkräfte, ihren Eigensinn, ihren Eigenweg. Das darf man, macht er deutlich, nicht moralisch betrachten. Wie alle Systeme wollen Gesellschaften sich erhalten, und sie tun das auf dem Weg der Anpassung. Dass es heute weniger Kinder gibt, ist für einzelne schmerzhaft - für die Gesellschaft ist es vernünftig. Die demografischen Warner sagen, viele Kinder bedeuteten viel Zukunft, gerade auch für die Sozialsysteme: Viele Kinder, erwachsen geworden, zahlen viel ein. Falsch, ruft Hondrich: Viele wirkliche Kinder sind im Zeitalter langer Kindheit, Adoleszenz und Ausbildung eher ein Feind der Sozialsysteme. Denn sie zahlen ziemlich lange nicht ein, sondern erheischen Auszahlungen.
Man wird Hondrich, der Soziologie im ursprünglichen Sinn als Neugierwissenschaft betrieben hat, vorwerfen, dass er zu kalt auf das Drama des gesellschaftlichen Wandels blickt, dass er die Selbstanpassung des Großenganzen im Auge hat und darüber die Tragödien der einzelnen vergisst. Doch das stimmt nicht. Denn die eigentliche Pointe seines Buches besteht darin, dass es im Kern ein Loblied auf etwas Unplanbares ist: auf die Liebe. Nicht geborene Kinder, geschiedene Ehen, Zick-Zack-Biografien: Das ist nicht die Geschichte eines unaufhaltsam anschwellenden Egoismus, einer Gleichgültigkeit gegenüber der Gesellschaft. Es ist vielmehr die Geschichte einer unaufhaltsamen Suche vieler einzelner nach Glück und Verlässlichkeit in einer schwankenden Welt. In einer Welt aber auch, die - nicht nur materiell - unendlich viel reicher ist als die unserer Vorfahren, die wir zu Unrecht ob der Überschaubarkeit ihrer Lebensumstände beneiden.   WeLT

Karl Otto Hondrich: Weniger sind mehr.
Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist.

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