Stationen

Mittwoch, 21. September 2016

Zeitgeschichte l i v e

Ein paar tausend unerwartete Gäste sind zur Facebookparty der kleinen Angela gekommen. „Freibier für alle, die keins haben“ war ja das Motto der Party. Die Gäste hängen im Garten rum, hören laute Musik und trinken die Vorräte aus. Die meisten sind ganz nett, doch ein Bierchen brauchen sie auch. Einige sind schon ziemlich blau und benehmen sich daneben.
Die Eltern sind entsetzt. Trotzig stampft das Mädchen mit dem Fuß auf: Uups, es hat eben nicht so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber ich hab’s doch gut gemeint. Und deshalb war’s auch richtig, was ich gemacht habe.
Die Deutsche Kanzlerin sagt viel, wenn der Tag lang ist. Hier eine kleine Auswahl: Wenn eine Ursache für die Wut sei, dass manch einem "Richtung, Ziel und Grundüberzeugungen" nicht ausreichend klargeworden seien, "so möchte ich mich gerne darum bemühen"… "Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele Jahre zurückspulen, um mich besser vorbereiten zu können auf die Situation, die uns dann im Spätsommer 2015 eher unvorbereitet trafIst mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da“. Ich will es auch nicht wieder machen. Und ich will auch nicht wieder "Wir schaffen das" sagen. Jetzt aber, liebe Deutsche, müsst ihr aber erst mal über Euch selbst hinauswachsen und Euch ordentlich anstrengen, damit die Party weitergehen kann. Weil es eben prinzipiell richtig ist, Party zu machen und alle Menschen dazu einzuladen“.

Ein Kurswechsel sieht anders aus. Mit dem „Wir haben verstanden-Geschwurbel“ redet sich die Kanzlerin um Kopf und Kragen, weil inzwischen ein großer Teil der Wähler verstanden hat. Ich dachte immer, dass eines schönen Tages linke Medienzaren wie Jakob Augstein die Kanzlerin links liegen lassen.
Nun ist es genau umgekehrt gekommen: mit ihrem „auch weil wir in den vergangenen Jahren weiß Gott nicht alles richtiggemacht haben“, hat sie ein verbales Wendchen eingeläutet. Deutschland sei nicht gerade Weltmeister bei der Integration gewesen. Zudem habe man zu lange gewartet, bis man sich der Flüchtlingsfrage wirklich gestellt habe. "Wir müssen uns also jetzt gleichsam selbst übertreffen. Auch ich“.
Hatten nicht die Medien jeden, aber auch jeden Schritt der Kanzlerin als richtig und alternativlos gepriesen und damit viele Leser verprellt? Jetzt stehen sie im Regen und die Kanzlerin hat mit ihrem „Uups“ die medialen Lobhudeleien als Propaganda entlarvt.

Der CDU-Generalsekretär Herr Tauber mochte einst die zur AfD gewechselten CDU-Mitglieder "nicht geschenkt haben" – mehr Arroganz ging kaum. Doch diese Arroganz dem Wähler gegenüber sitzt bei der Regierung tief.

Angela Merkel meint, dass diejenigen, die "immer nur, und das auch noch ausdauernd, MERKEL WEG schreien, in „post-faktischen Zeiten“ leben und sich nicht mehr für Fakten interessieren, sie folgen allein den Gefühlen. Und das Gefühl einiger geht so – ich triebe unser Land in die Überfremdung, Deutschland sei bald nicht mehr wiederzuerkennen. Und nun wäre es unlogisch, dies mit Fakten zu kontern, auch wenn ich – dafür kennen Sie mich ausreichend - sofort in der Lage wäre, das herunterbeten zu können.  Ich will dem also meinerseits mit einem Gefühl begegnen: ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir, aus dieser zugegeben komplizierten Phase, besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind. Deutschland wird sich verändern, so wie wir uns alle verändern, wenn wir nicht gerade aus Stein sind. Es wird sich aber in seinen Grundfesten nicht erschüttern lassen".
Diese Merkel-Rede sollte in die Geschichte eingehen. Eine demagogische Ansprache, an deren Inhalt nichts, aber auch gar nichts, stimmt.

Sie ist routiniert vorgetragen, aber in der Körpersprache nicht mal stimmig. Auf der einen Seite gibt sie angeblich Fehler zu, auf der anderen Seite behauptet sie, dass ihr richtiger Kurs nur nicht gut genug kommuniziert wurde. Sind jetzt der Seibert und die Chebli an den Wahldebakeln schuld? Und die Rede endet mit Durchhalteparolen: die Deutschen müssen jetzt über sich selbst hinauswachsen, dann wird alles noch besser, als es ohnehin schon ist.
Merkels Rede erinnert mich an die Kommunikation von Opel im Jahre 1994: "Wir haben verstanden.“ Es klang, als hätten sie gar nichts verstanden und sollte wohl heißen: Ihr findet unsere Autos scheiße? Na gut, dann bauen wir halt andere. Ein paar Korrekturen an dem desaströsen Opel-Image sollte die Kunden wieder zur Marke locken. Aber es hat nichts geholfen. Die Kunden hatten verstanden und warteten, bis Opel wirklich anfing, andere Autos zu bauen.

Und heute fängt das Volk an wieder zu verstehen, weil das Volk eben nicht aus Stein ist und sehr wohl Fakten kapiert. Es erfährt, im Gegensatz zu den Politikern, die vom wahren Leben entkoppelt in gepanzerten Limousinen umherfahren, die faktischen Veränderungen Deutschlands alltäglich am eigenen Leibe und ahnt dunkel, dass das absolut sichere Gefühl unsere Kanzlerin wieder einmal trügt. Was weiß Frau Merkel über die Erschütterung einer vergewaltigten Frau? Was weiß sie über die Erschütterung nach einem Einbruch in die eigene Wohnung? Was weiß sie über Terrorangst? Die Leute haben verstanden, dass die Flüchtlingskrise für Deutschland zwar kompliziert, aber keine „Phase“ ist. Und das eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur erodiert, erschüttert das Leben vieler Menschen in den Grundfesten.  Manfred Haferburg

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