Ein Rechtsgutachten könnte dem Protest bundesweiter
Elterninitiativen, die sich gegen die „Sexualpädagogik der Vielfalt“
wehren und diversen schwul-lesbischen Lobbygruppen Indoktrination
vorwerfen, künftig neuen Auftrieb geben. Seit 2014 währt in
Schleswig-Holstein ein Streit über den „Methodenschatz für Grundschulen
zu Lebens- und Liebesweisen“.
Eine erste Fassung, die die schleswig-holsteinische Sozialministerin
Kristin Alheit (SPD) beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland,
Schleswig-Holstein (LSVD-SH) in Auftrag gegeben hatte, wurde
zurückgezogen. Eine Überarbeitung, die auch für Kitas geeignet sein
sollte, wurde abermals vom Bildungsministerium gestoppt.
Doch der grundlegende Aktionsplan der Regierung, der unter dem Motto
„Echte Vielfalt“ das Leben und Lieben vielfältiger sexueller Identitäten
auch Grundschülern näherbringen wollte, war davon nicht betroffen. Dies
könnte sich nun ändern.
Am Montag hat der Verein „Echte Toleranz e.V.“ aus Aumühle ein
Gutachten des Hamburger Verfassungsrechtlers Christian Winterhoff
veröffentlicht. Demnach seien der ursprüngliche Methodenschatz und auch
dessen finale, inzwischen mehrfach bearbeitete Version
verfassungswidrig, da sie gegen das Verbot staatlicher Indoktrinierung
verstoßen.
Die Auffassung, daß homosexuelle und heterosexuelle Verhaltensweisen
gleichwertige Ausprägungen menschlicher Sexualität seien, dürfe an
staatlichen Schulen zwar vorgestellt werden, jedoch nicht als einzig
wahre und richtige Sicht der Dinge. Im Sinne des Neutralitätsgebots
müßten auch gegenteilige Auffassungen als vertretbar dargestellt werden.
„Der Staat muß im Rahmen schulischer Sexualerziehung für die
verschiedenen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein und jeden
Versuch einer Indoktrinierung unterlassen“, beruft sich Winterhoff auf
die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur
Sexualerziehung aus dem Jahr 1977.
„Unterrichtsmaterial an staatlichen Schulen darf nicht darauf
ausgerichtet sein, Schüler zu veranlassen, ein bestimmtes
Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen“, mahnte der
Verfassungsrechtler.
Der Methodenschatz stelle jedoch Hetero-, Homo-,
Bi- und Transsexualität als gleichwertig dar und habe das didaktische
Ziel, daß diese Auffassung vom Schüler „nicht nur zu tolerieren, sondern
auch zu akzeptieren, also gutzuheißen und zu übernehmen“ sei. Die
staatliche Sexualerziehung dürfe jedoch ausschließlich zur Toleranz
anleiten, nicht aber zur Akzeptanz unterschiedlicher Arten von
Sexualverhalten erziehen.
Um Indoktrination handele es sich auch, wenn Schwule und Lesben im
Rahmen „sonstiger Schulveranstaltungen für Akzeptanz ihrer sexuellen
Orientierung werben, ohne daß auch gegenteiligen Einstellungen
hinreichend Raum gegeben wird“, so Winterhoff.
„Wenn der Staat entsprechenden Organisationen die Gelegenheit bietet,
eigenverantwortlich Unterricht mit diesem Ziel zu gestalten,
überschreitet er eine Grenze und ist zu ausgleichenden Gegenmaßnahmen
verpflichtet, um die gebotene Neutralität wiederherzustellen.“ Möchte er
aber nicht, daß sich die unterschiedlichsten Interessengruppen an der
Schulpforte die Klinke in die Hand geben, sollte er sich von vornherein
darauf besinnen, daß er zur Zurückhaltung verpflichtet ist.
Das hundert Seiten umfassende Rechtsgutachten könnte über
Schleswig-Holstein hinaus eine Signalwirkung entfalten. Vor allem in
rot-grün regierten Ländern streben Sexualreformer auf ähnliche Weise in
die Schulen und verankern in Zusammenarbeit mit den Sozialministerien
sexualpädagogische Aktionspläne in der Bildungspolitik.
„Die getroffenen Rechtsaussagen zur Verfassungslage lassen sich ohne
weiteres verallgemeinern und bundesweit anwenden“, bestätigte Winterhoff
gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Auf solch sensible Wertvorstellungen wie
die in Familien vermittelte Sexualmoral müsse in allen staatlichen
Schulen besondere Rücksicht genommen werden.
Eltern müsse das Recht eingeräumt werden, ihre Kinder vom
Sexualkundeunterricht zu befreien, wenn den Vorgaben des Neutralitäts-
und Rückhaltungsgebot nicht Rechnung getragen werde, sagte Winterhoff,
der neben seiner anwaltlichen Tätigkeit auch als Außerplanmäßiger
Professor an der Universität Göttingen lehrt.
Als Gutachter obliege es ihm jedoch nicht, konkrete politische
Konsequenzen zu ziehen. Aus Sicht des Vereins könne es nun weiter darum
gehen, Eltern weiter zu sensibilisieren, ihr Recht auf Erziehung in
diesen weltanschaulichen Fragen durchzusetzen.
Um beurteilen zu können, wie Eltern ihre Kinder wirksam vor einem
Unterricht bewahren, der durchweg von der Idee der „sexuellen Vielfalt“
geleitet ist, müssen Daten aus den Klassenzimmern erhoben werden.
Schließlich wollen die Initiatoren der Aktionspläne fächerübergreifend
und nicht nur in extra dafür vorgesehenen Unterrichtseinheiten zur
Akzeptanz vielfältiger Lebens- und Liebesweisen erziehen.
Der sexualpädagogische Status quo in den Schulen ist jedoch nur
schwer zu überprüfen. In Schleswig Holstein hat der Verein „Echte Toleranz e.V.“ an 343 Schulen einen Auskunftsantrag zum Thema „sexuelle
Vielfalt“ gerichtet, auf den jedoch gerade einmal 21 geantwortet haben.
Warum 94 Prozent der befragten Schulleiter ihrer Auskunftspflicht nach
dem Informationsgesetz des Landes Schleswig-Holstein nicht nachgekommen
sind, ist offen, sagte der Vorstand des Vereins, Peter Rohling, der
JUNGEN FREIHEIT.
Unklar ist auch, ob Sozialministerin Alheit trotz der Ergebnisse des
Rechtsgutachtens weiterhin das mehrfach überarbeitete
Unterrichtsmaterial mit dem neuen Titel „EVA – Echte Vielfalt von Anfang
an“ in die Entwicklung der neuen Fachanforderungen für den Unterricht
einbeziehen will.
„Angesichts der Tatsache, daß neue Fachanforderungen, in die der
verfassungswidrige Methodenschatz einbezogen wird, ebenfalls
verfassungswidrig sein würden, erscheint es wenig wahrscheinlich, daß
die Sozialministerin an ihren Plänen weiter festhalten wird“, meinte der
Vereinssprecher. „Sollte sie es dennoch tun, sind wir schon jetzt sehr
gespannt, wie sie dies im heraufziehenden Landtagswahlkampf
rechtfertigen wird.“ JF
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