Die
Tagung des europäischen Adels in Bratislava hatte ohne Zweifel auch
ihre positiven Seiten. Die Donauschiffahrt, das Beste, was die
slowakische Gastronomie anzubieten hat und für kurze Zeit Ruhe von
innenpolitischen Skandalen, in welche die slowakische Regierung
verwickelt ist.
Außerdem haben sich die Eliten auf dem Bratislava-Gipfel geeinigt,
daß sie sich spätestens bis zum nächsten Frühjahr einigen wollen. Dann
ist nämlich der 60. Jahrestag der Römischen Verträge, und es wäre
wirklich eine große Schande, wenn es auch dort zu keiner Einigung käme.
Meine Prognose ist: Es wird zu keiner Einigung in wesentlichen Dingen
kommen und zwar deswegen, weil sich die EU in diesen drei wesentlichen
Konflikten befindet:
Der Norden will, daß alle EU-Länder verantwortlich wirtschaften, also
ohne Schulden. Auf der anderen Seite sagt der Süden, Investitionen
seien notwendig, um die Schulden loszuwerden. Das kann natürlich nicht
funktionieren, denn dann würde ja auch das Junckersche
Wunderinvestitionspaket für 315 Milliarden Euro in Kombination mit der
Nullzinspolitik der EZB funktionieren.
Das Problem ist die gemeinsame Währung Euro, die zu stark für die
Südländer ist. Die Nordländer, nicht nur Deutschland, werden sich immer
mehr gegen die Vergemeinschaftung der Schulden wehren, die Südländer
werden immer intensiver gerade diese verlangen. Das wird zum Wachstum
extremer politischer Kräfte auf beiden Seiten führen.
Der Westen – genauer Deutschland, Schweden und Italien – will, daß im
Rahmen der Solidarität, die Migranten auf alle Länder verteilt werden.
Der Osten weigert sich, weil er nicht die gleichen Probleme mit
Migranten haben will, die der Westen bereits hat. Die ganze Situation
wird von Angela Merkel kompliziert, die immer noch behauptet, es könne
keine Obergrenze für Asylanten geben.
Der Osten ist halt noch nicht genug von der Willkommenskultur
verblödet. In der Slowakei zum Beispiel sind alle Parteien unisono
gegen die Quoten, Kontingente oder andere Formen der Verteilung von
Flüchtlingen, die Frau Merkel eingeladen hat.
Es geht um einen grundsätzlichen Streit um Kompetenzen, der darin
besteht, daß Juncker mehr Europa haben, also immer mehr Kompetenzen nach
Brüssel holen will. Die Mitgliedstaaten wollen eben das nicht. Solange
José Manuel Barroso noch der Präsident war, war dieser Konflikt nicht so
sichtbar.
Aber Juncker denkt, im Unterschied zu Barroso, er sei ein politischer
Präsident der Kommission und betreibt deshalb aktiv Politik. So kommt
Juncker dem Rat (in dem die Ministerpräsidenten und Präsidenten
vereinigt sind) ins Gehege. Juncker legte so beispielsweise auf dem
Bratislava-Gipfel sein eigenes Positionspapier vor.
Dieses unterschied sich recht deutlich vom fünfseitigen
Einladungsschreiben des Ratspräsidenten Donald Tusk. Wer sich jetzt
fragt, warum ein Land die Ratspräsidentschaft innehat (zur Zeit die
Slowakei), wenn es gleichzeitig einen Ratspräsidenten gibt, dem sei
geantwortet: So ist die EU einfach.
Und so kommt es, daß in der EU Dinge geschehen, die ein schlechtes
Licht auf das Bündnis werfen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn
will Ungarn aus der EU rauswerfen, weil es das Schengener Abkommen
einhält und die Grenze sichert. Der ungarische Ministerpräsident Viktor
Orbán äußert seine Unzufriedenheit, weil die EU den Migranten immer noch
nicht klar „Stopp!“ zuruft (obwohl sie mittlerweile genau solche
Schritte unternimmt).
Auf der anderen Seite kritisiert Österreichs Kanzler Christian Kern
Orbán, weil dieser keine Migranten aufnehmen will. Italiens
Ministerpräsident Matteo Renzi ist unzufrieden, weil er nicht noch mehr
Schulden machen darf, und blieb deswegen der gemeinsamen Pressekonferenz
mit Frau Merkel und Herrn Hollande fern. Und Juncker appelliert an die
Zusammenarbeit, wobei er unter Zusammenarbeit lediglich die
Verwirklichung seiner eigener Vorstellungen versteht – also noch mehr
Investitionen und noch mehr Kompetenzen für Brüssel.
Es wird also so schnell keine Einigung geben. Die Lösung liegt
deshalb anderswo: Die Mitgliedstaaten der EU sollten sich nicht um neue
Vereinbarungen und Regeln bemühen, sondern einfach die existierenden
einhalten. Konkret: den Schengen-Vertrag, das Dublin-Abkommen, das
Prinzip der Subsidiarität, den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die
Europäische Verfassung (zum Beispiel Artikel 125, nach dem jedes Land
für seine Schulden selbst haftet, oder Artikel 136, der der EZB
verbietet, Staatsschulden zu finanzieren). Die EU würde sofort besser
funktionieren. Um eigene Vereinbarungen einzuhalten, fehlt den
europäischen Eliten aber der Mut und deswegen taumelt die EU von einer
Krise zur anderern.
Der einzige Erfolg des jüngsten EU-Gipfels ist der geplante bessere
Schutz der bulgarisch-türkischen Grenze. Eine Entscheidung, die
allerdings längst überfällig war. Ansonsten wurden in die Erklärung von
Bratislava lediglich „Perlen“ aufgenommen, wie zum Beispiel diese: „Wir
sind in Bratislava bereit, den Bürgern in den nächsten Monaten die
Vision einer attraktiven EU zu bieten, der sie vertrauen und die sie
unterstützen können.“ Interessant! War die EU-Elite dazu etwa bislang
nicht bereit?
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Richard Sulík: war slowakischer Parlamentspräsident und ist heute Europaabgeordneter und Vorsitzender der Partei Sloboda a Solidarita.
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