7 Wochen später
14. Juli 2016
7. Mai 2015: Bundesinnenminister
Thomas de Maizière erklärt in Berlin, 450.000 Flüchtlinge würden dieses
Jahr in Deutschland erwartet. Anfang des Jahres war noch von 200.000 die Rede gewesen, nachdem Merkel in ihrer Weihnachtsansprache die Montagsdemonstrationen in Dresden geschmäht hatte, bei denen PEGIDA bereits 1000.000 für 2015 prognostiziert hatte!!
19. August 2015: Das
Innenministerium korrigiert die Zahl steil nach oben: 800.000. Zwischen
Mai und August liegen: eine dramatisch zugespitzte Lage in Syrien, im
Nordirak, in Afghanistan, Hunderte toter Bootsflüchtlinge, ein
Griechenland, das vollauf mit sich selbst beschäftigt ist, eine Türkei
im Wahlkampf. Beide Länder winken die Flüchtlinge im großen Stil durch.
Aber wieso war PEGIDA sich schon im Januar sicher, dass 1000.000 kommen würden?
Knapp eine Woche
später: Auf einem Treffen des Innenministeriums, der Bundesländer und
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellt jemand die
Frage: "Was machen wir mit den Leuten, die kommen, sollen wir sie nach
Ungarn zurückschicken?" Man einigt sich darauf: Nein, das können wir
nicht machen.
25. August, 4.30 Uhr:
Das BAMF bestätigt über Twitter: "#Dublin-Verfahren syrischer
Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns
weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt." Der Tweet geht
tausendfach um die Welt. Weder Angela Merkel noch ihr
Kanzleramtsminister Peter Altmaier wissen davon.
25. August, zur
Mittagszeit in Duisburg-Marxloh: Die Flüchtlinge würden als "Invasion"
wahrgenommen, erklären Bürger der Kanzlerin auf einer Veranstaltung zum
"guten Leben".
26. August 2015: Im sächsischen Heidenau wird Merkel von einem enthemmten Mob als "Volksverräterin" und "Hure" beschimpft.
31. August, Berlin: Merkel hält ihre Sommer-Pressekonferenz ab.
Österreich und Ungarn haben Züge eingesetzt, um den Zustrom an
Flüchtlingen nach Deutschland weiterzuleiten. "Wir leben in geordneten,
sehr geordneten Verhältnissen", sagt die Kanzlerin, "die meisten von uns
kennen das Gefühl völliger Erschöpfung, verbunden mit Angst nicht." Den
Ausschreitungen werde der Staat mit aller Härte entgegentreten. Sie
fügt hinzu: "Keine biografische Erfahrung rechtfertigt ein solches
Verhalten." Die Journalisten stellen Fragen. Die Regierung wiederum
fragt sich: Was machen wir mit den Zügen? Das Kanzleramt entscheidet,
die Bedenken des Innenministeriums hinten anzustellen und die Züge nicht
zurückzuweisen. Denn wie hätte das Abweisen der Flüchtlinge aus Ungarn
konkret geschehen sollen?
1. September: Auf
einem Budapester Bahnhof skandieren Syrer, Albaner und Iraker
"Deutschland, Deutschland" und "Merkel, Merkel"; die Kanzlerin sieht es
im Fernsehen, es berührt sie.
3. September 2015:
Ungarn stoppt die Züge. Die Flüchtlinge machen sich zu Fuß auf den Weg.
Sie laufen über Autobahnen, Bahngleise, Wiesen. Sie laufen nach
Deutschland, zu Merkel.
4. September 2015:
Die Bundesregierung rechnet damit, dass an diesem Wochenende der
Höhepunkt des Flüchtlingsstroms erreicht wird. Dass man die Flüchtlinge
nicht mehr aufhalten kann. Merkel ahnt, dass nun schlimme Bilder drohen.
Bilder von überfahrenen Flüchtlingen, Bilder von Polizisten, die gegen
verzweifelte Menschen vorgehen, womöglich Bilder von ungarischen
Soldaten. Bilder, "mit denen Europa sich nicht hätte sehen lassen
können", sagt ein Kabinettsmitglied.
5. September: Merkel
telefoniert mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und dem
österreichischen Kanzler Werner Faymann. Die Lage sei nicht mehr unter
Kontrolle, sagt Orbán. Merkel und Faymann beschließen, eine Ausreise der
Flüchtlinge zuzulassen. Der deutsche Vizekanzler wird in die
Entscheidung eingebunden, doch hat das Telefongespräch mehr "den
Charakter einer Unterrichtung". Die Kanzlerin ist in Fahrt. Am späten
Abend lässt Merkel den stellvertretenden Regierungssprecher Streiter
erklären, Deutschland werde die Flüchtlinge nicht abweisen. "Wir haben
jetzt eine akute Notlage bereinigt", sagt Streiter. Keine große Rede an
die Nation, keine Inszenierung markiert diese Entscheidung, die
womöglich die wichtigste ihrer Amtszeit sein könnte. Pragmatismus mit
historischen Folgen.
Noch im Juli hatte
Merkel dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem gesagt: "Wir können
nicht alle aufnehmen." Was ist seitdem in Merkel gefahren? ZEIT
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